Demokratie in Coronapandemie: Das Parlament muckt auf
Die Parlamente haben bei den Coronamaßnahmen bislang wenig zu sagen. Abgeordnete schmieden neue Bündnisse für mehr Mitsprache.
Es kommt selten vor, dass ein Linkenpolitiker seine knappe Redezeit im Bundestag mit einem Lob an die FDP beginnt. Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, der sonst gern auf die politische Konkurrenz rhetorisch draufhaut, tat das am Donnerstag. Er lobte den Antrag der Liberalen zur „Stärkung von Demokratie und Parlamentarismus“ als „überraschend gut“. Deshalb würde ihn die Linksfraktion unterstützen. Auch das ist ungewöhnlich.
Die FDP fordert in ihrem Antrag, den Bundestag und die Länderparlamente stärker mit einzubeziehen, insbesondere wenn es um Maßnahmen mit wesentlichen Grundrechtseingriffen geht, wie sie die Kanzlerin am Mittwoch verkündete: Reisefreiheit passé, Versammlungsfreiheit auch, Kneipen, Sportvereine und Kinos zu. Alles beschlossen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes, das den Landesregierungen erlaubt, „notwendige Schutzmaßnahmen“ per Verordnung zu erlassen. Also in der Krise durchregieren, und zwar ohne die eigentlichen Gesetzgeber, die Parlamente, mit einzubeziehen.
Die Liberalen sind weder die Ersten noch die Einzigen, denen der autoritäre Zug der Pandemiepolitik zunehmend auf die Nerven geht. Korte kritisierte, dass die Ministerpräsidentenkonferenz, die sich derzeit im Zweiwochentakt trifft, wie eine Ersatzregierung agiere. Da klatschte auch AfD-Fraktionschef Alexander Gauland – was Korte wiederum missfiel. Gauland hatte zuvor in rechtspopulistischer Manier von „Coronadiktatur“ geredet.
Die Linkspartei hatte schon im März vorgeschlagen, das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung auf Ende September zu befristen, um dann noch einmal neu zu überlegen, wer was entscheiden soll. Das lehnte der Bundestag ab. Genau wie im Mai den Antrag der Grünen, die eine Zustimmung von Bundesrat und Bundestag zu den Verordnungen und Anordnungen forderten. Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, mahnte am Donnerstag: „Die Ministerpräsidentenkonferenz ersetzt keine Debatte im Parlament.“
Doch genauso läuft es derzeit. Am Mittwoch hatten Merkel und die Ministerpräsidenten neue Einschränkungen beschlossen und auch gleich verkündet. Am Tag danach folgte die Generaldebatte im Parlament. Ohne Abstimmung, also ohne Folgen. Die Zahl der Intensivpatienten, so die Kanzlerin, habe sich in kurzer Zeit verdoppelt. Die Gesundheitsämter könnten 75 Prozent der Infektionen nicht mehr nachvollziehen. Risikogruppen abzuschirmen, wie es die Kassenärztliche Vereinigung vorschlägt, sei keine Alternative, weil die Gruppe zu groß sei und auch Jüngere schwer erkranken. Daher sei der jetzige halbe Lockdown „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“. Es war die erwartbar kühle Erörterung, in der die Fortschritte bei präventiver Testung und die europäische Impfstoffinitiative gewürdigt werden.
Die Top-down-Politik von Bundeskanzlerin und Ministerpräsident:innen stößt aber auch innerhalb der CDU auf Kritik. Wolfgang Schäuble, graue Eminenz der CDU und Präsident des Bundestags, wandte sich am 19. Oktober per Brief an alle Fraktionen und mahnte darin an, „dass der Bundestag seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen muss, um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“. Auch Schäuble schlägt auf Basis eines Gutachtens vor, Maßnahmen zu konkretisieren, zu befristen, den Bundestag zu beteiligen und besser zu unterrichten. Dass Journalist:innen die geplanten Maßnahmen zur Pandemiebekämfpung am Mittwochmorgen vor den Parlamentarier:innen lesen und bewerten konnten, ärgerte Letztere mächtig.
So kritisierte FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag, dass das Parlament nur nachträglich debattieren kann, was Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder schon entschieden hatten. Erst die Debatte im Parlament und die anschließende Entscheidung wäre besser. Denn gerade weil die Maßnahmen anders als im Frühjahr zu Recht kontroverser debattiert werden – wie auch die Kanzlerin einräumte –, sollte das Parlament mehr mitentscheiden. Auch die Grünen fordern dies. Die FDP will deshalb klare Kontrollmöglichkeiten und Fristen in das Infektionsschutzgesetz einziehen.
Aber auch führende CDU-Politiker:innen reagieren empfindlich, wenn sie auf das Thema angesprochen werden. Ralph Brinkhaus, Fraktionschef der Union, der normalerweise ein moderater Redner ist, warf Lindner vor, die Pandemiebekämpfung als Aktionismus zu bezeichnen sei „für einen Liberalen unwürdig“. Seine Vorgänger hätten „sich dafür geschämt“. Es sei eine historische Aufgabe zu zeigen, dass effektive Coronabekämpfung in einer Demokratie möglich sei, nicht nur in China.
Aber so effektiv, wie Brinkhaus behauptet, ist die Coronapolitik eben nicht. Die Entscheidungen werden zwar schnell getroffen, aber anders als im Frühjahr werden die Maßnahmen viel stärker öffentlich kritisiert. Die Akzeptanz für diese kann sinken, wenn sie nicht breit legitimiert sind. Auch die SPD hat diese Gefahr erkannt und schlägt sich schon halb auf die Seite der Opposition von FDP, Linksfraktion und Grünen. SPD-Mann Johannes Fechner sagte, der Vorstoß der FDP weise in die richtige Richtung. Die SPD-Fraktion kündigte am 20. Oktober an, sie wolle bald das Infektionsschutzgesetz reformieren.
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