Demo für mehr Kita-Personal in Hamburg: Erzieher gehen auf dem Zahnfleisch
Hamburgs Kitas haben einen hohen Krankenstand. Zudem wurde beim städtischen Träger Stunden gekürzt, weil die Tariferhöhung nicht finanziert ist.
Schon die ersten Rednerinnen führten der zuhörenden Sozialsenatorin das Kernproblem vor Augen. Der Personalschlüssel von einer Fachkraft auf vier Kinder in der Krippe und einer auf zehn Kinder im Elementarbereich gilt nur auf dem Papier. „Wir arbeiten fast ständig mit 16 Kindern und zwei Erziehern“, beschrieb eine Erzieherin ihren Alltag, wohlgemerkt mit Kindern im Alter null bis drei.
Dass Hamburg hier ein Problem hat, zeigte auch kürzlich eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Im Schnitt 33,2 Tage waren seine Kita-Beschäftigen im Jahr 2023 krank, fast doppelt so oft wie in anderen Berufen. Und da sie auch Urlaub haben, fehlen sie in den Kindergruppen 55 Tage im Jahr. Das ist der höchste Wert bei den westdeutschen Ländern.
Das Kita-Netzwerk, die Gewerkschaften Ver.di und GEW und der Landeselternausschuss rufen deshalb für den 19. September zum Sternmarsch gegen die „Kitastrophe“ auf, die drohe, wenn nicht mehr investiert wird. Das Motto: “‚Verheizt‘ nicht die Zukunft dieser Stadt“. Besonders geärgert habe sie, dass Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) die Kitas bei der Haushaltsdebatte nicht mal erwähnte. „So geht es nicht“, heißt es in einem Aufruf der GEW-Betriebsgruppe der städtischen Elbkinder-Kitas.
Zu wenig Kita-Personal
Denn für die Elbkinder mit ihren 178 Kitas und für weitere Träger kommt eine akute Erschwernis hinzu. Für das Jahr 2024 werden die Tariferhöhungen noch nicht bei der Kita-Finanzierung berücksichtigt, die in Hamburg über Gutscheine pro Kind erfolgt. Wie berichtet, wies die Elbkinder-Geschäftsführung bereits im Februar vorsorglich ihren Kitas nur noch 95 Prozent der Erzieherstunden zu, um dies abzufedern, das sparte etwa 80 Stellen.
„Es kommt viel zusammen, was dazu führt, dass wir permanent zu wenig Personal haben“, sagt Erzieher Tim Hansen von der GEW. Er rechnet vor: Wenn zwei Kollegen eine Gruppe betreuen, sei der andere je drei Monate im Jahr nicht da – sprich: Ein halbes Jahr ist nur eine Person in der Gruppe.
„Man wird als Erzieher so seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht“, sagt der 31-Jährige. Das führe zu Frustration und psychischer Belastung. Zum Beispiel müsse man für bis zu 13 Kinder Beobachtungsmappen mit Foto und Berichten führen. „Das ist nicht zu schaffen“, sagt Hansen. Psychische Krankheiten machen denn auch laut Bertelsmann fast ein Viertel der Krankentage aus.
„Das sind alarmierende Zahlen“, sagt Kristin Alheit, Vorständin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hamburg. Nötig sei die „komplette Finanzierung der tatsächlichen Arbeit“. Dazu gehörten Ausfallzeit sowie Vor- und Nachbereitung. Die bisherigen Regelungen hätten sich überlebt und müssten „dringend angepasst werden“.
Das Problem sei, sagt GEW-Sprecherin Sabine Lafrentz, dass die Verhandlungen zwischen Sozialbehörde und Kita-Verbänden über die Gutschein-Finanzierung diesmal erst spät im Frühjahr anfingen und noch nicht zu Ende seien. Wie von den Kita-Verbänden zu hören ist, soll es daran hapern, dass die Stadt kein Angebot vorlegt, das die Tariferhöhung refinanziert.
Hohe Krankenquote ist ein Problem
Die Sozialbehörde dagegen erklärt, sie geht davon aus, dass die Verhandlungen noch diesen September abgeschlossen und die Tarifentwicklung berücksichtigt wird. Zur Krankenquote sagt Sprecherin Anja Segert, beim Kita-Personal sei die Ansteckungsgefahr aufgrund der intensiven Kontakte zu Kindern und Eltern höher. Die Behörde sei sich der hohen Belastung bewusst und nehme sie ernst.
Hamburg habe in den vergangenen zehn Jahren deutlich mehr Personal aufgebaut als zusätzliche Kinder aufgenommen wurden. Auch sei eine Fachkräftestrategie geplant, um die Situation zu verbessern. Doch um Mittel für besagte Vor- und Nachbereitung zu gewinnen, seien Bundesgelder nötig. Die Behörde verweist hier auf die geplante Fortsetzung des Kita-Qualitätsgesetzes von 2023.
Auch die Politik sieht Handlungsbedarf
Auch Fachpolitiker sehen Handlungsbedarf. Mehr Personal sei „der zentrale Schlüssel“, um aus dem Dilemma der Überlastung durch Krankheit auszubrechen, sagt die grüne Kita-Politikerin Britta Herrmann. Dafür müsse der Einstieg in den Job erleichtert und der Beruf attraktiver werden. „Auch Vor- und Nachbereitungszeiten sollten stärker berücksichtigt werden.“
Ihr Kollege Uwe Lohmann von der SPD verweist darauf, dass Hamburg seinen Kita-Etat seit 2010 auf 1,2 Milliarden fast verdreifacht habe. Zu dem Problem der Tariferhöhungen sagt er, diese sollten künftig schon im Vorfeld mit berücksichtigt werden. Dem müssten die Kita-Verbände geschlossen zustimmen.
„Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Lafrentz. „In allen anderen Ländern ist es üblich, die Tariferhöhungen in den Haushalten gleich zu berücksichtigen.“
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