Ver.di-Referent über Probleme in Kitas: „Es ist einfach zu wenig Personal“

In Hamburg gehen Kita-Beschäftigte auf die Straße. Der Personalschlüssel ist zu schlecht, weil Urlaub und Krankheit nicht berücksichtigt würden.

Zwei Kinder, von hinten fotografiert, spielen in der Kita draußen mit vielen Schaufeln

Buddeln ohne Aufsicht? Dank Personalmangel in Kitas keine Seltenheit Foto: Axel Heimken/dpa

taz: Herr Stock, warum gehen Hamburgs Kita-Beschäftigte heute auf die Straße?

Michael Stock: Für sich selbst, aber auch für die Kinder. Weil die Zustände in den Kindertageseinrichtungen nicht gut genug sind, weil dort zu wenig frühkindliche Bildung gemacht werden kann. Die Beschäftigten protestieren auch nicht allein, sondern mit den Eltern, einigen Trägern und Verbänden und dem Kita-Netzwerk Hamburg.

Wieso sind die Zustände schlecht? Es gab doch zuletzt eine Verabredung mit der Stadt über bessere Personalschlüssel.

Stimmt, die gab es. Dadurch ist im Bundesvergleich Hamburg auch im Mittelfeld. Das ergab das neue Monitoring der Bertelsmann-Stiftung. Aber die Verhältnisse sind nicht gut genug. Das merken die Beschäftigten und die Kinder, und indirekt die Eltern. Es ist einfach zu wenig Personal vor Ort, um die Bildung zu gewährleisten.

Wie viele Kinder betreut denn eine Fachkraft?

Für Kinder unter drei – also in der Krippe – liegt der rechnerische Personalschlüssel bei 1 zu 4,1. Aber die wissenschaftliche Empfehlung ist eins zu drei.

Aber 1 zu 4 klingt ganz gut.

Es klingt ganz gut, aber das ist nur die „Bruttozahl“. Die Kolleginnen sind nicht immer vor Ort. Sie sind im Urlaub oder auf Fortbildung. Und wir haben eine hohe Kranken-Quote. Bei Corona waren Kita-Beschäftigte als Gruppe am stärksten betroffen, noch vor dem Pflegepersonal. Wo sonst konnte eine ungeimpfte Person den ganzen Tag mit 25 Menschen ohne Maske in einem Raum sein? In der Kita.

Hat sich die Personal-Lage durch Corona verschlechtert?

Leider ja. Viele merkten während Corona, als die Gruppen viel kleiner waren, weil viele Eltern ihre Kinder zu Hause ließen, wie gute Pädagogik funktioniert. Und dass das mit dem normalen Schlüssel nicht geht. Das löste auch Frust aus. Das gilt auch für die älteren Kinder von drei bis sechs.

52, ist Sozialpädagoge und bei Ver.di zuständiger Referent für die Kitas.

Was fordern Sie konkret?

Wir möchten, dass ein verstärkter Blick drauf gerichtet wird und alle Akteure gemeinsam überlegen, wie wir das ganze System verbessern. Dazu kam es in der Coronazeit nicht. Die Eltern haben Anspruch, dass ihre Kinder früh gebildet werden. Und das geht nur mit besserem Personalschlüssel.

Sie fordern für die Krippe den Schlüssel eins zu drei?

Ja. Und wir wollen einen Schlüssel, der wirklich netto gilt.

Also dass real eine Kraft für drei Kinder vor Ort ist?

Ja. Uns berichten die Beschäftigten, dass sie teils tatsächlich alleine in einer Gruppe sind. Das dürfte gar nicht sein. Da betreut dann eine Fachkraft zehn oder mehr Krippenkinder. Das möchten weder die Beschäftigten noch Eltern oder Kinder erleben.

Sollten bei einer schlechten Betreuung die Eltern ihre Kinder nicht zu Hause behalten?

Es gibt Fälle, wo selbst die Träger sagen, sie können den Betrieb so nicht gewährleisten und Eltern ein bisschen verklausuliert bitten, ihr Kind selbst zu betreuen. Das sind für alle schwierige Situationen. Wir sehen natürlich auch die Nöte der Eltern und der Kinder.

Nun erhöhte Hamburg schon den Kita-Etat. Wie viel mehr ist nötig, damit es reicht?

Das Ländermonitoring besagt, dass in Hamburg 6.200 Fachkräfte fehlen, wenn wir die empfohlenen Schlüssel umsetzen und auch alle Eltern, die Anspruch haben, die Kitas nutzen. Das würde 271,3 Millionen Euro kosten. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass mit dem Geld mehr Personal kommt. Das ist dringender als Elternfreibeträge.

Sprachen Sie schon mit der Politik darüber? Was sagt die?

Wir sind regelmäßig im Kontakt mit der Sozialbehörde. Das sind bisher eher Hintergrundgespräche. Wir sind nicht in einem offenen Schlagabtausch mit Forderungen. Diese Demonstration ist Anlass, das jetzt breiter zu diskutieren, weil die Lage für alle Beteiligten schlimmer geworden ist.

Was kommt nach der Demo?

Wir sind jetzt gespannt, ob und wie die Politik reagiert. Wir hoffen auf eine große Runde, wo wir das Problem besprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen.

Demo „Wir sind ausgebrannt – Beschäftigte Hamburger Kitas sind am Belastungslimit“: 1. November, 17.30 Uhr, Dammtor

Es gab die Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburger Kitas“, die sich mit der Stadt auf einen Kompromiss einließ. Können Sie sich eine neue Volksinitiative vorstellen?

Soweit sind wir in der Diskussion noch nicht. Uns geht es erst mal darum durchzudringen. Der Blick auf die frühkindliche Bildung muss respektvoller werden. Denn wird hier gute Arbeit geleistet, ist das nicht nur gut für die Kinder, sondern für die gesamte Gesellschaft – und spart viele Folgekosten. Aber das sieht man natürlich nicht sofort.

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