Autorin über Patriarchales Design: „Geeicht auf 40-jährigen Mann“
Von der Toilettenbenutzung bis zu den Algorithmen: Rebekka Endler über eine Welt, die sich nach Durchschnittsmännern richtet.
taz: Frau Endler, demnächst verlassen viele von uns absehbar wieder das Homeoffice und arbeiten wieder mit anderen zusammen. Kann eine Raumtemperatur eigentlich sexistisch sein?
Rebekka Endler: Wenn in einem Großraumbüro einem Großteil der Cis-Frauen kalt ist, während es den -Männern gut geht, dann würde ich sagen: Ja. Die Frage ist: Steckt dahinter Absicht? Und das würde ich in den meisten Fällen verneinen. Aber die Standardtemperatur in einem Büro entspricht der Wohlfühltemperatur des Cis-Manns.
Frauen mögen es lieber etwas wärmer?
Da gibt es auch noch kulturelle Unterschiede, aber die Vorlieben von Cis-Männern und -Frauen unterscheiden sich um 3 bis 5 Grad. Da spielt der Stoffwechsel eine Rolle, auch das Alter: Alle Menschen werden kälteempfindlicher, je älter sie werden. Wichtig ist: Häufig ist die Temperatur in so einem Zusammenhang geeicht auf einen etwa 40 Jahre alten Cis-Mann von durchschnittlichem Gewicht.
37, ist freie Autorin, Journalistin und Podcasterin. Sie hat Sozialwissenschaften studiert und lebt in Köln.
Was sich schon bei diesem lebensnahen Beispiel zeigt, zieht sich durch das ganze Buch: Wie sehr, von der öffentlichen Toilette bis zum Crashtest-Dummy, die Dinge ausgerichtet werden an den Bedürfnissen einer angenommenen Norm-Person – und die ist (cis-)männlich.
In den USA zum Beispiel ist für öffentliche Gebäude eine Temperatur festgelegt, das ist in den 1960er-Jahren passiert. So eine feste Norm gibt es etwa beim Deutschlandfunk, bei dem ich arbeite, nicht. Aber wie warm es im Büro ist, das orientiert sich an den Entscheider:innen an höchster Stelle – und das sind meistens Männer, die womöglich noch im Anzug zur Arbeit erscheinen.
Wir hatten es schon gestreift: Steckt hinter so etwas nun eine Absicht, gar böser Wille? Oder eher eine Art männlicher Tunnelblick?
Mit dem Wort „böse“ tue ich mich schwer. Die wenigsten Menschen sind böse. Wenn aber ein Festhalten an bestimmten Machtstrukturen zu beobachten ist, dann steckt dahinter eine Absicht. Ob sich die Menschen, also Männer, dieser Absicht aber bewusst sind? Ich kriege sehr viele teils auch aggressive Nachrichten. Und ich glaube, nur ein sehr geringer Teil der Absender ist sich dessen bewusst, dass er da gerade seine patriarchalen Felle davon schwimmen sieht.
Für Ihr Buch haben Sie „mit vielen unterschiedlichen Frauen aus unterschiedlichen Generationen“ gesprochen. Männer zu gewinnen, gestaltete sich schwieriger?
Als Journalist:innen sind wir beide es ja gewohnt, mit allen möglichen Leuten zu sprechen, und darin liegt ein großer Reiz. Für mein Buch habe ich Menschen angesprochen und mich erst mal für die Annahme rechtfertigen müssen, dass es patriarchales Design überhaupt gibt. Oder ich habe als Feedback erhalten, meine ganze Idee sei völliger Quatsch, weil wir doch in einer gleichberechtigten Welt lebten.
Rebekka Endler: „Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt“.
Dumont, Köln 2021, 336 S., 22 Euro; E-Book 15,99 Euro
Und dann lieber nicht?
Ich habe mir irgendwann gedacht: Das brauche ich nicht unbedingt. Wir hören in den Medien ohnehin sehr viel mehr Cis-Männer als alle anderen Personengruppen. Ich bin ja niemandem Ausgewogenheit schuldig, ich schreibe mein eigenes, ohnehin sehr egozentrisches Buch, dann kann ich ja auch einfach mit Menschen sprechen, bei denen ich mich nicht erst mal rechtfertigen muss – keine einzige Frau hat mir gesagt, dass die Idee hinter meinem Buch Quatsch ist.
Es geht im Buch auch um Dinge, die eigens für Frauen entwickelt und vermarktet werden, während sich andere ausdrücklich nur an Männer zu richten scheinen. Wie zufällig – oder eben nicht – ist es, dass es ein Videospielgerät namens „Gameboy“ gibt, aber kein „Gamegirl“?
Coden, also Programmieren, ist ursprünglich von Frauen, und darunter besonders auch von Women of Color betrieben worden, weil es da auch noch gar nicht als wissenschaftlich-mathematische Fähigkeit anerkannt war. Mit der Entwicklung der Informatik als eigener Wissenschaft wurde es dann komplett männlich dominiert. Und so sind bis heute – und Deutschland ist da ganz vorne mit dabei – in MINT-Berufen und Studiengängen nicht-cis-männliche Menschen stark unterrepräsentiert. Das hat auch mit Marketing zu tun: Die ersten Computer, die ersten PCs wurden für den Mann, für Jungs vermarktet. Und ein paar Jahrzehnte später müssen wir darüber nachdenken, wie sehr auch Algorithmen und künstliche Intelligenz einem männlichen und sehr weißen Bias unterliegen. Das hat einen Rattenschwanz von Problemen, die ja in Zukunft immer wichtiger werden.
Lesungen:
So, 11. 7., 20 Uhr, Bremen, Pusdorf Studios, Ladestraße 12–14
Mo, 12. 7., 20 Uhr, Hannover, Conti-Foyer am Königsworther Platz sowie online
Mi, 15. 9., 19 Uhr, Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek (im Rahmen des “Harbour Front“-Literaturfestivals)
Wie sehr berühren oder überschneidet sich patriarchales Design mit anderen Biases, also bezogen etwa auf die Hautfarbe?
Die Schnittmenge ist groß. Egal, ob wir über das Patriarchat sprechen oder über Rassismus oder über Compulsory Able-Bodied-Ismus …
… in etwa übersetzbar als das Voraussetzen eines nichtbehinderten Körpers …
… es geht immer um gesellschaftliche Macht. Ein Beispiel, das es nicht ins Buch geschafft hat, aber in den vergangenen Tagen viel in den Medien war: Bei den Olympischen Spielen, den Schwimmwettbewerben, sind Badekappen nicht zugelassen, die eigens entwickelt wurden für Menschen mit traditionell afroamerikanischen Frisuren. Das fällt für mich mit meinem Designbegriff auch unter patriarchales Design, weil es auch rassistisches Design ist. Es macht unsere weiße Übermacht deutlich, ausgerechnet bei so etwas wie den Olympischen Spielen; dieser Deutungshoheit: Wer entscheidet, was erlaubt ist und was nicht?
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