Debatte um Pflegevollversicherung: Man darf sehr gespannt sein
Die Pflegekrise spitzt sich weiter zu. Nun muss Gesundheitsminister Lauterbach sein Versprechen einer „Pflegevollkasko“ halten.
D ie Pflegekrise ist so allumfassend – man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Die Eigenanteile für einen stationären Pflegeplatz sind inzwischen bald doppelt so hoch wie die Durchschnittsrente von 1.500 Euro. Diese teuren Plätze sind mit immer weniger, immer schlechter ausgebildetem Personal ausgestattet – weil es schlicht zu wenig gibt. Dass dies erst der Beginn einer Entwicklung sein dürfte: reine Bevölkerungsstatistik.
Angesichts dieser wenig erquicklichen Aussichten ist die Frage nach Lösungsansätzen existenziell. Die Pflegevollversicherung ist der wohl wichtigste. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ihn gerade wieder ins Spiel gebracht, nach einer Umfrage mit Rekordzustimmung.
Im Moment zahlen Menschen in die Pflegeversicherung ein, und wenn der Pflegefall eintritt, wird ein Eigenanteil fällig. Kann der von der pflegebedürftigen Person und ihren Angehörigen nicht erbracht werden, springt der Sozialstaat ein. Eine Pflegevollversicherung wäre wie die Krankenversicherung: Alle notwendigen Leistungen werden bezahlt – unabhängig von den Einkommensverhältnissen. Eine dafür notwendige Erhöhung der Versicherungsbeiträge würde alle treffen, auch Geringverdiener*innen. Vom Wegfall der Eigenanteile würden wiederum auch Spitzenverdiener*innen profitieren.
Wenn das gerecht und solidarisch gestaltet werden soll, braucht es mehr als nur einen höheren Beitrag im bewährten Modell. Die Befürworter*innen fordern daher ganz grundlegende Änderungen im System: Pflichtversicherung ohne Ausweichen in die Privatversicherung, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, Einbeziehung von Vermögen bei der Beitragsbemessung.
Das klingt nicht unbedingt nach dem, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Kopf hatte, als er im April versprach, die Einführung einer „Pflegevollkasko“ zu prüfen. Und auch nicht nach einem Plan, der mit der FDP in der Regierung umsetzbar scheint. Man darf also sehr gespannt sein, welche Vorschläge in nächster Zeit aus diesen Kreisen kommen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren