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Debatte um PflegevollversicherungMan darf sehr gespannt sein

Manuela Heim
Kommentar von Manuela Heim

Die Pflegekrise spitzt sich weiter zu. Nun muss Gesundheitsminister Lauterbach sein Versprechen einer „Pflegevollkasko“ halten.

Teures Leben im Alter: 97-jährige pflegebedürftige Seniorin in Berlin Foto: Monika Skolimowska/dpa

D ie Pflegekrise ist so allumfassend – man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Die Eigenanteile für einen stationären Pflegeplatz sind inzwischen bald doppelt so hoch wie die Durchschnittsrente von 1.500 Euro. Diese teuren Plätze sind mit immer weniger, immer schlechter ausgebildetem Personal ausgestattet – weil es schlicht zu wenig gibt. Dass dies erst der Beginn einer Entwicklung sein dürfte: reine Bevölkerungsstatistik.

Angesichts dieser wenig erquicklichen Aussichten ist die Frage nach Lösungsansätzen existenziell. Die Pflegevollversicherung ist der wohl wichtigste. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ihn gerade wieder ins Spiel gebracht, nach einer Umfrage mit Rekordzustimmung.

Im Moment zahlen Menschen in die Pflegeversicherung ein, und wenn der Pflegefall eintritt, wird ein Eigenanteil fällig. Kann der von der pflegebedürftigen Person und ihren Angehörigen nicht erbracht werden, springt der Sozialstaat ein. Eine Pflegevollversicherung wäre wie die Krankenversicherung: Alle notwendigen Leistungen werden bezahlt – unabhängig von den Einkommensverhältnissen. Eine dafür notwendige Erhöhung der Versicherungsbeiträge würde alle treffen, auch Ge­ring­ver­die­ner*in­nen. Vom Wegfall der Eigenanteile würden wiederum auch Spit­zen­ver­die­ne­r*in­nen profitieren.

Wenn das gerecht und solidarisch gestaltet werden soll, braucht es mehr als nur einen höheren Beitrag im bewährten Modell. Die Be­für­wor­te­r*in­nen fordern daher ganz grundlegende Änderungen im System: Pflichtversicherung ohne Ausweichen in die Privatversicherung, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, Einbeziehung von Vermögen bei der Beitragsbemessung.

Das klingt nicht unbedingt nach dem, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Kopf hatte, als er im April versprach, die Einführung einer „Pflegevollkasko“ zu prüfen. Und auch nicht nach einem Plan, der mit der FDP in der Regierung umsetzbar scheint. Man darf also sehr gespannt sein, welche Vorschläge in nächster Zeit aus diesen Kreisen kommen werden.

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Manuela Heim
Gesundheit und Soziales
Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.
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19 Kommentare

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  • Welche Art von Vermögen soll denn bei der Beitragsbemessung einbezogen werden?

    • @Der Cleo Patra:

      Da ich da keine Informationen gefunden habe kann ich nur vermuten das der Staat zwei Regelungen kippen wird:

      1. eine selbstgenutze Wohnimmobilie fällt ins Schonvermögen

      2. Kinder dürfen erst bei einem Jahreseinkommen von über 100 000 € zur Kasse gebeten werden

  • Was nützt eine Pflegevollversicherung, wenn kein Personal da ist um einen zu Pflegen?



    Der Personalnotstand ist der allererste und wichtigste Punkt der angegangen werden sollte.

    • @PartyChampignons:

      Dafür braucht es mehr Geld, das muss irgendwo her kommen. Außerdem müssten dann andere Bereiche effizienter werden und weniger Personal brauchen, weil wir einfach einen extremen Menschenmangel haben. Digitalisierung der Verwaltung und Verwaltungsfachangestellte in die Pflege.

      • @Machiavelli:

        "Digitalisierung der Verwaltung und Verwaltungsfachangestellte in die Pflege."

        --------

        Mit Verlaub, so einfach ist das nicht. Menschen als formbare Masse betrachten die im Prinzip auf Weisung alles können ist so was von Walter Ulbricht.

        • @SeppW:

          Das war zugegebener Maßen überspitzt formuliert. es geht mir mehr darum das wir grundsätzlich einen Mentalitätswandel brauchen Bullshit Jobs die ersetzbar sind müssen dringend ersetzt werden weil der Faktor Mensch nur noch begrenzt zur Verfügung steht.

  • Die Politik sagt ja auch jedem Kind gesetzlich einen Kindergartenplatz zu.



    Damit ist sie dann aber auch fertig!



    Ich kenne einige Leute, die suchen schon seit 2 Jahren und finden keinen.



    Die Deutsche Justiz darf sich also auf immer mehr Aktenberge freuen: Die Sachen werden häufiger eingeklagt.

    Das gleiche steht für fehlende, unzumutbare Plätze und bereits horrorartige Zustände in Pflegeheimen an: Der Militärhaushalt fließt über, während innerdeutsche Missstände wachsen wie Unkraut!

  • “ Eine Pflegevollversicherung …wie die Krankenversicherung: Alle notwendigen Leistungen werden bezahlt – unabhängig von den Einkommensverhältnissen.”

    Was soll denn der Quatsch!



    Dass wir schon in der Krankenversicherung eine Zwei-Klassen-Gesellschaft haben, weil a) privat Versicherte bevorzugt behandelt werden und b) das Leistungsspektrum dort weitaus umfangreicher ist, dürfte ja mittlerweile bekannt sein!

    Eine “Vollkasko-Pflegeversicherung” unabhängig vom Einkommen freut dann wohl insbesondere Politiker und andere Geldsack-mäßig bestens ausgestattete Deutsche, die ihre Pflegeplätze 3x aus eigener Tasche bezahlen könn(t)en!

    Versager-Politik ohnegleichen nennt man sowas!



    Die Lebenshaltungskosten steigen weiter …



    Ein Herr Lauterbach hätte nie Gesundheitsminister werden dürfen wie der Rest der Regierung, der jetzt wohl schon auf verlorenen Posten sitzt!



    Die Verärgerung vieler Bürger wird zunehmen, wenn das so weiter geht.

    Der aggressive Rechtspopulismus in der BRD nimmt weiter zu. Wenn in zwei Jahren hier erneut Nazi’s das politische Geschehen bestimmen, haben wir DEN Salat einzig und allein machtbesessenen, unfähigen Leuten zu verdanken, die den Begriff “Demokratie” wohl eher als “Lobbyistenpolitik” verstehen.

    • @ROTEGRÄTE:

      So ist das.



      Ihr Blick in die Zukunft wird wohl düstere Wahrheit.

    • @ROTEGRÄTE:

      "Eine “Vollkasko-Pflegeversicherung” unabhängig vom Einkommen freut dann wohl insbesondere Politiker und andere Geldsack-mäßig bestens ausgestattete Deutsche, die ihre Pflegeplätze 3x aus eigener Tasche bezahlen könn(t)en!"

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      Ich sehe das Problem nicht. Personen mit hohen Einkommen werfen einen höheren Beitrag in den Topf, Personen mit kleinem Einkommen entsprechend weniger. Wenn das Konzept aufgeht ist die Pflegequalität und Quantität so ausbalanciert das der Niedrigverdiener gemessen an den eingezahlten Beträgen "mehr fürs Geld" bekommt als der Einzahler mit der höchsten Beitragsstufe.



      Ich sehe das Problem eher darin das, wenn ich das richtig interpretiere, eine private zusätzliche Versicherung nicht mehr erlaubt sein soll und Vermögen bei der Beitragsbemessung berücksichtigt werden sollen. Bei Letzterem ist dem Missbrauch von staatlicher Seite Tür und Tor geöffnet.



      Hat aber auch einen positiven Nebeneffekt : Dann werden im Idealfall viele viele EFH`s den Immobilienmarkt fluten....weil Oma und Opa ja so unglaublich "Vermögend" sind und dementsprechend Pflegebeiträge zahlen müssen, die nur durch einen Verkauf des Eigenheimes beglichen werden können.

      Hach, das wird schön werden. Auch für die AfD.

  • "Wenn das gerecht und solidarisch gestaltet werden soll, braucht es mehr als nur einen höheren Beitrag im bewährten Modell. Die Be­für­wor­te­r*in­nen fordern daher ganz grundlegende Änderungen im System: Pflichtversicherung ohne Ausweichen in die Privatversicherung, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, Einbeziehung von Vermögen bei der Beitragsbemessung."

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    Also muss im Fall der Fälle anrechenbares Vermögen eben den Augen des Staates entzogen werden. Seis drum, es gibt genug Möglichkeiten um das zu Bewerkstelligen.

  • Wird nicht immer erzählt, dass diese Generation so unglaublich viel vererben würde? Dann sollten ggf. anfallende Kosten erst einmal aus der potentiellen Erbmasse beglichen werden. Die Belastung durch Abgaben zund Steuern unseres individuellen Haushalts wird großzügig immer weiter ausgedehnt, aber die Gegenleistungen werden immer schlechter. Wir zahlen gerne Steuern und sind auch bewusst in der GKV, aber so langsam beginnt man dann doch zu zweifeln.

  • Was ist eigentlich das Problem damit, das volle Einkommen und Vermögen von Pflegebedürftigen für die Pflege zu verwenden? Wer pflegebedürftig ist, macht keine Reisen mehr, hat keine großen Anschaffungen, hat keine Verwendung für Haus oder Auto. Eine Pflegeversicherung, die vor Vermögen und Einkommen greift, schützt letztlich nur das Geld der Erben, ohne unbedingt zu einer qualitativen Verbesserung der Pflege zu tun. Müssen aber alle in eine solche Versicherung einzahlen, egal ob sie mal erben oder nicht, so ist es letztlich nur eine zutiefst unsozial Umverteilung von unten nach oben.

    • @Ruediger:

      KleineErinnerung:



      Das ist doch schon so.



      Wenn das eigene Einkommen (=Rente) nicht reicht fällt pflegebedürftiger Mensch in die Fänge der Sozialhilfe ("Grundsicherung").



      D.h. Offenbarungseid und Veräusserung alles Eigentums bevor auch nur ein Cent Grundsicherung/ Pflegebeihilfe gezahlt wird.



      Keine Angst schüren bitte: Deutsche Behörden sind gründlich (wenn es sich um Armut im Alter handelt): Das Armutsziel wird in jedem Fall erreicht und Kinder & Enkel müssen Geschenke von bis vor 10 Jahren zurückgeben...

    • @Ruediger:

      "Müssen aber alle in eine solche Versicherung einzahlen, egal ob sie mal erben oder nicht, so ist es letztlich nur eine zutiefst unsozial Umverteilung von unten nach oben."

      -----------------

      Nein, das ist Solidarität. Ohne Einbahnstrasse.

    • @Ruediger:

      Im Prinzip ist das richtig, in der Praxis sieht es aber oft anders aus. Meine Mutter hatte ein kleines Einfamilienhaus und kam ins Pflegeheim. Die dortigen Kosten stiegen innerhalb weniger Monate exponentiell auf über 4000 €. Die Pflegeversicherung, mein eigenes Gehalt und ihre Rente reichten nicht, diese Kosten zu tragen. Das Haus auf dem Land war nicht so schnell zu verkaufen, so daß wir unsere eigene Altersvorsorge angreifen mußten.

    • @Ruediger:

      Bei Pflege am Lebensende haben Sie wohl recht. Es gibt aber durchaus Fälle, wo Pflege auch Jüngere betrifft, die eben potentiell doch noch Zukunftspläne und Bedarf für Anschaffungen haben.

      • @Winnetaz:

        Und, wie viele sind das?



        Das ändert wohl nichts an der ungerechten Politik, oder?!

        • @ROTEGRÄTE:

          Ist ja nur ein Aspekt von vielen, den eine neue Regelung berücksichtigen sollte.

          Ich halte die aktuelle Praxis durchaus für sozial: Wer zahlen kann, zahlt den Eigenanteil. Wer nicht kann, wird trotzdem gepflegt und der Staat springt ein.







          Es ist legitim, dass am Lebensende das Vermögen für Pflege aufgebraucht wird. Mit ins Grab nehmen kann man es nicht und (Ver)Erben ist die ungerechteste Sache der Welt, weil die Erben vollkommen unverdient und leistungslos zu viel Geld kommen.