Debatte um Industriestrompreis: Der Kanzler bleibt beim Nein
Die Bundesregierung kann sich nicht dazu durchringen, einen gedeckelten Strompreis zu beschließen. Auch die Wirtschaft ist sich uneinig.
Im Ziel ist sich die Bundesregierung einig: „Die sichere Versorgung mit bezahlbarer Energie ist entscheidend für den deutschen Wirtschafts- und Industriestandort“, heißt es im 10-Punkte-Plan, den sie auf Schloss Meseberg beschlossen hat. Doch über den Weg dahin ist sie sich weiterhin uneins. Während der Grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sich dafür stark macht, dass der Staat energieintensiven Unternehmen möglichst rasch einen ermäßigten Strompreis sponsert, sind Finanzminister Christian Lindner, FDP, und Kanzler Olaf Scholz, SPD, dagegen.
Scholz und Lindner argumentieren mit Wettbewerbsverzerrungen und der drohenden Gefahr einer Dauersubvention mit dem „Füllhorn“. Habeck dagegen warnt davor, dass international agierende Unternehmen wegen der hierzulande hohen Energiepreise nicht mehr in Deutschland investieren und will ihnen unter die Arme greifen, bis genügend grüne und billige Energie zur Verfügung steht.
Einer der zentralen Gründe für die Bedenken des Kanzlers und seines Finanzministers gegen einen solchen Brücken- oder Transformationsstrompreis dürften die hohen Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe und die ungeklärte Frage sein, woher das Geld kommen soll.
Vor der Kabinettstagung in Meseberg hatte es auch aus den Reihen der SPD Druck auf den Kanzler gegeben, sich für einen Industriestrompreis auszusprechen. Die SPD-Fraktion hatte auf ihrer Klausurtagung in Wiesbaden am Montag ein Konzept für wettbewerbsfähige Strompreise beschlossen, welches auch einen auf fünf Cent und fünf Jahre begrenzten Transformationstrompreis vorsieht. Der soll ausgewählten energiefressenden Branchen wie der Grundstoffindustrie zugute kommen sowie Unternehmen, die entscheidend für die Energiewende sind, etwa Produzenten von Windanlagen und Batterien.
Der Wirtschaftsstabilisierungsfond könnte helfen
Das Geld soll aus dem 200-Milliarden schweren Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen, den die Bundesregierung zur Abfederung der finanziellen Folgen der Coronakrise aufgelegt hatte. Eine Umwidmung dieser Kredite hält Linder jedoch für verfassungswidrig.
Am Mittwoch meldeten sich zudem sieben Bundesländer mit einem Appell für einen subventionierten Strompreis zu Wort, darunter die SPD-regierten Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Ohne ein entschlossenes Entgegensteuern bestehe die akute Gefahr der Verlagerung von Produktion und damit von Arbeitsplätzen ins Ausland, warnen sie. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil fordert schon seit längerem einen Brückenstrompreis und schlug im April einen auf 7 Cent gedeckelten Preis vor.
Weil ist dabei vor allem auch als Interessenvertreter der heimischen Wirtschaft unterwegs. Im niedersächsischen Stade produziert der Konzern Dow Chemical unter anderem Chlor, die Leitung des Standorts erklärte Weil bei dessen Sommerreise, sie könne Investitionsentscheidungen in Deutschland nur noch schwer rechtfertigen. In den USA, dem Hauptsitz des Unternehmens, profitiert man von günstigen Energiepreisen und den Steuersubventionen des Inflation Reduction Act.
Doch auch in der Wirtschaft ist ein Brückenstrompreis umstritten. Der Verband der Familienunternehmer ist dagegen und fordert statt Milliardensubventionen für wenige lieber Steuersenkungen für alle. Auch Wirtschaftswissenschaftler:innen sind sich nicht einig. Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, plädiert für einen Brückenstrompreis, der Chef des DIW Marcel Fratzscher hält einen subventionierten Strompreis für falsch. Alte Strukturen würden zementiert und Geld mit der Gießkanne verteilt, so Fratzscher diese Woche in der taz. Fratzscher ging allerdings davon aus, dass ein günstiger Industriestrompreis früher oder später kommt.
Möglicherweise in der Form, wie ihn auch die SPD-Fraktion vorschlägt. Die will – zusätzlich zum Industriestrompreis – Direktverträge zwischen Unternehmen und Wind- oder Solarparks fördern, die langfristig günstige und stabile Preise garantieren, sogenannte PPAs (power purchase agreement). Nur wenn eine der beiden Seiten nicht liefern kann oder zahlungsunfähig sein sollte, springt der Staat ein. Auch im 10-Punkte-Plan der Bundesregierung heißt es, man nehme die Stärkung privater Power-Purchase-Agreements in den Blick. Ob diese allerdings einen Industriestrompreis ersetzen oder allenfalls ergänzen können ist ebenfalls – umstritten.
Aus der Industrie kam am Mittwoch Kritik daran, dass der Industriestrompreis nicht beschlossen wurde. Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), sagte: „Deutschlands Industrie sendet SOS, aber die Bundesregierung ignoriert weiter die akute Notlage. Statt Langfristprogramme brauchen wir schnelle Hilfe bei der Krisenbewältigung. Doch die Bundesregierung spielt weiter auf Zeit. Der Brückenstrompreis ist ein Must-have, um die Deindustrialisierung zu stoppen.“ Wichtige Konkurrenzstandorte wie China und die USA förderten ihre Märkte massiv. „Und wir schauen zu, wie unsere heimische Industrie um ihre Zukunft kämpft.“
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