Debatte um Hamburgs Verkehrspolitik: Tramophobie im Rathaus
Hamburgs Bürgermeister bezeichnet Straßenbahnen als „altmodische Stahlungetüme“. Keine Großstadt baue sie heute noch in ihr Zentrum. Aber stimmt das?
Dabei möchte auch Rot-Grün in Hamburg, dass Menschen weniger Auto fahren. Bis 2030 sollten 80 Prozent der Wege per Rad, zu Fuß oder per Bus und Bahn zurückgelegt werden, ist das erklärte Ziel eines Bündnisses, das Tschentscher vorstellte.
Da überrascht diese schroffe Absage an die Straßenbahn, für die es in Hamburg mal ein gut verzweigtes Netz gab und die Mobilität für jeden ermöglichte, als das Auto noch Luxusgut war.
Ein Blick auf die Karte „Straßenbahnen der Welt“ zeigt, wie weit verbreitet die Tram auch heute ist und in wie vielen Teilen der Welt neue Straßenbahnen entstanden. Allein in Frankreich gibt es in 27 Städten Straßenbahnen, und außer in Paris führen auch alle ins Zentrum, wie Dieter Doege von der Initiative „Pro-Stadtbahn-Hamburg“ bemerkt. „24 davon wurden in den letzten 20 bis 30 Jahren gebaut.“ Die modernen Straßenbahnen seien übrigens aus einer hochfesten Aluminium-Legierung. Doege: „Nix mit Stahlungetümen.“
Mit dem Bus dauert es vier mal länger
Doch es scheint, als sei das Thema für Hamburgs SPD Tabu, seitdem der frühere Bürgermeister Olaf Scholz 2011 die Pläne der vorangegangenen schwarz-grünen Regierung beerdigte, um sich als Politiker der Mitte zu profilieren. Schwarz-Grün war damals an einem verlorenen Volksentscheid gegen eine ambitionierte Schulreform zerbrochen. Scholz’ Botschaft damals: keine Experimente mehr, zumal es tatsächlich Proteste gab.
Die Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann vermutet nun, Tschentscher leide an „Tramophobie“. Sie hat flugs eine Anfrage eingereicht, in der sie auf neue Stadtbahn-Systeme weltweit verweist, und fragt, ob der Bürgermeister das nicht weiß?
Doch Hamburgs Sozialdemokraten setzten seit zehn Jahren auf U-Bahn-Bau, tief unter der Erde, wo sie den anderen Verkehr nicht stören. Nur sind diese Pläne, wie etwa für die neue U5 im Norden der Stadt, teuer und schwer realisierbar. Und der Unter-der-Erde-Bau dauert lange. Doege rechnet mit der fertigen U5 nicht vor 2040. Dagegen sollte die erste Linie der noch 2010 unter Schwarz-Grün geplanten Stadtbahn nach zwei Jahren Bauzeit fertig sein, so nachzulesen ist das in der Broschüre „Die Stadtbahn. Für die Zukunft Hamburgs“. Diese biete Komfort und sei ökonomisch richtig, schrieb die Stadt damals: „Viele Metropolen erkennen heute diese Vorteile und führen moderne Stadtbahnsysteme ein“, hieß es dort.
Tschentscher setzt nun auf den Ausbau von Rad- und Fußverkehr und verspricht für Bus- und Bahn einen Fünf-Minuten-Takt. All das reicht aber nicht, schon gar nicht für eine alternde Bevölkerung. Für viele ist das eigene Auto immer noch konkurrenzlos effizient. Vor allem für jene, die nicht zentral wohnen.
Grüne halten an der Idee fest
Eine Fahrt von Rahlstedt in das gar nicht mal so weit entfernte Marienthal zum Beispiel dauert mit dem Auto 15 Minuten, mit dem Bus viermal so lange. „Was fehlt, sind schnelle periphere Querverbindungen“, sagt Dieter Doege. Und die wären mit Straßenbahnen rasch und günstig realisierbar. Nach dem Netzplan, den seine Initiative 2010 entwickelte, gäbe es zum Beispiel mit der Linie 16 den „Billstedt-Lattenkamp-Express“, der nicht nur die Großsiedlung Steilshoop, sondern eben auch von Rahlstedt nach Marienthal führt. Solche Querlinien gäbe es laut diesem Plan auch nördlich, südlich und westlich der Alster.
In der Grünen-Fraktion hält man zumindest an der Idee fest. Durch Stadtbahnen würden Stadträume an großen Straßen wieder lebenswerter, sagte Verkehrspolitiker Gerrit Fuß. „Städte wie Paris oder Stockholm setzen daher aus gutem Grund auf den Auf- und Ausbau ihrer Trambahnen.“ Auch wenn die Stadtbahn in Hamburg aktuell auf der Agenda nicht ganz oben stehe, so Fuß, spiele sie langfristig „eine Rolle“.
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