Verkehrswende in Kiel: Die Bahn kommt

In Kiel mangelt es an ÖPNV. Eine Studie wie sich das ändern ließe, hat ergeben: Die Tram ist für Kiel besser als spurgeführte Busse.

Eine Straßenbahn fährt 1964 durch Kiel.

Verkehrsmittel mit unverhoffter Zukunft: Straßenbahn in Kiel 1964 Foto: commons.wikimedia.org

KIEL taz | Vor fast vierzig Jahren rollte die letzte Tram in Kiel. Wenn alles gut läuft, wird in zehn Jahren erneut eine Straßenbahn durch die Straßen der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt fahren.

Seit Einstellung der Tram 1985 beschränkt sich der Nahverkehr in Kiel auf Busse und Fähren. Das Busnetz stößt jedoch mittlerweile vor allem in der Innenstadt und an Knotenpunkten an seine Grenzen. Zu Hauptverkehrszeiten sind die Busse oft überlastet, die Kapazitäten begrenzt. Nur wenige europäische Städte vergleichbarer Größe besitzen kein ÖPNV-System mit einem eigenen, vom Autoverkehr unabhängigen Trassen-Netz.

Vor zwei Jahren hat die Stadt im zweiten Anlauf eine Trassenstudie für solch ein Nahverkehrssystem in Auftrag gegeben. In einer zweijährigen Untersuchung durch das Planungsbüro Rambøll wurden die Potenziale einer Straßenbahn und eines BRT (Bus-Rapid-Transit) auf den wichtigsten Routen für Kiel verglichen. Beide Systeme fahren zu weiten Teilen auf eigenen Spuren, werden über ein Oberleitungssystem mit Strom versorgt und sind länger als herkömmliche Busse, wie sie zurzeit in Kiel fahren.

Da die Tram in ihrer längsten Version mehr als doppelt so lang ist wie die 25 Meter langen BRT-Fahrzeuge, wurden der Planung unterschiedliche Takte zu Grunde gelegt. Die Fahrzeuge des BRT sollen zu Hauptverkehrszeiten alle fünf Minuten verkehren, während die Tram für die gleiche Kapazität nur alle zehn Minuten fahren muss.

Busse an der Kapazitätsgrenze

„Allerdings würde das BRT in unseren Berechnungen in einigen Abschnitten schon jetzt die Kapazitätsgrenze überschreiten, die Frequenz kann nicht weiter erhöht und das Fahrzeug nicht verlängert werden“, erläutert Nils Jäning vom Planungsbüro Rambøll. Bei der Tram sieht das anders aus, denn sowohl über die Länge der Züge als auch über die Frequenz der Abfahrten bis hin zu einem Fünf-Minuten-Takt ließen sich in Zukunft mehr als doppelt so viele Fahrgäste mitnehmen. Der Vorteil liegt hier klar beim schienengebundenen System.

Günstiger ist die Tram auch im Unterhalt, weil sie weniger Personal benötigt als das BRT. Eine Förderung vom Bund, die insgesamt etwa die Hälfte der anfallenden Kosten ausmachen würde, gilt als gesichert, während das BRT vom Bund gar nicht gefördert werden würde. Das sieht inzwischen auch die oppositionelle CDU so, die sich in der Systemfrage nun ebenfalls für die Tram ausspricht.

Um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, seien Bür­ge­r:in­nen und An­lie­ge­r:in­nen seit Beginn der Planungen einbezogen worden, berichtet Anne Steinmetz, im Projekt zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung.

„Wir hatten eine frühere Diskussion über eine Stadt-Regional-Bahn, die krachend an zwei Punkten gescheitert ist: Zum einen fehlte die Unterstützung aus dem Kieler Umland, das ebenfalls von der Bahn erschlossen werden sollte, aber auch die Geschäftsleute aus der Holtenauer Straße standen der Bahn besonders kritisch gegenüber“, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) der taz. „Deswegen haben wir diesmal die Gewerbetreibenden in der Holtenauer Straße sehr früh in die Planung mit eingebunden.“

Ulf Kämpfer, SPD, Kieler Oberbürgermeister

„Wir hatten eine frühere Diskussion über eine Stadt-Regional-Bahn, die krachend an zwei Punkten gescheitert ist“

Mit Erfolg, denn die Stadt und die Gewerbetreibenden aus der wichtigsten Einkaufsstraße Kiels konnten nun eine Einigung erzielen: Drei der vier neuen Linien werden voraussichtlich durch die stark frequentierte Straße führen.

„Durch die Tram verspreche ich mir eine große Attraktivitätssteigerung, indem auch die Stadtteile Mettenhof und Gaarden und das gesamte Ostufer gut angebunden werden“, sagt Kämpfer. Insbesondere das Ostufer ist bislang schlechter an die Innenstadt angebunden. Die neue Straßenbahn soll dabei noch größere Teile des Ostufers bedienen als die Linie 4 des alten Straßenbahnnetzes.

Die insgesamt vier neuen Linien verlaufen nur zum Teil auf den Trassen der ehemaligen Tram. „Städtebaulich hat sich seitdem einiges entwickelt, weswegen verschiedene Vorschläge und Faktoren in die Trassenstudie mit eingeflossen sind“, sagt Christoph Karius, Leiter der Stabsstelle Mobilität der Stadt. Die neuen Strecken sollen nun die Korridore mit der größten Nachfrage abdecken, Erweiterungen in den Norden und Süden für eine zukünftige Stadtentwicklung sind ebenfalls eingeplant.

„Mein Eindruck ist, dass das Projekt einen großen Rückhalt hat und die Stadtgesellschaft nicht mehr über das ‚Ob‘, sondern nur noch über das ‚Wann‘ und ‚Wie‘ diskutiert“, sagte Kämpfer.

Ob eine Fertigstellung bis 2033 gelingt? „Zuversichtlich bin ich“, meinte der Kieler Oberbürgermeister und fügte hinzu: „Ich hätte es auch gerne schneller, aber wir schaffen hier eine Infrastruktur, die für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, die Stadt prägen soll, da ist die Absicherung des Projekts wichtiger, als dass wir es ein, zwei Jahre schneller fertigstellen.“

Nahverkehrsfrieden geschlossen

Jan Niemeyer hofft, dass der Zeitplan noch optimiert werden kann: „Wir sind guter Dinge, das die Straßenbahn sich schneller fertigstellen lässt“, sagt der Gründer der Bürgerinitiative „Tram für Kiel“, die sich seit 2010 für eine Straßenbahn in der Stadt stark macht.

Dass sich die Tram argumentativ gegenüber dem BRT durchgesetzt hat, muss nun noch final von der Ratsversammlung bestätigt werden – eigentlich reine Formsache, denn in einem „Nahverkehrsfrieden“ haben sich die Parteien auf das Befolgen der Ergebnisse der Trassenstudie geeinigt. Dann geht es für das Projekt in ein Planfeststellungsverfahren, bis 2030 mit dem Bau begonnen werden kann. Bis 2038 möchte die Stadt die vollen 36 Kilometer Straßenbahn fertigstellen.

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