Debatte um Grenzkontrollen: Kaum zu stemmender Kraftakt
3.800 Kilometer rund um die Uhr zu kontrollieren, sprengt die Kräfte der deutschen Polizei. Der Kampf muss sich auf die Hintermänner konzentrieren.
E s klingt nach einer guten Bilanz. Rund 150 Schleuser wurden seit Einführung der temporären deutschen Grenzkontrollen für die EM bis Ende Juni vorläufig festgenommen, 600 offene Haftbefehle vollstreckt, 3.200 „unerlaubte Einreisen“ verhindert. Die Forderung von Union und FDP, die Grenzkontrollen zu verlängern, kommt daher wenig überraschend. Nur: Das Instrument bleibt weiter vor allem Symbolpolitik.
Denn gemessen an dem Kraftakt, den die jüngsten Kontrollen bedeuten, relativieren sich die Zahlen. 22.000 Beamte allein der Bundespolizei waren zur EM eingesetzt. Jeden Tag. Auf Dauer ließe sich so ein solcher Kraftakt personell gar nicht stemmen. Das sagt die Polizei, die ihre Leute anderweitig „dringend braucht“, selbst. Und auch mit den zuletzt eingerichteten wenigen Dutzend Kontrollstellen kann die 3.800 Kilometer lange deutsche Grenze nur punktuell überwacht werden.
Und Migration drosseln, wie es sich FDP und Union erhoffen, wird das auch nicht. Wer die Grenze erreicht und einen Asylantrag stellen will, darf einreisen, so ist die Rechtslage. Und auch Schleuser werden sich von den Kontrollen nicht abhalten lassen, sondern andere Wege zur Einreise suchen. Grenzkontrollen werden hier allenfalls die letzten Glieder der Netzwerke treffen. Viel entscheidender wäre es, die Hinterleute zu ermitteln.
Außerdem ist es nicht so, dass die Grenzen demnächst wieder völlig unkontrolliert wären: Die Kontrollen zu Polen, Österreich, Tschechien und zur Schweiz bleiben vorerst. Auch die Schleierfahndung, mit der die Polizei hinter der Grenze Kriminelle stoppen kann, gibt es weiter. Natürlich wissen all das auch Union und FDP. Beide Parteien zielen mal wieder auf politische Profilierung beim Lieblingsthema Migration.
Dabei gerät einmal mehr ins Hintertreffen, dass die Freizügigkeit eine der Grundpfeiler der Europäischen Union ist, ja eine ihrer größten Errungenschaften. Damit sollte man nicht leichtfertig politische Spielchen betreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen