Debatte um Buchpreis für Habermas: Eine überfällige Kontroverse
Jürgen Habermas hat den „Sheikh Zayed Book Award“ abgelehnt. Nun ist ein Streit um die Strategien auswärtiger Kulturpolitik entbrannt.
Man muss Jürgen Habermas dankbar sein. Dankbar dafür, dass der 91-jährige deutsche Philosoph die Auszeichnung mit dem Sheikh Zayed Book Award aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zunächst annahm. Und noch mehr dafür, dass er als international führender Demokratietheoretiker diesen nach dem Patriarchen der Herrscherfamilie Abu Dhabis benannten Preis nun doch nicht annimmt.
Die mit 225.000 Euro (!) dotierte Auszeichnung sollte ihm im Rahmen der am 23. Mai beginnenden Buchmesse in Abu Dhabi verliehen werden. Frankfurter Buchmesse, Auswärtiges Amt und Wirtschaftsministerium organisieren dort den Auftritt deutscher Kultur und Verlage in der Hauptstadt der Emirate. Das stärkste der dank Petrodollars reich gewordenen, aber menschenrechtlich betrachtet immer noch armen Emirate gilt der auswärtigen Kulturpolitik als strategischer Partner.
So sitzt Buchmessenchef Juergen Boos im neunköpfigen Beirat des Sheikh Zayed Book Award. Schirmherr des Preises ist kein Geringerer als Kronprinz Muhammad bin Zayid Al Nahyan selbst, der de facto Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Machthaber am Golf ist. „Gerade dieser Preis für Habermas wäre jedoch mehr gewesen“, schrieb Stefan Weidner auf dem Internetportal Qantara.de, das zur Deutschen Welle gehört.
Der Buchautor und Arabist sagt, was Boos oder Strategen wie Andreas Görgen vom Auswärtigen Amt in solchen Fällen zur Rechtfertigung gerne behaupten. „Fortan“, so Weidner, „hätte unsere Diplomatie die emiratische Politik an den Maßstäben unseres besten Philosophen messen dürfen. Allerdings sind es Maßstäbe, denen auch die westlichen Gesellschaften kaum je genügen.“ Der zweite Satz hier versteht sich als Zugabe für notorisch antiwestlich orientierte Kreise. Über solch relativierende Behauptungen und angedeutete Gleichsetzungen von Demokratien mit Diktaturen kann man halt mit allen im Geschäft bleiben.
Dichtender Emir
Doch gibt es für Weidners Einlassung, die Emirate hätten sich künftig an Habermas' Demokratieverständnis messen lassen wollen, glaubwürdige Hinweise? Eher nicht. Dietmar Pieper berichtet im Spiegel, wer vor Habermas auch schon den Sheikh Zayed Book Award erhielt. Habermas’ Vorgänger als „kulturelle Persönlichkeit“ des Jahres war 2015 etwa Mohammed bin Rashid Al Maktoum, seines Zeichens Emir von Dubai. In seiner Freizeit pflegt er das „freie Wort“ und schreibt Gedichte.
Jüngst ließ er jedoch seine Tochter Latifa entführen. Die Prinzessin war ins Ausland geflüchtet. Der dichtende Vater ließ sie zurück nach Dubai verschleppen. In einem an die BBC gelangtem Video wandte sich die Gefangene Hilfe suchend an die Öffentlichkeit.
Wo politisch nichts mehr geht, da geht oft noch etwas mit Kultur, so das Credo der mit auswärtiger Kulturpolitik Beschäftigten. Und sie haben oftmals recht. Das Goethe-Institut bietet in manchen Ländern tatsächlich Oasen für einen freieren Kulturaustausch. Die Softpower Kultur unterschätzen autoritäre Regime häufig, die jeweiligen Zivilgesellschaften schätzen sie um so mehr.
Habermas' Schriften zirkulieren im Arabischen. Sollten sie wegen seiner Ablehnung in den Emiraten nun unterm Tisch gehandelt werden, wäre die Wirkung aufgrund seiner Redlichkeit nur um so größer.
Politisch naiv
Für Boos und die Buchmesse sollte die Affäre Habermas den Anstoß geben, die Strategie zu überdenken. Legitime geschäftliche Interessen sollte man nicht mit kulturell überhöhten und politisch naiv anmutenden Erwartungen überfrachten. Es passt irgendwie nicht, im Namen von Toleranz, Freiheit und Internationalität Preise absoluter Fürsten zu promoten.
Gerade die Scheichtümer am Golf versuchen sich durch das Einkaufen westlicher Kultur und Kunst im großen Maßstab als Player für die Zeit nach dem Erdöl neu aufzustellen. Ein nicht nachhaltiger Tourismus, Luxus-Parallelwelten und große Investitionen im Ausland sind hierfür Stichworte. Demokratische Reformen bleiben aus.
Die Briten haben Hongkong und seine Demokratie aufgegeben. Aus Furcht vor einer ökonomisch und militärisch drohenden Diktatur. Über Habermas, den Sheik Zayed Book Award und auswärtige Kulturpolitik sollte man offen vor dem Hintergrund solcher globalen Entwicklungen sprechen. Stefan Weidner schreibt auf Qantara.de, Habermas habe dem kulturellen Dialog durch die Absage einen „Bärendienst“ erwiesen. Das Gegenteil ist der Fall.
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