Die Wahrheit: „Der Geldsegen käme sehr gelegen“

Wird der Dichter Thomas Gsella in Abu Dhabi als Ersatzmann für Jürgen Habermas einspringen? Das Wahrheit-Gespräch.

Porträt von Scheich Mohammed bin Zayed.

Soll der Kronprinz darauf sitzenbleiben? Wäre das nicht traurig? Scheich Mohammed bin Zayed Foto: Reuters

Es ist eine bittere Pille für Mohammed bin Zayed, den Kronprinzen von Abu Dhabi: Unter seiner Schirmherrschaft wurde dem Philosophen Jürgen Habermas der mit 225.000 Euro dotierte Sheikh Zayed Book Award in der Kategorie „Kulturelle Persönlichkeit des Jahres“ zuerkannt, und Habermas wollte ihn gern annehmen, überlegte es sich dann aber anders und erklärte: „Die sehr enge Verbindung der Institution, die diese Preise in Abu Dhabi vergibt, mit dem dort bestehenden politischen System habe ich mir nicht hinreichend klar gemacht.“ Wohin nun mit diesem Preis und dem schönen Preisgeld? Soll der Kronprinz darauf sitzenbleiben? Wäre das nicht furchtbar traurig? Wie aus unserem Gespräch mit dem Dichter Thomas Gsella hervorgeht, gibt es einen Ausweg aus dieser verzwickten Lage.

taz: Herr Gsella, Sie wollen für Jürgen Habermas einspringen und stellvertretend für ihn den Sheikh Zayed Book Award annehmen. Warum?

Thomas Gsella: Zunächst einmal möchte ich Jürgen Habermas meine Hochachtung zollen. Sein Entschluss, diesen Preis abzulehnen, zeugt von Mannesmut und Zivilcourage, obwohl wir natürlich alle wissen, dass der Mann das Geld ohnehin nicht gebraucht hätte. Ist Habermas nicht schon seit Jahrzehnten Multimillionär?

Sie weichen aus. Beantworten Sie bitte die Frage, weshalb Sie für Habermas einspringen wollen.

Liegt das nicht auf der Hand? Es wäre doch ein Jammer, das Preisgeld verfallen zu lassen. Und bei mir wäre es an der richtigen Adresse. Ich bin ebenfalls eine kulturelle Persönlichkeit, und Abu Dhabi ist für mich seit jeher so eine Art Sehnsuchtsort gewesen. In meinem Abiturjahr habe ich den Zweizeiler geschrieben: „Und gleich nach dem Abi / geht’s ab nach Abu Dhabi!“

Sie nehmen also keinen Anstoß an der sehr engen Verbindung der Institution, die diese Preise in Abu Dhabi vergibt, mit dem dort bestehenden politischen System?

Nein.

Wieso nicht?

Ich weiß ja nicht einmal, wo Abu Dhabi liegt. Und ich bezweifle übrigens, dass die Einwohner von Abu Dhabi ihrerseits wissen, wo wiederum ich gerade liege, nämlich auf einem Sofa in meiner Wohnung in Aschaffenburg, die seit Jahren mal renoviert werden müsste. Mit dem Preisgeld könnte ich hier viel verändern …

Zum Beispiel?

Ein Mauerdurchbruch zwischen Wohnzimmer und Gästezimmer wäre schön. Dann hätte ich endlich mehr Platz für meine Carrera-Bahn.

Die hat doch aber schon sechs Loopings. Reicht Ihnen das nicht?

Sie stellen die falschen Fragen. Wollen Sie nicht wissen, ob ich einen Teil des Preisgelds für mildtätige Zwecke spenden möchte?

Haben Sie das denn vor?

Eher nicht. Oder sehe ich aus wie Mutter Teresa? Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen. Das hat mich hart gemacht. Leute wie ich haben noch nie irgendwas zu verschenken gehabt. Für mich gilt einzig und allein das Gesetz des Dschungels, und ich glaube, dass ich mich da auf einer Wellenlänge mit dem Kronprinzen Mohammed bin Zayed befinde.

Kennen Sie ihn persönlich?

Wir sind einander vor 20 Jahren mal in der Essener Grugahalle bei einem Konzert von Milva über den Weg gelaufen, aber da war er so blau, dass er sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern kann.

Und womit glauben Sie den Sheikh Zayed Book Award verdient zu haben?

Einerseits mit meinem Lebenswerk als Dichter und andererseits mit meinem Organisationstalent. Zurzeit bin ich mit einer Neugründung der Gruppe 47 beschäftigt.

Sie meinen die lose Vereinigung deutschsprachiger Schriftsteller, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten bestanden hat …

Ja, genau. Nur hat die alte Gruppe 47 alles falsch gemacht. Deren Spiritus Rector Hans Werner Richter hat einfach keine blasse Ahnung von modernem Management gehabt. Ich werde das Ding völlig anders aufziehen und eine ganz, ganz flache Hierarchie implementieren. Mit mir selbst als Chef und einzigem Mitglied.

Wie kommen Sie darauf, im Alleingang eine Gruppe bilden zu können?

Bei mir ist das so ähnlich wie bei Bob Dylan: I contain multitudes. Ich bin nicht nur Dichter, sondern auch Troubadour, Bajazzo, Eulenspiegel, Harlekin, Rampensau, Poeta doctus, Gaukler, Musensohn und Bürgerschreck.

Und wieso der Name „Gruppe 47“?

Weil er a) gut eingeführt ist und ich b) in Kürze meinen 47. Geburtstag feiern werde.

Laut Wikipedia sind Sie aber Jahrgang 1958.

Jugendlichkeit ist keine Frage des Kalenders. Im Übrigen werde ich etwas von dem Geldsegen aus Abu Dhabi für eine Schrothkur in Oberstaufen abzweigen. Dabei werden verjüngende Glückshormone freigesetzt.

Sie scheinen fest damit zu rechnen, dass man Sie als stellvertretenden Preisträger akzeptiert …

Das ist doch klar wie Suppengrün! Kulturelle Persönlichkeiten des Jahres wachsen schließlich nicht auf den Bäumen, und ich bin nun mal nicht so ein unsicherer Kantonist wie Habermas. Der Kronprinz Mohammed bin Zayed bin Sultan Al Nahyan kann sich felsenfest darauf verlassen, dass ich den Preis annehmen werde.

Habermas ist für seine Absage jedoch allgemein gelobt worden. Haben Sie keine Angst um Ihren guten Ruf?

Ach was. Ich hab ganz andere Sorgen. Unter uns gesagt: Ich muss Alimente für sieben uneheliche Kinder zahlen, bin fünf Monate mit der Miete im Rückstand und stehe bei einem Kredit­hai, der einen sizilianischen Migrationshintergrund hat, mit 20.000 Euro in der Kreide. Der Sheikh Book Award ist der letzte Strohhalm, nach dem ich greife.

Unter diesen Umständen wünschen wir Ihnen selbstverständlich viel Erfolg, Herr Gsella.

Vielen Dank! Und da wir gerade bei diesem Thema sind: Könnten Sie mir vielleicht zehn Euro leihen?

Nein.

Schade.

Herr Gsella, wir danken Ihnen dennoch für das Gespräch.

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