Debatte um Autorin Adania Shibli: Schatten auf der Buchmesse
Kann man einen Roman auszeichnen, der Israel als Mordmaschine darstellt? Dieser Diskussion muss sich die Frankfurter Buchmesse stellen.
Die Terroristen der Hamas zogen noch mordend durch Israel, als im Berliner Stadtteil Neukölln die schrecklichen Taten schon bejubelt wurden. Der Konflikt im Nahen Osten findet längst auch in Deutschland statt, und keineswegs nur im Viertel mit hohem Migrationsanteil, sondern auch im hiesigen Kulturbetrieb. Statt Baklava für Passanten, die sich über den Tod von israelischen Zivilisten freuen, werden unter dem Applaus von vielleicht wohlmeinenden Geldgebern auch Preise an Werke verliehen, die den Staat Israel als Mordmaschine darstellen.
Der WDR-Journalist Ulrich Noller hat in diesem Sommer aus Protest gegen die Entscheidung, der palästinensischen Autorin Adania Shibli für ihren Roman „Eine Nebensache“ den „LiBeraturpreis 2023“ zu verleihen, die mitverantwortliche „Weltempfänger“-Jury verlassen. Die Begründung für die Auszeichnung: Es handele sich um ein „streng durchkomponiertes Kunstwerk, das von der Wirkmacht von Grenzen erzählt und davon, was gewalttätige Konflikte aus Menschen machen“. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Der Text ist zweigeteilt. Er erzählt zunächst von einem historischen Verbrechen im Sommer 1949. Ein palästinensisches Mädchen wird von israelischen Soldaten missbraucht und ermordet. Die Geschichte, die in israelischen Medien vor 20 Jahren aufgearbeitet wurde, ist zunächst im Stile französischer Existenzialprosa in auktorialer Perspektive geschrieben.
Junge Soldaten, in der Negev-Wüste stationiert, langweilen sich und leiden unter der sengenden Hitze. Der Kommandeur hat Halluzinationen. Auf einer Patrouillenfahrt trifft er überraschend auf eine Gruppe von Beduinen, die er umgehend erschießen lässt. Die Überlebenden dieses Massakers, ein Hund und ein Mädchen, werden in das Militärcamp verschleppt.
Preisvergabe wäre kaum auszuhalten
Der zweite Teil spielt Jahrzehnte später. Eine Journalistin aus Ramallah möchte mehr über dieses Verbrechen erfahren. Die Ich-Erzählung entwickelt nun einigen Sog, weil die getriebene Protagonistin damit kämpft, „Grenzen zu erkennen und Situationen logisch und rational zu beurteilen“. Das kann an den Checkpoints der israelischen Armee tödlich sein.
Sein einfühlsamer Ton überlagert ein Grundproblem des Textes: In diesem Kurzroman sind alle Israelis anonyme Vergewaltiger und Killer, die Palästinenser hingegen Opfer von vergifteten bzw. schießwütigen Besatzern. Die Gewalt gegen israelische Zivilisten kommt wohl auch deshalb nicht vor, weil sie als legitimes Mittel im Befreiungskampf gegen die Besatzer gilt. Das ist die ideologische und auch menschenverachtende Basis des Buchs, und so gerät auch der tödliche Romanschluss zu einer pamphlethaften Anklage, in dem sich alle Stereotype des Textes noch einmal bündeln.
Nach Ansicht Ulrich Nollers bedient der Roman „antiisraelische und antisemitische Narrative, und er lässt dabei solche Lesarten nicht nur zu, sondern eröffnet ihnen Räume“. Der Schriftsteller Maxim Biller erinnerte in der SZ daran, „dass das Buch mit der symbolträchtigen Ermordung der verängstigten palästinensischen Ich-Erzählerin durch ein paar gesichtslose, namenlose, brutale israelische Soldaten endet, was aus dem Roman am Ende dann doch nur ein unliterarisches Stück Propaganda macht“.
Am Freitag, 20. Oktober, soll der Preis vom gemeinnützigen Verein Litprom auf der Frankfurter Buchmesse feierlich verliehen werden. Nach den Massenmorden der Hamas-Terroristen aber wäre die Preisvergabe kaum auszuhalten.
Die Statuten der Buchmesse sehen vor, dass die Verleihung eines Literaturpreises an Shibli nicht verhindert werden kann. Die Autorin kann als BDS-Unterstützerin bezeichnet werden, schließlich hat sie im Jahr 2007 einen Boykottaufruf des BDS unterzeichnet, in dem Israel mit dem damaligen Apartheidregime in Südafrika verglichen wird – ein Klassiker des modernen Antisemitismus. Im Literarischen Quartett nannte Jakob Augstein Adania Shibli „eine politische Aktivistin“.
Gerade deshalb sollte es auf der Messe eine Diskussionsveranstaltung geben, die der Frage nachgeht, warum im deutschen Kulturbetrieb israelfeindliche und tendenziell auch antisemitische Stimmen seit Jahren hofiert werden.
Die Frankfurter Buchmesse versteht sich nicht nur als Handelsplatz, sondern immer auch als Forum für gesellschaftspolitische Debatten und Ort symbolträchtiger Gesten. Räume für Ressentiments, die eine Grundlage für Hassverbrechen abgeben, sollte die Messeleitung jedenfalls nicht unwidersprochen zulassen.
Hinweis der Redaktion: Der Artikel wurde an einer Stelle nachträglich geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf