Debatte um Abschaffung von §219a: Vier zu eins
Abgeordnete verschiedener Fraktionen diskutieren, was mit dem Werbeverbot für Abtreibungen passieren soll. Auch die Union nimmt am Gespräch teil.
Erstmals sitzt auch die Union mit am Tisch: Am Mittwochmorgen haben Abgeordnete verschiedener Bundestagsfraktionen gemeinsam über die Zukunft des Paragrafen 219a diskutiert. SPD, Grüne und Linke wollen den Paragrafen streichen, der das Werben für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt – und dabei so weit gefasst ist, dass auch sachliche Informationen über den Eingriff dadurch verhindert werden. Auch die FDP sieht gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Die Union lehnt solche Schritte bisher ab.
Anlass für die Debatte um den Paragrafen ist der Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel, die Ende November vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde. Grund dafür ist, dass auf ihrer Webseite das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ und Informationen zum Eingriff zu finden sind. Hänel will Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen und notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen. Angezeigt wurde sie von radikalen Abtreibunsgegner*innen, die sich den Paragrafen zunehmend systematisch zunutze machen. Linke, Grüne und SPD haben inzwischen Gesetzentwürfe zur Streichung des Paragrafen vorgelegt. Erst am Dienstag hatte Hänel Abgeordneten des Bundestags die mehr als 150.000 Unterschriften der Petition übergeben, die sie gestartet hat.
Nun werden die Mehrheiten ausgelotet. In einem waren sich die Teilnehmenden einig: Das Treffen sei „sehr konstruktiv“ gewesen. „Das heutige Gespräch diente zunächst einmal dazu, die grundsätzlichen Möglichkeiten einer überfraktionellen Initiative bei Paragraf 219a StGB auszuloten“, sagt Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. „Die unterschiedlichen politischen Grundhaltungen und Anliegen kamen so miteinander ins Gespräch und verschiedene Lösungen wurden andiskutiert“, berichtet Cornelia Möhring von der Linksfraktion.
Ob eine Lösung mit allen Fraktionen, die am Mittwoch am Tisch saßen, möglich sei, werde sich im kommenden Jahr zeigen, sagte Ulle Schauws (Grüne). „Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Einigung im Sinne der Frauen kommen werden – für Informationsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung.“ Dafür ist allem Anschein nach noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Auch Elisabeth Winkelmann-Becker (CDU) betont, sie schätze die interfraktionelle Zusammenarbeit. „Dieses Treffen haben wir als Union aber genutzt, um klar zu machen, dass wir am Werbeverbot festhalten“, so Winkelmann-Becker. „Der Paragraf 219a StGB gehört für uns unverzichtbar zum Schutzkonzept mit dem die Grundrechte des Ungeborenen gewahrt werden.“
Um eine von möglichst vielen Fraktionen getragene Entscheidung zu ermöglichen, hat Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, in den vergangenen Wochen eine Änderung des Paragrafen statt einer Streichung vorgeschlagen. Sowohl er als auch seine Parteikollegin Katja Suding können sich einen kompletten Wegfall des Paragrafen aber vorstellen. „Uns als FDP ist wichtig, Frauen in einer schwierigen Situation alle nötigen Informationen leichter zugänglich zu machen und Ärztinnen und Ärzte, die solche Informationen anbieten, nicht zu kriminalisieren“, sagt Suding. „Eine inhaltliche Annäherung gab es zwar noch nicht“, erklärt Thomae. Die interfraktionellen Gespräche sollen aber im Januar fortgesetzt werden. Rein rechnerisch wäre eine Mehrheit gegen den Paragrafen im Bundestag nur mit den Stimmen von SPD, Linken, FDP und Grünen machbar.
Aller Voraussicht nach wird sich auch der Bundesrat in seiner letzten Sitzung am kommenden Freitag mit dem Paragrafen 219a beschäftigen. Das Land Berlin hat eine Gesetzesinitiative eingebracht, um den Paragrafen zu streichen. Hamburg, Bremen, Brandenburg und Thüringen haben bereits angekündigt, diesen Schritt zu unterstützen.
In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nach Paragraf 218 StGB verboten, aber bis zur zwölften Woche nach Empfängnis straffrei, wenn die Frau sich drei Tage vor dem Eingriff in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle hat beraten lassen. Paragraf 219a verbietet die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“, worunter auch fällt, dass Ärzt*innen öffentlich darüber informieren, die Abbrüche durchzuführen. Kritiker*innen sehen darin eine Einschränkung der ärztlichen Berufsfreiheit sowie der Rechte der Frauen auf Selbstbestimmung und freie Arztwahl. Befürworter fürchten bei Wegfall des Paragrafen eine Kommerzialisierung von Abtreibungen, etwa durch reißerische Werbung. Diese wäre aber durch die Berufsordnung der Ärzt*innen in Deutschland ohnehin unzulässig.
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