Debatte über Lebensläufe: Erlaubt ist, was gefällt
Diskussionen über den Lebenslauf der Kanzlerkandidat:innen verfehlen die Realität. Es ist gewöhnlich, Lebensläufe ein wenig aufzupeppen.
„Meine akademische Heimat ist das Völkerrecht“, hat die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, in den Angaben zu ihrer Ausbildung unter anderem übertrieben. So weit so gut, denn jede von uns kennt sie: die charmanten Mogeleien, die uns und unser Leben (für andere) interessanter machen, die uns aufwerten und ein wenig Farbe in unsere graue Existenz zaubern. Außerdem wollen wir ja den Job.
Doch die Krümelkacker möchten ihr jetzt daraus einen Strick drehen. Und nicht nur ihr. Auch der Lebenslauf des Kanzlerkandidaten der CDU, Armin Laschet, ist wegen Unklarheiten bezüglich seines Direktoriumspostens bei der Gesellschaft für die Verleihung des Karlspreises ins Gerede geraten.
Eine andere Erinnerung strich er hingegen aus dem Lebenslauf. So unterrichtete Laschet an der RWTH Aachen jahrelang in Politikwissenschaften. Im Sommer 2014 unterlief ihm dabei ein Missgeschick, als er sämtliche Klausuren seiner Studenten verbummelte. Noch heute wird er in Aachen „Würfel-Armin“ genannt, weil er die Noten auf abenteuerliche Weise anhand von Aufzeichnungen zu rekonstruieren versuchte. Daraufhin tilgte er die Episode kurzerhand aus seinem CV.
Ein schönes Beispiel dafür, dass man, um die Vita aufzuhübschen, Tätigkeiten auch verschweigen kann. So ließen Bewerber im kaum entnazifizierten Nachkriegsdeutschland ihre berufliche Vergangenheit während des tausendjährigen Reiches gerne mal im Vagen: Irgendwas mit Chemie, irgendwas mit Krieg, irgendwas mit Unrecht – das musste reichen. Auch wer im Gefängnis eine Lehre abschließt, wird eher die Qualifikation als deren Anlass oder Ort betonen.
Und das ist völlig in Ordnung. Denn festzuhalten bleibt, dass es nicht nur gang und gäbe, sondern vollkommen zulässig ist, die Erfahrungen und Skills im Lebenslauf ein wenig aufzupeppen, „wenn die Aussage im Kern wahr bleibt, also zum Beispiel eine schlechte Note in ihrem Kontext beschönigt oder in einen Zusammenhang gestellt wird, der sie unauffälliger macht“, wie die Rechtsanwältin Asma Hussain-Hämäläinen für das Bonner WILA-Bildungszentrum erklärt. Dort sieht auch Pascal Croset, Anwalt für Arbeitsrecht, den Versuch der Bewerberin, ihre Beteiligung an einem renommierten Projekt „in ein sehr positives Licht zu setzen oder unscharf zu beschreiben“, noch im grünen Bereich, selbst wenn dieser Beitrag nur aus „Pizzaholen“ bestünde.
Offizieller Segen
Soll heißen: Das macht doch jeder Idiot so und Bewerbungsratgeber wie dieser geben der kleinen Schwindelei den offiziellen Segen. Zeugnisse zu fälschen sei jedoch so wenig legitim wie lügen (Ausnahme: zu Fragen, die nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht gestattet sind, wie zum Beispiel nach Familienplanung oder Religionszugehörigkeit).
Doch hier geht es ja nicht um Fälschung. Wenn Frau Baerbock in ihrem Lebenslauf schreibt, sie habe Politische Wissenschaften studiert, dann stimmt das nun mal. Von einem Abschluss war nicht die Rede. Nur als Futter für die Hater hat sie ihre Website dahingehend geändert, dass besagtes Studium nur mit dem Vordiplom beendet wurde. Doch die Bewerbungsratgeber sprechen eine eindeutige Sprache: Sie müsste dass nicht tun, sie hat sich nur an gängige Gepflogenheiten gehalten. Und was heißt überhaupt: „nur“ mit dem Vordiplom?
Das ist doch super, das muss man erst mal schaffen. So hat der Autor dieser Zeilen Geschichte, Germanistik, Anglistik, Publizistik, Philosophie und weiß der Geier was noch alles studiert. Mit einem Studentenausweis konnte man nun mal billiger ins Museum und bekam ein günstiges Monatsticket für den ÖPNV. Doch von einer Zwischenprüfung geschweige denn einem Vordiplom konnte er zeitlebens nicht mal träumen.
Dennoch könnte auch ich sagen: „Meine akademische Heimat ist das Völkerrecht.“ Wenn ich das so empfinde, weil ich Völkerrecht irgendwie cool finde, ist das mein gutes Recht. Der Satz ist kein geschützter Begriff, jede kann ihn verwenden, dazu braucht sie noch nicht einmal ein Vordiplom. Man solle die Mauscheleien jedoch nicht übertreiben, mahnt der Ratgeber des WILA schließlich, denn wenn man für den Job dann doch nicht geeignet sei, fiele das in der Probezeit ohnehin auf. Dann wäre es das gewesen mit dem Job als Bundeskanzlerin.
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