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Debatte über GrundeinkommenBedingungslose Hilfe in der Krise

Pandemiehilfen kommen bei vielen nicht an. Da passte es, dass ein Vorschlag für ein Grundeinkommen Thema im Petitionsausschuss des Bundestags war.

Im September demonstrierten Beschäftigte der Veranstaltungsbranche in Berlin Foto: Christian Spicker/imago

Berlin taz | Weil die Zahl der Corona-Infizierten wieder steigt, fürchten viele Firmen und Geschäfte, dass sie abermals schließen müssen. Hunderttausende Kulturschaffende, Konzertveranstalter und Selbstständige verdienen bereits seit März kaum Geld. Da passte es gut, dass am Montag Susanne Wiest ihren Vorschlag für die „Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens“ für alle Bundesbürger:innen im Petitionsausschuss des Bundestags vorstellen konnte.

„Viele Menschen fallen bei den Corona-Hilfsmaßnahmen der Regierung durch das Raster“, erklärte die Aktivistin, die seit Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen kämpft. „Wir müssen unserer Gesellschaft einen Boden einziehen, der alle trägt.“ Gut 176.000 Personen haben ihre Petition unterzeichnet, auf diversen Plattformen kamen während der vergangenen Monate über eine Million Unterschriften für die neue Sozialleistung zusammen.

Die Bundesregierung hat zwar Hunderte Milliarden Euro für Corona-Hilfsprogramme bereitgestellt, doch viele Selbstständige und kleine Firmen profitieren kaum davon. Meist darf das Geld nur für Betriebsausgaben, nicht aber für den persönlichen Lebensunterhalt verwendet werden.

Zur Unterstützung brachte Wiest den Freiburger Wirtschaftsprofessor Bernhard Neumärker mit. Der erklärte, wie man ein Krisen-Grundeinkommen für alle Erwachsenen in Höhe von zunächst 550 Euro pro Monat sofort umsetzen könnte. Es sei nicht kompliziert, vorhandene Sozialleistungen wie Hartz IV und einen Teil der Coronaprogramme umzuwidmen, so Neumärker.

Ungewollte Diätenerhöhung

Während Katja Kipping, Parteichefin der Linken, und Beate Müller-Gemmeke von den Grünen wohlwollend nachfragten, äußerten sich die Abgeordneten von Union, SPD, FDP und AfD kritisch. Pascal Kober, sozialpolitischer Sprecher der FDP, betonte, er erhielte dadurch quasi eine „Diätenerhöhung“, die er gar nicht brauche.

Susanne Wiest antwortete, wohlhabende Bürger:innen könnten das Geld ja freiwillig an den Staat zurückspenden. Das Krisen-Grundeinkommen sei erst mal ein Übergangsmodell, um die Coronazeit zu überstehen. Danach ließe sich das System so organisieren, dass Leute mit hohen Einkommen und Vermögen die Sozialleistung mittels höherer Steuersätze automatisch zurückzahlten.

Nach der Diskussion im Petitionsausschuss muss der Ausschuss die Eingaben samt einer positiven oder negativen Empfehlung an das Plenum des Bundestags weiterleiten. Im Falle des Grundeinkommens könnte eher das Zweite passieren. Womöglich kommt es aber zu einer Aussprache im Parlament, wodurch das Thema mehr öffentliche Bedeutung erhielte.

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22 Kommentare

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  • Würde vllt. in einem real nicht existierenden Sozialismus funktionieren, nicht jedoch in unseren kapital-demokraturischen GeldStaaten. Ein Obdachloser steigt zum Vagabunden damit auf, ein Städter schafft es damit nur bis zur nächsten Schnaps-Bude.

  • Selbstständige sollten in Zukunft dazu verpflichtet werden in die Sozialkassen / Arbeitslosenversicherung einzuzahlen

  • zur Finanzierung eines BGE siehe (u.a.) hier: bgerheinmain.blogs.../bge-finanzierung/

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    "„Wir müssen unserer Gesellschaft einen Boden einziehen, der alle trägt.“

    Und der Boden heißt Hartz IV. Ist halt nur nicht bedingungslos. Muss es aber auch nicht sein.

  • Zitat: „Wir müssen unserer Gesellschaft einen Boden einziehen, der alle trägt.“

    Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich so ein „Boden“ wird, ist extrem unwahrscheinlich. Es wird vor allem zwei Konsequenzen haben: Es werden sich noch mehr Politiker von ihrer Verantwortung für „die da unten“ befreit fühlen und noch mehr Menschen am unteren Ende der Gesellschaft werden glauben, Politik hätte mit ihrem Leben rein gar nichts zu tun (und eventuelle Probleme wären ausschließlich ihre persönliche Schuld).

    Das kann man natürlich wollen als „Aktivistin, die seit Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen kämpft.“ Muss man aber nicht. Nicht, wenn man auch die negativen Folgen seiner Lieblingsidee sehen kann, weil man auf diesem Auge noch nicht ganz blind ist vom permanenten Kämpfen.

    • @mowgli:

      Das ist eine durch nichts belegte Behauptung.

    • @mowgli:

      Das ist das alte Argument der angeblichen "Stilllegungsprämie". Tatsächlich würden durch ein Grundeinkommen Arbeitsplätze frei, wenn Menschen sich entscheiden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, und es würden Chancen entstehen für die, die jetzt abgehängt sind.

      • @BUBU:

        je mehr gearbeitet wird desto schneller wird die biospäre zerstört und desto schwerer ist es die biospäre zu schützen .



        insofern ist eine "Stilllegungsprämie". genau das was der planet braucht.

        allerdings wird man sie nur einführen können wenn man die erpressung durch die finanzmärkte abschafft-in dem man die freizügigkeit des kapitals beendet

        dass diese die wahl linker ökosozialistischer regierungen bestrafen und die wahl neoliberaler rechter regierungen belohnen



        zeigt eine studie über die die prokapitalistische neoliberale reaktionäre nzz berichtet hat

        www.nzz.ch/finanze...ewtab-global-de-DE

  • Wenn jeder Erwachsene in D. ein BGE von 550 oder gar 1.200 € erhält, dann wären das bei etwa 70 Mio. Menschen bis zu 1.000 Mrd. € im Jahr. Davon lassen sich jetzt Sozialausgaben für H4 und ähnlichen Leistungen von ca. 200 Mrd.€ abziehen, was dann eine Kaufkrafterhöhung von ca.



    800.000.000.000 €



    ergibt.

    Was glauben die Befürworter des BGE eigentlich, was das für einen Einfluss auf die Inflation hätte? Und in 2 Jahren hätte das BGE genauso wenig wert, wie jetzt H4.

    • @So Nicht!:

      Es ist offensichtlich das sie sich nicht näher mit dem Thema beschäftigt haben. Da gehört schon ein regulierendes Steuersystem zu.

      • @Andreas J:

        BGE = Bedingungsloses Grundeinkommen

        Wenn etwas reguliert und gesteuert wird, ist es wohl nicht "bedingungslos". Aber Sie haben sich ja damit beschäftigt, deshalb wissen Sie das natürlich.

        BGE = Bedingungsloses Grundeinkommen

    • @So Nicht!:

      So kann man das nicht rechnen! Auch im Artikel ist aufgeführt, dass das Grundeinkommen bei der Einkommensteuer angegeben werden müsste. Beim Kindergeld, das auch ohne vorherige Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt wird, funktioniert das wunderbar.



      Streng genommen handelt es sich also um eine nachträgliche Bedürftigkeitsprüfung. Man könnte aber entscheiden, seine Arbeitszeit zu reduzieren, um einen Teil des BGE (oder alles) zu behalten. Das würde auch Arbeitsplätze für diejenigen frei werden lassen, die heute außen vor bleiben. Auch von eine "Stilllegungsprämie" kann somit keine Rede sein.

      • @BUBU:

        Kann man alles machen, aber dann ist es kein BGE. Sondern eher so eine versteckte ABM-Maßnahme wie unser Berliner Solidarisches Grundeinkommen.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    die vergleichsweise wenigen, gut abgesicherten angestellten in politischen machtpositionen können sich nicht vorstellen, wie das leben der vergleichsweise vielen, selbstständig für ihr einkommen verantwortlichen gewerbetreibenden, freiberuflern und künstlern aussieht:



    "Pascal Kober, sozialpolitischer Sprecher der FDP, betonte, er erhielte dadurch quasi eine „Diätenerhöhung“, die er gar nicht brauche."



    empathie oder interesse würden helfen.

  • Nicht mit dieser Regierung. Die schickt lieber paar Millionen ins Hartz, damit die Schlachthöfe weiter in aller Ruhe superspreaden können.

  • Übrigens läuft seit Ende September eine Europäische Bürgerinitiative fürs BGE, online lässt sich die hier unterzeichnen: www.ebi-grundeinkommen.de/

  • Auch in der Corona-Krise muss das Geld irgendwo herkommen. Den Hartz-IVern kann man die Stütze auch nicht einfach wegnehmen, den die Anspruchsgrundlagen sind ja offensichtlich nicht die gleichen. Das BGE ist jetzt genauso wenig finanzierbar wie vor der Krise.

    • @TazTiz:

      Bei "Hartz IV" (ALG II/Grundsicherung) wird grundsätzlich jedes Einkommen angerechnet und vom Bedarf entsprechend (teilweise) abgezogen. Bestes Beispiel: Kindergeld (auch eine Art Mini-Grundeinkommen für Kinder)

      Ein Grundeinkommen von 550 EUR pro Person, sollte hier also nicht das Problem sein (aus Sicht der Menschen, die meinen, "Hartzler" bekämen zu viel).

      Menschen, die ALG II oder Grundsicherung beziehen, wird tatsächlich vieles an Einkommen "weg genommen".

      Erhöht sich das Einkommen (z.B. durch ein Grundeinkommen) vermindert sich lediglich der ausgezahlte Betrag, wenn die Anspruchsgrundlagen die gleichen blieben.

    • @TazTiz:

      Die dauerhafte Umverteilung von unten nach oben wird scheinbar als alternativloses Naturgesetz angesehen. Dreht man den Spieß um gibt es Schnappatmung und Pawlow'sche Reflexe: das ist nicht zu finanzieren. In der Kultur und Kreativbranche arbeiten mehr Menschen als in der Automobilindustrie. Der Anteil an der Wertschöpfung ist der zweithöchste von allen Wirtschaftsbereichen und hat die höchste Anzahl von Selbständigen. Andere Branchen bekommen massive Unterstützung und 1,7 Millionen Beschäftigte (Stand 2018) in diesem Bereich werden vergessen. Viele können nur noch Harz V beantragen. Ein BGE schafft hier eine soziale Absicherung.



      www.bmwi.de/Redakt...tivwirtschaft.html

      • 0G
        02854 (Profil gelöscht)
        @Andreas J:

        Naja, keine Unterstützung für Theater, freie Projekte, Filmförderung, Kunststipedien etc. pp.?

        Da kommen schon ein paar Milliarden im Jahr zusammen.

        • @02854 (Profil gelöscht):

          Zum einem gibt es zur Zeit wegen Corona keine Projekte und zum anderen hangelt man sich auch so von Auftrag zu Auftrag b.z.w. von Projekt zu Projekt. Gerade bei den Freelancern und anderen Solo-Selbständigen, ohne die alles gerade in diesem Bereich zusammenbrechen würde.

    • @TazTiz:

      Ich kann nicht verstehen warum das nicht finanzierbar sein soll. Zunächst werden die genehmigten Mittel nur anders verteilt - und auch nicht ungerechter als jetzt geplant. Künftig wäre durch entsprechendes Reduzieren des steuerlichen Grundfreibetrags und angemessene Anrechnung der Zahlung auf Leistungen, wie Hartz IV, Bafög, Rentenaufstockung usw. ein großer Teil der Ausgaben an anderer Stelle eingespart. Der Rest wird durch eine, in meinen Augen relativ mäßige, Erhöhung der Umsatz- oder Einkommensteuer finanzierbar sein. Bei entsprechender Höhe eines Bedingungslosen Grundeinkommen kann man die oben genannten Leistungen vollständig streichen und hätte den positiven Effekt, dass die Kosten für die Verwaltung dieser Mittel (und die Kosten der psychiatrischen Behandlung der Betroffenen nach Ausfüllen der Anträge) vollständig eingespart wird.