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Debatte über DienstpflichtPflicht schließt keine Lücken

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Statt junge Leute für Pflege und Kinderbetreuung zwangszuverpflichten, sollte man lieber stärkere Anreize für Freiwilligenarbeit bieten.

Jung, freiwillig, motiviert: Für das Freiwillige Soziale Jahr wurde die Förderung gekürzt

W enn politische Ent­schei­de­r:in­nen die Zeichen der Zeit verpennt haben, kommen sie mit Pflichtdebatten. Die Diskussion über einen verpflichtenden Dienst an der Gesellschaft ist das beste Beispiel dafür. In der Pflege fehlen Tausende Fachkräfte, in Kita und Hort sieht es nicht besser aus. Jetzt sollen es vor allem junge Leute richten, die zu einem Arbeitseinsatz verdonnert werden. Im besten Fall nicht nur für eine kurze Zeit: Die Hoffnung ist groß, über solche Pflichtdienste auch neue Fachkräfte zu finden.

Schön wäre es natürlich schon, wenn Mitglieder einer Gemeinschaft nicht nur ihren individuellen Interessen folgen, sondern auch einen Beitrag für das Wohl aller leisten. Aber insbesondere bei Berufen im sozialen Bereich sind die Entbehrungen enorm: Dank schlechter Bezahlung, einkalkulierter Überstunden, wenig gesellschaftlicher Wertschätzung und kaum Karrierechancen werden sich die Lücken bei diesen Jobs langfristig nicht schließen. Wer zum Dienst am Menschen verpflichtet wird und dort miserable Arbeitsbedingungen erlebt, wird kaum einen solchen Beruf wählen, sondern seine Zeit absitzen und dann das Weite suchen.

Damit sich an diesen Missständen etwas ändert, braucht es keine Appelle an die Nächstenliebe, sondern schlicht mehr politischen Willen. Bis es so weit ist, könnten Ar­beit­ge­be­r:in­nen zum Beispiel einen freiwilligen Dienst im Pflegeheim, in der Kita oder in einer Umweltschutzeinrichtung als Einstellungskriterium und Karrierevoraussetzung benennen. Vielleicht wäre an den Unis der Erlass eines Scheins drin oder gar die Verkürzung des Studiums – und das nicht nur bei Studiengängen, die in sozialen Berufen münden. Auch der Staat könnte seinen Beitrag leisten: Etwa mit der Anerkennung dieser Dienstzeit bei den Rentenansprüchen. Das sind dicke Bretter. Einfacher wäre es für das Finanzministerium, die Kürzung der Förderung für Freiwilligendienste zurückzunehmen. Das wäre glaubwürdig, und die Debatten über einen Dienstzwang wären beendet.

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Tanja Tricarico
wochentaz
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Leitet derzeit das Politik-Team der wochentaz. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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10 Kommentare

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  • Die Jungen sollen verpflichtet werden! Solche Geistesblitze kann wohl nur ein weißhaariger Agenda-2010-Politiker haben, der die Misere im Pflegesystem quasi selbst mitverschuldet hat.

  • "Attraktiver machen lese ich. Wenn dann Handwerk, Lehrer, Juristen im ÖD, Pflegekräfte.... alles attraktiver ist, was passiert dann? Es fehlen trotzdem überall die Kandidaten, weil die Demographie so ist wie sie ist. "



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    Bei einer Studienanfängerquote von 54 % im Jahre 2022 ist die Demographie weniger das Problem, sondern mehr der immer noch trügerische Gedanke das man nur als Studienabsolvent ein auskömmliches Gehalt beziehen könnte.

  • Das möchte die Wirtschaft gerne, nicht wahr ?

    Billige, dienstverpflichtete Arbeitskräfte die unbegrenzt für "Praktika" zur Verfügung stehen.

    Eine gute Idee !

    Lasst uns gemeinsam für den Fortschritt unserer Landes kämpfen !

    Die Einen geben die Arbeitskraft,



    die Anderen nehmen das Geld !

    Das ist wahre Arbeitsteilung !

  • Attraktiver machen lese ich. Wenn dann Handwerk, Lehrer, Juristen im ÖD, Pflegekräfte.... alles attraktiver ist, was passiert dann? Es fehlen trotzdem überall die Kandidaten, weil die Demographie so ist wie sie ist.



    Letztlich könnte man alle Arbeitsplätze auch gleichermaßen unattraktiver machen, dann fehlen sie eben auch.



    Solange jede Branche nur an sich denkt und glaubt seine Probleme auf Kosten Abwerbung aus anderen Branchen zu kompensieren und eben nicht gemeinsam der Politik in den Allerwertesten zu treten wegen ernsthafter Anwerbestrategien ausländischer Fachkräfte sowie das Wort Willkommenskultur mal mit Leben füllt, wird das halt nix.



    Somit, auch das hilflose Thema junge Leute zwangszubeschäftigen für wenig Geld... verliert der Staat an Glaubwürdigkeit. Letztlich Ausbeutung, auch von den Protagonisten die das gut finden, vor dem Deckmantel sozialer Verantwortung und Zusammenhalt.

  • In diesem Kontext zitiert man gerne mal JFK: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst."

  • ...also für soziale Berufe, muss ein Mensch sich BERUFEN fühlen - sonst ist er fehl am Platze...

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Es geht doch nicht um die Leute die sowieso schon ein soziales Gewissen haben und z.B. ein freiwilliges Jahr machen. Es geht um die Leute die nur an sich denken und keinen Bock haben der Gesellschaft was zu geben wenn sie nicht auch davon erhebliche Vorteile haben. JUnd da geht halt nur eine Pflicht!

    • @49732 (Profil gelöscht):

      Ein freiwilliges soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst zu leisten muss man sich auch finanziell leisten können...

      • 4G
        49732 (Profil gelöscht)
        @Felis:

        Die Leute wohnen doch noch i.d.R. bei den Eltern und brauchen soviel Geld wie in der Schule.

        Außerdem gibt es doch wie früher beim Zivildienst auch hier Geld.

        • @49732 (Profil gelöscht):

          ...großer Irrtum - ein freiwilliges soziales Jahr kann in fast jedem Alter absolviert werden - bei guter Gesundheit auch noch im Rentenalter...