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Debatte über AntisemitismusRückendeckung für Mbembe

Der umstrittene Philosoph Achille Mbembe bekommt Unterstützung: Intellektuelle beziehen Stellung und fordern die Absetzung Felix Kleins.

Von „kolonialer Besatzung“ spricht Achille Mbembe: israelische Siedlung im Westjordanland Foto: Ammar Awad/reuters

Berlin taz | Mit gleich zwei neuen Stellungnahmen nimmt die Debatte um die Antisemitismusvorwürfe gegen den kamerunischen Historiker und Philosophen Achille Mbembe neu an Fahrt auf. In einem ersten Schreiben fordern jüdische Gelehrte und KünstlerInnen die Absetzung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein. In einem zweiten Schreiben verteidigen WissenschaftlerInnen Mbembe gegen den Vorwurf der Schoah-Verharmlosung.

„Wir halten Herrn Kleins Versuch, Prof. Mbembe als Antisemiten hinzustellen, für unbegründet“, heißt es in dem ersten Schreiben, das großteils von Lehrenden an israelischen und US-amerikanischen Universitäten unterschrieben ist, darunter die SoziologInnen Eva Illouz und Moshe Zuckermann sowie der Talmud-Gelehrte Daniel Boyarin.

„Abgesehen von dem persönlichen und beruflichen Schaden, der Prof. Mbembe zugefügt worden ist, hat Herr Klein dem dringenden Kampf gegen echten Antisemitismus einen schlechten Dienst erwiesen und die Integrität seines öffentlichen Amtes beeinträchtigt“, heißt es in dem an Bundesinnenminister Horst Seehofer gerichteten Schreiben. In Mbembes umstrittenen Passagen über die NS-Zeit sehen sie weder eine Verharmlosung des Holocausts noch Antisemitismus.

Um Mbembe, der die Eröffnungsrede der mittlerweile abgesagten Ruhrtriennale halten sollte, war eine Debatte ausgebrochen, die durch Aussagen Kleins angestoßen wurde. Der Antisemitismusbeauftragte hatte Mbembe im April vorgeworfen, das Existenzrecht Israels infrage zu stellen und den Holocaust zu relativieren. Von der FAZ um eine Untermauerung seiner Vorwürfe gebeten, verwies Klein lediglich auf ein Schreiben des kulturpolitischen Sprechers der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Lorenz Deutsch.

„Marginalisierung von nichtweißen Stimmen“

Mbembe, einer der bedeutendsten Intellektuellen des afrikanischen Kontinents und einflussreicher Theoretiker des Postkolonialismus, erkennt in der israelischen Politik in den palästinensischen Gebieten eine „koloniale Besatzung“. In einem umstrittenen Text hatte er Vergleiche gezogen zwischen dem südafrikanischen Apartheidregime und der israelischen Politik sowie zwischen der Apartheid in Südafrika und dem Holocaust.

Auf diese Vergleiche Bezug nehmend, sprechen sich die AutorInnen des an Seehofer adressierten Briefes gegen ein „Verbot von Analogien in der Debatte über den Holocaust“ aus. Dies sei legitim und „vollkommen üblich in der Holocaust- und Genozid-Forschung“.

In der Kritik an Mbembe sehen sie vielmehr eine „Indienstnahme des Antisemitismus gegen Kritiker der israelischen Regierung (...), die von ihrer Redefreiheit (...) Gebrauch machen, um gegen Israels Verletzungen der Grundrechte der Palästinenser zu protestieren“. Dass Klein diesen Trend anführe, der zur „Marginalisierung von nichtweißen Stimmen und Minderheiten in Deutschland beiträgt“, sei eine Schande.

Missbrauch des Begriffs Antisemitismus

In einem zweiten Schreiben, das unter anderem von der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, dem Publizisten Micha Brumlik und dem Antisemitismusforscher Wolfgang Benz unterzeichnet ist, heißt es ebenfalls, es sei „falsch“, Mbembe eine Verharmlosung der Schoah zu bescheinigen. „Historische Vergleiche, die ja dazu dienen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ereignissen, Diskursen und Prozessen herauszuarbeiten, sind nötig und legitim.“

Mbembe werde vielmehr wegen seiner Positionen zur israelischen Siedlungspolitik angegriffen. Die UnterzeichnerInnen sprechen von einer „Kampagne“, die dazu diene, Mbembe zu delegitimieren, sowie von einer „missbräuchlichen Verwendung“ des Antisemitismusbegriffs. „Als Wissenschaftler*innen lehnen wir diese Art von Kampagnen ab, die Personen (...) ohne Beweise, unter Zuhilfenahme manipulativ verzerrter Zitate und Inhalte desavouieren sollen.“

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11 Kommentare

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  • Felix Klein wird mit seiner Nichtweißen-Feindlichkeit mehr und mehr zur Belastung. Er dürfte nun kaum noch zu halten sein.

    • @Linksman:

      Antisemiten sind "Biodeutsche", kloppen Nazi-Sprüche, haben Glatzen und tragen Springerstiefel, Punkt.



      Für manche Leute kann es schlicht nicht sein, dass die Judenhasser auch im Nadelstreifenanzug kommen, begeistert die rote Fahne schwenken und auch mal nichtweiss sein können - oder alles das zusammen.

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Sie haben es auf den Punkt gebracht!



        Warum sind auch diese leute so blind?



        Alle vernünftigen Menschen bei uns wenden sich nicht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.



        Aber für die jüdischen Flüchtlinge, die vor Pogromen in Europa nach Palästina und ab 1933 vor der sicheren Vernichtung geflohen sind haben die Leute, die Sie im zweiten Absatz beschreiben, nichts anderes als Vorwürfe übrig. Auf der einen Seite erkennt man Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus richtig. Wenn es aber um um fliehende Juden geht, die dem sicheren Tod zu entkommen suchen, kehrt man das in's genaue Gegenteil. Dann werden Flüchtlinge zu Besatzern, denen man Anexion und Landraub vorwirft.



        Genau das ist das kognitive Modell über die Juden, das Daniel Goldhagen in "Hitlers willige Vollstrecker" so brillant beschrieben hat.

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Sie verwechseln - wie alle bedingungslosen Unterstützer israelischer Besatzungs- uns Anexionspolitik - Kritik an dieser Politik mit vermeintlichem "Judenhaß", was nicht nur eine ungeheusrliche Frechheit ist, sondern dem notwendigen Kampf gegen den wahren Antisemitismus sehr schadet.

        • 9G
          90564 (Profil gelöscht)
          @UriAvnerylebt!:

          "wie alle bedingungslosen Unterstützer israelischer Besatzungs- uns Anexionspolitik" woher nehmen sie diese unterstellung? man kann israel und seine politik kritisieren, OHNE falsche tatsachenbehauptungen und antisemitische tropen und man kann solidarisch mit israel und antisemitismus-kritisch, ohne eine bibi-fan zu sein.



          ps uri avnery war ein bekennender zionist und 2staaten-verteidiger, ganz im gegensatz zu BDS

        • 9G
          90564 (Profil gelöscht)
          @UriAvnerylebt!:

          "wie alle bedingungslosen Unterstützer israelischer Besatzungs- uns Anexionspolitik" woher nehmen sie diese unterstellung? man kann israel und seine politik kritisieren, OHNE falsche tatsachenbehauptungen und antisemitische tropen und man kann solidarisch mit israel und antisemitismus-kritisch, ohne eine bibi-fan zu sein.

        • @UriAvnerylebt!:

          Aha. Und was ist bitteschön der "wahre Antisemitismus"? Siehe oben. Augenroll

  • Herr Klein verweist auf einen offenen Brief eines Landtagsabgeordneten, der einen Artikel zitiert, der ein Kapitel eines Buches sein soll, das in Übersetzung erschien.... Von einem Bundesbeauftragten dürfte man erwarten, dass er vielleicht selber etwas liest (oder lesen läßt), bevor er einen Wissenschafter abschiesst.

  • In der Bericherstattung der TAZ zum Thema Israel-Palästina scheint sich ein positiver Wandel zu vollziehen, nämlich weg von der Diffamieriung israelkritischer Positionen als antisemitisch und hin zu zu mehr Objektivität.

    • @Rinaldo:

      Was sie nicht sagen! Ich hatte bisher den Eindruck, dass zu diesem Thema in der taz eine größere Meinungsvielfalt herrscht als bei manch anderen Themen.

  • Logisch könnte man argumentieren, dass selbst die Singularitätsthese zum Holocaust letztlich auf einem Vergleich basiert. Auch die israelische Journalistin und Tochter von Holocaust-Überlebenden, Amira Hass, bezeichnet die israelische Politik als "Apartheitspolitik".