Debatte nach Corona-Protest am Reichstag: Wo war die Polizei?
Vor dem Reichstag waren genug Beamte, sagt Berlins Polizeipräsidentin. Aber nicht mehr, als sie von zwei Seiten in die Zange genommen wurden.
„Es waren genug Einsatzkräfte am Reichstag vorhanden“, betonte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik in der Sitzung mehrfach. Um zugleich einzugestehen, dass „die Macht der Bilder zählt“. Damit meinte sie die weltweite Wirkung der Fotos von Menschen mit Reichsflaggen unter dem Satz „Dem deutschen Volke“.
Laut Slowik waren ab 18.45 Uhr zahlreiche Demonstrierende von dem gewalttätigen Protest vor der nahe gelegenen russischen Botschaft Richtung Reichstag geströmt. Mehrfach sei daraufhin versucht worden, Absperrgitter zu überwinden. Doch der Polizei sei es gelungen, die „Lage immer wieder zu stabilisieren“.
Gegen 19 Uhr jedoch hätten sich rund 2.000 Menschen vor dem Sitz des Bundestags befunden. Als dann von einer Bühne direkt davor eine Rednerin dazu aufrief, auf die Reichtstagstreppe zu stürmen, sei der Druck von zwei Seiten auf die Absperrungen vor allem von Reichsbürgern und „selbsternannten Patrioten“ zu groß geworden, so Slowik. Zwar habe die Polizei sofort 250 weitere Einsatzkräfte zusammengezogen und „binnen weniger Minuten die Situation aufgelöst“. Doch die Bilder der Neonazis vor dem Reichstag waren da schon in der Welt. „Wir werden den Einsatz sehr genau nacharbeiten“, kündigte Slowik an.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) verteidigte erneut den Versuch, die Demonstrationen zu verbieten. Die 35.000 bis 38.000 Menschen, die teilweise aus dem europäischen Ausland angereist waren, hätten nicht gegen einzelne Maßnahmen gegen die Pandemie protestiert, sondern gegen die Demokratie selbst. Die Bilder und die Verstöße gegen die Abstands- und Hygieneregeln zeigten laut Geisel, dass die Berliner Versammlungsbehörde mit ihrer Einschätzung zum Verbot am Mittwoch richtig gelegen habe. Es war von zwei Verwaltungsgerichten aufgehoben worden.
Die konservative Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus hingegen ging Geisel scharf an: Sie warf ihm Dilettantismus und Parteilichkeit vor. Geisel habe in den Tagen vor dem Protest klar gemacht, dass er die „Gesinnung der Anmelder“ nicht teilt und damit das Verwaltungsgericht regelrecht dazu eingeladen, das Verbot aufzuheben, sagte CDU-Fraktionschef Burkard Dregger. Das gescheiterte Verbot habe den Verschwörungstheoretikern Fakten für neue krude Theorien an die Hand gegeben. Geisel sei dem Amt nicht gewachsen, sagte Dregger.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin