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Coronaleugner in BerlinDemoverbot wieder aufgehoben

Die Veranstalter hätten Vorkehrungen getroffen, um auf Teilnehmer einzuwirken, urteilt das Verwaltungsgericht. Das Hygienekonzept ist allerdings fragwürdig.

Demonstration gegen Coronabeschränkungen am 1. August in Berlin Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin dpa/afp/taz | Das Berliner Verwaltungsgericht hat das Verbot der für Samstag geplanten Demonstration gegen die Corona-Politik wieder aufgehoben. Der Anmelder habe durch die Bereitstellung von 900 Ordnern und einhundert Deeskalationsteams „hinreichende Vorkehrungen“ getroffen, entsprechend auf die Versammlungsteilnehmer einzuwirken, teilte das Gericht am Freitag mit.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Das Land Berlin will nun das Oberverwaltungsgericht anrufen, wie Polizeipräsidentin Barbara Slowik kurz vor Bekanntgabe der Entscheidung für den Fall einer juristischen Niederlage in erster Instanz bekräftigt hatte.

Zu der Kundgebung am Samstag in Berlin hatte die Initiative „Querdenken 711“ aus Stuttgart 22.500 Teilnehmer auf der Straße des 17. Juni nahe dem Brandenburger Tor angemeldet. Die Versammlungsbehörde der Polizei hatte diese größere Demonstration und neun weitere kleinere Veranstaltungen am Mittwoch verboten.

Aus dem Konzept des Anmelders ist laut Gericht nicht zu erkennen, dass er das Abstandsgebot bei der für 22.500 Menschen angemeldeten Veranstaltung „bewusst missachten“ werde. Eine solche Prognose lasse sich weder aus dem Verlauf der Versammlung am 1. August noch aus der kritischen Haltung der Teilnehmer zur Corona-Politik ableiten, erklärte das Gericht. Außerdem bemängelte das Gericht, die Versammlungsbehörde habe nur unzureichend Alternativen zu einem Versammlungsverbot geprüft wie etwa die Änderung des Orts oder eine Begrenzung der Teilnehmerzahl.

Hygeniekonzept mit falschen Zahlen

Die Initiative „Querdenken 711“ hat im Internet ihr Hygienekonzept für die Demo am Samstag veröffentlicht. Darin heißt es, man gehe davon aus, dass 8 Quadratmeter pro TeilnehmerIn benötigt würden. „Damit ist sichergestellt, dass eine ausreichende ‚Reserve‘ vorhanden ist“, heißt es in dem Papier. Bei 22.500 Menschen ergebe sich somit ein Flächenbedarf von 180.000 Quadratmetern.

Dem Hygienekonzept hinzugefügt ist eine Karte der Veranstaltungsfläche. Sie bennte die Straße des 17. Juni auf den kompletten drei Kilometern Länge vom Charlottenburger Tor bis zum Brandenburger Tor. Bei der letzten Corona-Demo am 1. August waren nur wenige hundert Meter der Straße mit Menschen gefüllt. Hinzugerechnet werden diesmal noch Teile der Zufahrtsstraßen zum Großen Stern.

Selbst in diesem äußerst großzügig bemessenen Bereich kommt man nach Berechnungen der taz mit Hilfe des Onlinetools mapchecking nur auf eine Fläche von 120.000 Quadratmetern. Das Hygienekonzept beruht somit auf falschen Angaben der Veranstalter.

Das Gericht hat den Veranstaltern nun allerdings nur die Auflage erteilt, den Standort der Hauptbühne etwas zu verschieben, damit genügend Platz ist. Zwischen Videowänden muss ein Mindestabstand von 300 Metern bestehen. Zudem müsse der Veranstalter durch regelmäßige Lautsprecherdurchsagen und Ordner sicherstellen, dass Teilnehmer der Kundgebung Mindestabstand einhalten. Eine Maskenpflicht gehört demnach nicht zu den Auflagen.

Die Versammlungsbehörde darf weitere Auflagen zur Einhaltung des Mindestabstands erlassen.

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12 Kommentare

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  • Man sollte aufhören sich lediglich ein wenig zu mokieren über solch skandalösen Urteile. Mit welcher unverfrorenen Offenheit von Teilen Justizapparat die Interessen Rechtsradikaler und Neonazis begünstigt und durchsetzt werden ist schier unglaublich, so als ob hier im Windschatten der Trumpregentschaft endlich wer zum Zuge kommen soll.



    Die Nivellierung von Volksverhetztung, der Verbreitung von Schauermärchen, Verschwörungstheorien und Lügen in der Rechtssprechung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, bedeutet schon für sich das Außerkraftsetzen dieses Rechts, denn was bedeutetn die Kundgebungen von Meinungen schon, wenn sie rechtlich gleichgesetzt werden mit reinen Desinformationskampagnen von Kräften (zu denen eben auch Teile des Justizapparats gehören), für die auch Pandemien bloßes politischens Kalkül und Spielzeug sind.



    Eine Entnazifizierung des Justizapparats ist dringend geboten. Es ist ja nicht so, dass es nicht genügend studierte Jurist*in*en im Land gäbe.

  • Kaum hatte die Demo begonnen, wurde sie auch schon von der Polizei aufgelöst: keine Mindestabstände!

    Bis auf die Richter:innen der Berliner Verwaltungsgerichte war wohl auch allen klar, dass es so kommen würde.

    Sollte es jetzt zu Ausschreitungen und Verletzten kommen, sind diese Richter:innen, zumindest moralisch, nicht unbeteiligt daran.

  • Hmmm das Verbot der Demo zu Hanau ist irgendwie deutlich einfacher gewesen....

  • Es gibt eine Mobilisierung zu einer Gegen-Kundgebung gegen den wahrscheinlich größten Nazi-Aufmarsch der letzten Jahre.

    Natürlich sind die erwarteten 20 - 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht alle Nazis, aber es gibt keine Nazi-Organisation, die nicht zum "Sturm auf Berlin" mobilisieren würde.

    www.nationalismusi...na-nazis-in-mitte/

    berlin-gegen-nazis...mlungen-in-berlin/

    Wer sich beteiligen möchte, sollte wohl besser nicht allein zu der Kundgebung gehen. In Nazikreisen kursieren auch Anreisemodalitäten der linken Demonstranten.

  • Mir tun die Polizisten und Polizistinnen leid, welche diese De...n begleiten müssen.



    Wieder ein Wochenende ohne Familie.

    • @Trabantus:

      Wäre mal eine Möglichkeit zu testen, wie alle ohne Polizei klarkommen. Mal schauen, wer nach dem Wochenende lauter schreit....

  • "Die von der Versammlungsbehörde angestellte Gefahrenprognose genüge nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben."

    "Unabhängig hiervon habe die Versammlungsbehörde Alternativen zum Versammlungsverbot nur unzureichend geprüft"

    www.berlin.de/geri...teilung.982439.php

    Ganz starke Leistung vom Genossen Geisel und seinen Leuten.

    • @Sven Günther:

      Oder Absicht, so haben ned die die Demo(s) genehmigt, sondern das Gericht. Eigentlich hat die Behörde den Affen ordentlich Zucker gegeben; das ist weder professionell noch "demokratiefördernd".

      • @Hugo:

        Das - ist leider nicht abwegig.

        Zu Zeiten von NPD-Demos - außer DO warnmer fürs halbe Ruhrgebiet zuständig - waren die Verbotsverfügungen ersichtlich so schlampert geklempnert.



        Daßde sie aufheben mußtest.



        & Däh



        Wir - die schlechte Presse hatten.



        (unterhand - remember Friedensbewegung - wurde das auch zwinkernd togestanden. Wollnichwoll.)

        So geht das

    • @Sven Günther:

      Ergänz mal -



      www.berlin.de/geri...teilung.982439.php

      unterm—— btw —-



      Is ne schwierige Ecke.



      Und - wär mir hier vllt auch nicht ganz leichtgefallen - wennste bei der Überprüfung der Anmeldung!! - nicht permanent im Hinterkopf hast: Nach KA sind Versammlungs&Meinungsfreiheit -



      Beides “Unterpfand unserer Demokratie“ - also Verbot als ultima ratio & Maß - nicht deine Aversion & Voreingenommenheit - Haste schon verloren. Newahr. Normal.



      &



      Mal sehn - was den Oberrichtern einfällt



      - wa!

      Frauman - darf gespannt sein.

      • @Lowandorder:

        "Unterpfand unserer Demokratie“ - also Verbot als ultima ratio & Maß"

        Eben und das ist auch gut so.

        Ich zitiere mich da wirklich ungern selbst, meine Meinung vor dem Urteil.

        "Ich hoffe sehr, das Geisels Hausjuristen sich sehr sicher mit der Verbotsbegründung sind, wird die vor Gericht kassiert und der schwafelt sich einen von, das ist aber nicht unsere Rechtsauffassung, dann wird es richtig peinlich.

        Ich seh da schon die Sprüche, Exekutive verbietet legitimen Bürgerprotest und Judikative muss dagegen einschreiten und rettet Bürgerrechte oder so etwas..."

        Es sieht eben verflucht danach aus, das Genosse Geisel ein "Zeichen" setzen wollte. Das aber nicht juristisch wasserfest konnte, aber anstatt es dann einfach sein zu lassen, das Verbot trotzdem aussprach. Das wurde vom Gericht kassiert und auch die nächste Instanz wird wahrscheinlich so urteilen.

        Gut gemeint und gut gemacht, sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

        So hat er seinem eigentlich Anliegen maximal geschadet!

        • @Sven Günther:

          & Däh!

          “ Der umstrittene Demonstrationszug sowie die Kundgebung gegen die Corona-Politik können am Samstag in Berlin stattfinden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte am frühen Samstagmorgen in zweiter Instanz, dass das Verbot der Berliner Polizei keinen Bestand hat. Diese Entscheidung ist nun rechtskräftig.“



          www.spiegel.de/pol...-8b4b-f93b3069b145