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Debatte an der UdK BerlinDiskurs? Festgefahren

Kann man derzeit an Hochschulen wirklich offen diskutieren? Ein Lagebericht aus der Universität der Künste in Berlin.

Unsicherheit hinter massiven Mauern: das Gebäude der Universität der Künste an der Berliner Hardenbergstraße Foto: Karl-Heinz Spremberg/imago

Die Zwischentöne sind kaum herauszuhören an der Universität der Künste in Berlin. Wie an vielen Hochschulen ist der Diskurs dort seit dem 7. Oktober laut und polarisiert, manchmal feindselig. Im November sorgte eine propalästinensische und als antisemitisch gewertete Performance für Aufruhr, jüdische Studierende haben Angst, in die Uni zu gehen, propalästinensische Ak­ti­vis­t:in­nen beklagen wiederum „selektive Solidaritäten“.

Anfang Februar dringt erneut eine Meldung aus der UdK an die Öffentlichkeit: Eine dekoloniale Kunstwissenschaftlerin ist während eines Vortrags unterbrochen worden, man forderte sie auf, ohne Bebilderung fortzufahren. Die Frage nach dem Zustand des universitären Diskussionskultur drängt sich einmal mehr auf. Doch simple Schlussfolgerungen zu ziehen wäre falsch.

Der Vortrag von Carolin Overhoff Ferreira über die dekoloniale Kunst in Theorie und Praxis ist begleitet von einer schnellen, unkommentierten Bildfolge: Eugène Delacroix’ „Die Freiheit führt das Volk“, eine Fotografie des Eingangs zum KZ Dachau, anschließend die Zeichnung eines brasilianischen Sklavenmarktes im 17. Jahrhundert. So auch an jenem Samstag an der UdK, als Teil des Symposiums „Unlearning University“. Ausgehend von der neu eingeführten Critical Diversity Policy, einem Konzept für Antidiskriminierung und Diversität an der UdK, will man dort die eigene Institution und darin eingeschriebene Annahmen und Praktiken kritisch hinterfragen.

Störung eines Vortrags

Als die Professorin für dekoloniale Kunstgeschichte an der Bundesuniversität von São Paulo in Brasilien eine weitere Fotografie von sieben in Halseisen gelegte Herero-Männer zeigt, aufgenommen 1904 von deutschen Kolonialisten in Namibia, wird sie aus dem Zuschauerraum unterbrochen. Es wird um Kontextualisierung gebeten. Da dies in ihrem Vortrag nicht vorgesehen ist, soll sie die weitere Präsentation ohne Bilder halten.

Rückblickend erkennt Overhoff Ferreira darin eine Beschneidung ihrer Forschungsarbeit und geht damit an die Öffentlichkeit. „Man unterbricht mich, man nimmt mir die Bilder weg, man zieht das Kabel raus, jemand springt auf und sagt: Jetzt keine Bilder mehr. Das ist einfach ein Einschnitt in meine wissenschaftliche Freiheit“, erklärt sie über Zoom und zeigt sich besorgt über die Diskurskultur in Deutschland.

Die Deutsch-Brasilianerin hat Verständnis für das traumatisierende Potenzial der Bilder, doch „das kann nicht vermieden werden, wenn man sich mit Gewalt und Kolonialismus auseinandersetzen will“, argumentiert sie. Darüber hinaus wurde ihr mehrfach gesagt, sie könne so etwas als weiße Frau nicht zeigen. Ein Vorwurf, der auch kürzlich bei der Performance der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera im Berliner Museum Hamburger Bahnhof besonders schrille Töne annahm, als aggressive Aktivisten ihre Hannah-Arendt-Lesung zum Abbruch brachten und der Künstlerin mit eben diesem Argument das Recht absprachen, sich über Palästina zu äußern.

Unterschiedliche Wahrnehmung

Erstaunt über die Vorwürfe von Overhoff Ferreira reagieren zwei Or­gan­sa­to­r:in­nen von „Unlearning University“, Kathrin Peters und Miriam Oesterreich. Die beiden Professorinnen der UdK beurteilen das Geschehene anders. „Für uns war es wichtig beide Interessen zu wahren, die nachvollziehbaren Interessen des Publikums, diese Bilder nicht unkontextualisiert zu zeigen, und gleichzeitig dem eingeladenen Gast zu ermöglichen diesen Vortrag zu halten.“

Die Debatte über einen quellenkritischen Umgang mit Archivmaterial in den Bildwissenschaften ist nicht neu

Insbesondere weil das Symposium eigens um Antidiskriminierung und Diversität an der UdK konzipiert war, wollte man entsprechende Einwürfe aus dem Publikum unbedingt ernst nehmen. Von einer Expertin für dekoloniale Forschung hatte man erwartet, auf diese Einwände deshalb angemessen reagieren zu können, was Frau Overhoff Ferreira ja auch getan habe. Dass es ihr aufgrund ihres Weißseins nicht zustehe, derartige Bildforschung zu betreiben, diesen schrägen Vorwurf wiesen die beiden zurück. „Wir haben sie ja eingeladen.“

Statt einer Debatte über Wissenschaftsfreiheit, Spre­che­r:in­nen­po­si­tio­nen oder gar dekoloniale Theorien sieht Peters darin vielmehr eine kunstwissenschaftliche Kontroverse über den Umgang mit Bildern: „Es ist ein schwieriges Vorgehen, Gewaltbilder aus ganz verschiedenen Zusammenhängen, aus ganz verschiedenen Quellen, ganz verschiedenen Positionen und Materialitäten im Sekundentakt, ohne Quellenangaben und Diskursivierung, hintereinander zu stellen.“

Overhoff Ferreiras Vortragsweise ist in der Tat ungewöhnlich – und die Debatte über einen quellenkritischen Umgang mit Archivmaterial in den Bildwissenschaften nicht neu. Bei der Kontextualisierung von Bildern aus der Kolonialzeit geht es For­sche­r:in­nen auch darum, einen kolonialen, europäischen Herrschaftsblick nicht zu perpetuieren.

Das Argument, der Vortrag von Overhoff Ferreira sei eine künstlerische Herangehensweise, will Peters dabei nicht gelten lassen. „Dann müsste es eine spezifische Performativität entwickeln, die dann auch textlich eingeholt wird. Das ist nicht passiert.“ Doch reicht das als Begründung, um in einen Vortrag einzugreifen?

Die Situation ist verstrickt, die verschiedenen Dimensionen überlagern sich. Geht es also um die Qualität einer wissenschaftlichen Präsentation oder um die Einschränkung der Forschungsfreiheit selbst? War hier eine dekoloniale Expertin ignorant im Umgang mit sensiblem Archivmaterial oder ist der deutsche akademische Diskurs nicht offen genug für unübliche Formen der wissenschaftlichen Präsentation? Vielleicht ist es alles davon. Als Erfolg kann wohl gewertet werden, dass ein Symposium, dass mit dem Verlernen akademischer Praktiken experimentiert, genau an die Grenzen dieser Fragen stößt.

Im aktuellen Diskursklima hat der Vorfall dennoch Tragweite über das Symposium hinaus, auch für UdK-Präsident Norbert Palz. „Als Präsident ist es meine Aufgabe, die Universität als Diskursraum zu bewahren. Wenn disziplinierte und respektvolle Diskussion zu kritischen Themen nicht an einer Hochschule möglich sind, bleibt die Differenzierung und subjektive Meinungsbildung auf der Strecke“, so Palz. In einer E-Mail an Overhoff Ferreira, die der taz vorliegt, bezieht er sich dabei auch auf die aggressiven Geschehnisse an der UdK in den Monaten zuvor und spricht von einer dem Ganzen zugrundeliegenden Emotionalität.

Schnell wird es unscharf

Diese Emotionalität ist kein UdK-eigenes Problem, man kann sie sehen, hören und lesen, sie ist politisch vielstimmig, und manchmal nimmt sie hässliche, undemokratische Formen an. Es gilt allerdings, wachsam zu sein vor falschen Schlussfolgerungen. Aufgeladene Protestaktionen im Rahmen des Nahostkonflikts und der Einspruch gegen ein Rassismus-perpetuierendes Bild können nicht zusammengeworfen werden. Schnell wird es dabei unscharf.

Antirassismus, Dekolonialismus und Antidiskriminierung werden als vermeintlicher Gegensatz im Kampf gegen Antisemitismus konstruiert. Erst kürzlich verwehrten sich Lehrende und Mitarbeitende der UdK in einem Statement genau dem, sprachen sich „gegen an der Hochschule kursierende Narrative“ aus, „die Antisemitismus und Rassismus als Gegensätze darstellen“.

Wie aber einen diskriminierungssensiblen Diskursraum bewahren? Es wird kein produktiver Ansatz sein, das kritische Bewusstsein für verschiedene Formen der Diskriminierung gegeneinander auszuspielen.

Eines zeigt der Vorfall während des Symposiums, dass sich explizit mit Antidiskriminierung und Safe Spaces auseinandersetzt – wie schwierig und gleichzeitig nötig es ist, geschützte Räume in universitären Kontexten auszuhandeln. Für von Diskriminierung betroffene und deren Allies, für die Vortragenden, für das Archivmaterial und nicht zuletzt für den wissenschaftlichen Austausch selbst.

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9 Kommentare

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  • Der Grund für meine Einladung war dieses Buch, in dem ich klar eine dekoloniale antirassistische Position beziehe:

    www.degruyter.com/...00861/html?lang=de

    Der Vortrag ist hier einzusehen:



    www.youtube.com/watch?v=OB404CTKl8g

    Ich finde nicht, das der Artikel das Problem der Zensur und der Wissenschaftsfreiheit angemessen darstellt, weshalb ich mit der taz in Kontakt getreten bin.

    Keines der Bilder des Vortrages ist kontextlos, es handelt sich um eine Bildermontage (in der Kunstgeschichte gibt es das seit Aby Warburg), die den Text unterstützt und weitere Ebenen dem Zuschauer im Dialog mit ihm eröffnet.

    Ich glaube, man würde mich nicht nach Oxford, Cambridge, Bristol etc. als Forscherin und Gastprofessorin einladen, das Buch demnächst auf Englisch und Portugiesisch veröffentlichen, wenn ich auf dem oberflächlichen und rassistischen Niveau arbeiten würde, das man mir nach vier Bildern unterstellt hat.

    Der Vortrag verschränkt Adorno und Horkheimer und ihre Rationalitätsdebatte mit der Dekolonialitätsdebatte. Das Problem war, das die GastgeberInnen keine vermittelnde Rolle übernahmen und generelle ethische Grundsätze des Universitätslebens wie etwa einen Vortrag anhören und ihn dann sachlich zu diskutieren eingehalten wurden. Man gefiel sich in der Rolle, eine Kollegin aus Brasilien mehrfach als "weisse Frau" abzustempeln und ihre jahrelange seriöse Arbeit so zu schmähen.

    Es war ein hoch emotionales und, wenn man es mir erlaubt, irrationales Klima im Saal. Am Ende sprach ich mit zwei Studenten aus Asien, die zum Masterstudium an die UdK kamen, die "terrified" waren, über das was sich da abgespielt hatte. Sie drückten mir ihre Unterstützung aus und standen in Tränen ob der Unglaublichkeit, die da stattgefunden hatte.

    Darüber sollten wir sprechen. Über die Irrationalität mit der mit Unrechtsgeschichte generell umgegangen wird.

    Wie können wir respektvoll darüber sprechen? Ohne Polarisierung. Ohne Bilderverbot.

  • Ich würde gerne wissen wer genau für die Unterbrechung verantwortlich war. Lehrendende und/oder StudentInnen?



    Ich komme aus einem MINT Fach und habe mehr als einmal miterlebt wie sich auf Tagungen gestandene Wissenschaftler quer durch den Saal angeschrien haben. Aber immer! erst nach dem Vortrag. Unterbrechen tun in der Regel meist nur Studenten.

  • Vielleicht ist einfach die Frage "Kann man derzeit an Hochschulen wirklich offen diskutieren?" falsch:

    Eine Hochschule sollte ja doch ein Ort sein, an dem in Debatten die allerstrengsten Evidenzstandards gelten.



    Also just derjenige Ort, wo ein wohlfeiler, faktenignoranter "Diskurs", wie ihn vor allem das konservative Feuilleton in seiner Abgehobenheit kultiviert, absolut nichts zu suchen hat. Geschwurbel gehört in den Stadtpark, auf eine Seifenkiste!

    • @Ajuga:

      Die Universität ist ein Ort der Debatte. In einer Debatte gibt es unterschiedliche Argumente, die abgewägt werden müssen. Das Recht auf unterschiedliche Meinung muss garantiert sein, sowie die Ethik, die Kwasi Wiredu als empathische Unparteilichkeit definiert, ebenfalls.

    • @Ajuga:

      "Eine Hochschule sollte ja doch ein Ort sein, an dem in Debatten die allerstrengsten Evidenzstandards gelten."



      Definieren Sie doch bitte 'allerstrengste Evidenzstandards'.



      Zählen für Sie verletzte Gefühle wie geschildert dazu?

    • @Ajuga:

      Sie haben in ersten Teil des Posts völlig recht. Die wissenschaftliche Strenge, logische Konsistenz, Evidenzbasis usw. sind der anzustrebende Goldstandard. Nur verstehen diverse Disziplinen just das verschieden... Nur ein Beispiel: an meiner Fakultät schüttelt man z.B. den Kopf, wie unwissenschaftlich und inkonsistent Stars der Disziplin (anderswo Lehrstuhlinhaber) argumentieren. Zuweilen heisst es, sowas würde man (hier) Zweisemestern nicht durchgehen lassen. Diese Fakultät versteht sich als der analytischen Richtung der Disziplin verpflichtet. Andere Richtungen verstehen sich eher schwaflerisch und legen mehr Wert auf schöne pointen-knallerische Erzählung, denn ligische Strenge. Nach Ihrer obigen Einschränkung, käme es nie zu einem Diskurs dieser Richtungen. Wir aber sind sogar an einem Battle intetressiert, einfach um der wiss. Strenge zum Sieg tu verhelfen. Diese Kämpfe müssen ausgetragen werden, die Standards der Wissenschaft sind selbst Teil der Wissenschaft. Leider ist eine Seite des Diskurses zusehends ein hysterischer Schreihals, dessen Programm ein Zurechtschreien der Realität und Reglementieren der Diskursteilnehmet ist. Und dennoch glaube ich, dass damit diskursiv umgegangen werden muss und nicht restriktiv. Wer mit einem Kind im Schreikrampf schon mal zu tun hatte, kann sich vorstellen, wie erbaulich das ist... und dennoch, die Stärke der Wissenschaft ist der Diskurs und das Ringen um Argumente. Wer seine Position nichtargumentativ ausrichtet (Kabel klauen s.o.), hat per se seine Position sehr geschwächt. In keiner Publikation wird jemals das Gequängel der Hysteriker (z.B. von der UdK) erscheinen...

  • Mein Eindruck, ganz subjektiv, von eigenen Erlebnissen und Erzählungen anderer im universitären und schulischen Kontext beeinflusst, ist, dass sich Teilnehmende keine Fragen zu stellen trauen, um bloß nichts falsch zu machen.

    Einige dagegen nehmen sich das Recht heraus, auf oft sehr aggressive oder penetrante Weise, Vorträge zu stören oder respektlos zu unterbrechen. Zum Teil war das immer schon so. Wer am lautesten brüllt, findet eben Gehör.

    Was sich vielleicht geändert hat, ist, dass UniversitätsLeitungen und wissenschaftliche Mitarbeiter: innen sich immer stärker wie viele dieser Eltern verhalten, die keine Grenzen setzen. Oder anders formuliert: man möchte es sich - speziell an Hochschulen und im künstlerischen Bereich - auf keinen Fall mit der eigenen Bubble verscherzen.

    Das war auch bei dem Vorfall im Hamburger Bahnhof so paradox. Die Künstlerin ruderte schnell wieder zurück, hat dann so getan, als ob die Störaktionen Teil ihres Kunstprojekts waren, und hat dafür zum Beispiel versäumt, die Teilnehmerin ihrer Leseaktion in Schutz zu nehmen. Wichtig war ihr, bloß nicht als zu kritisch gegenüber pro palästinensischen Aktivist: innen gesehen zu werden.

    Ähnlich bei der Berlinale. Da schien auch das Motto zu sein, bloß keine Solidarität mit den Geiseln der Hamas zeigen, das könnte ja pro palästinensische Künstler gegen eine:n aufbringen.

  • "propalästinensische Ak­ti­vis­t:in­nen beklagen wiederum „selektive Solidaritäten“."

    Nehmen sie dabei auch die eigene wahr?

  • Interessanter Artikel, ich finde es immer schwierig wenn Bilder Kontexlos oder im falschen Kontext verwendet werden. Andererseits gehört zur Freiheit der Lehre auch Tolerant gegenüber ungewöhnlichen Herangehensweisen dazu. Gerade die Post-coloniale Studien zeichnen sich durch exerpimentierfreudigkeit was lehre und Forschung angeht aus. Man sollte dem Anderen schon die Möglichkeit geben den Vortrag in Gänze auf die eigene Art zu halten und danach kritisch das Gespräch suchen. Manche Dinge kann man erst als Gesamtwerk beurteilen.