Debatte Rechtspopulisten in Europa: Gott, Familie, Vaterland

Ihre Währung ist der Hass. Der Erfolg der Rechten hat seinen Grund aber in den Ressentiments der bürgerlichen Mitte in ganz Europa.

Der röhrende Hirsch, Wappentier der „guten alten Zeit“, schlägt zurück Bild: photocase/dioxin

Sie verabscheuen den Euro genauso wie die Europäische Union. Beides gehört schleunigst abgeschafft. Dafür werden sie sich nach den Wahlen am 25. Mai in neu geschmiedeten Bündnissen gemeinsam ins Zeug legen: Wir bekämpfen die EU von innen, aus dem Parlament heraus! Sie werden damit keinen Erfolg haben, da brauchen sich die EU- und Euro-Anhänger keine Sorgen zu machen. Denn Ökonomie ist nun mal nicht die Stärke der Rechten, noch nie gewesen, aber es ist die Grundlage der Europäischen Union.

Natürlich wissen das auch die Rechtspopulisten. Und so verlegen sich die Le Pens, Wilders, Henkels oder Schachers auf das Geschäft mit dem Kleinmut der Rückwärtsgewandten: Ich war’s nicht, die anderen sind schuld! Hier können sie punkten, denn kümmerliches Sozialverhalten ist Leitgedanke der EU.

Alle ernst zu nehmenden Umfragen prognostizieren einen triumphalen Einzug der Rechten ins Europaparlament. Aber ist das so schlimm? Das Parlament hat nur eingeschränkte Befugnisse, die Entscheidungsgewalt liegt bei Rat und Kommission. In diese Gremien werden es die Rechten bis zur Wahl nicht schaffen. So what?

Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn das Entscheidende bei den Rechten ist nicht ihr Parteiprogramm, sondern ihr Populismus. Ihre Währung ist die Tirade gegen Gruppen, die nun besonders gehasst werden sollen, damit die Mitte sich besonders wohl und wichtig fühlen kann – gerade dann, wenn sie ihre Privilegien beschnitten sieht. Dieses Ablenkungsmanöver von den wirklichen Gefahren für die Mittelschicht bringen die Rechtspopulisten und die Privilegierten zusammen: Eine Hand wäscht die andere. Die Umsetzung des Ressentiments in Realpolitik obliegt dann den bürgerlichen Parteien.

Schutz vor den „Sozialtouristen“

Thema Nummer eins der Rechtspopulisten ist traditionell die Kritik an den korrupten Eliten. Dummerweise ist das ein wirkliches Problem in Europa. Hier distanzieren sich die Eliten gern von den Rechten.

An zweiter Stelle steht ganz prominent die Entwürdigung von Migranten, also derjenigen, die nicht ins Bild von der Nation als homogene Bluts- oder Sprachgemeinschaft passen. Stichwort: Schmarotzer. Es ist längst ins allgemeine Denken übergegangen. Hat Deutschlands Mitte nicht erst kürzlich lautstark Schutz vor „den Sozialtouristen“ aus dem Osten gefordert? Und David Cameron stellte in mustergültiger Gefolgschaft der britischen Rechtspopulisten, der Ukip, fest: „Als Premierminister will ich wissen, ob ich für Sicherheit in meinem Land sorgen kann. Zum Beispiel, ob wir Leute aus unserem Land schmeißen können, die kein Recht haben, hier zu sein. Leute, die unser Land bedrohen.“ Der Kampf gegen die angeblich „unkontrollierte Migration“ ist ein prima Ablenkungsmanöver für die Neoliberalen. Sie, die den öffentlichen Nahverkehr und die Renten bereits verscherbelt haben, zeigen mit dem Finger auf „Illegale“: Die machen unseren Sozialstaat kaputt, die sind’s!

Schließlich wären da noch Frauen und Homosexuelle, die von Ehe und Kindern für alle, von Emanzipation, Abtreibungsrecht und ähnlich Abartigem träumen. Auch sie sind der Feind, in dem Fall eben der innere: Sie müssen auf Linie gebracht werden.

Der Vater befehligt die Familie

Liest man die Parteiprogramme, dann findet sich die Geschlechterpolitik erst auf den hinteren Seiten. Trotzdem ist die Verteidigung des Patriarchen beziehungsweise der ihm unterstellten Familie das Fundament allen rechten Denkens und auch der Idee von den „Vaterländern Europas“. Wozu viele Worte darüber verlieren? Aber wichtiger noch: Dieses Familienbild verbindet die Rechtspopulisten mit den Herzen der Bürgerlichen. Der Mehrheit der Würdenträger in der katholischen und orthodoxen Kirche und ihren vielen AnhängerInnen sei Dank.

Auch sie wollen die alte Ordnung, also die vom Vater befehligte Familie, zurückhaben, und laufen Sturm gegen die sich ausbreitende Vielfalt von Lebensentwürfen. Siehe die Hunderttausende, die in Frankreich Anfang des Jahres gegen die Homo-Ehe auf die Straße gingen. Oder die 70.000fach unterstützte Stuttgarter Initiative gegen nichthomophobe Sexualaufklärung an Schulen. In dieser Frage ist die Grenze zwischen Konservativen und Rechtspopulisten fließend.

Die Rechten haben, genauso wie die reaktionären Mehrheiten in den katholischen und orthodoxen Institutionen, keine Ahnung, wie mehr Gerechtigkeit geschaffen werden kann; ihr Einfluss etwa auf die EZB ist denkbar gering. Also stürzen sie sich auf Ressentiments gegen Frauen und Homosexuelle, da kennen sie sich aus und können sich auf eine jahrtausendalte Tradition stützen.

Es gab noch nie so viel Anerkennung für emanzipierte Lebensweisen wie heute, aber die moralische Konterrevolution ist auch im vollen Gange. Ohne die mehr oder weniger latente rassistische, islamophobe und frauenfeindliche Mitte könnten sich die Rechtsradikalen nicht als bürgerliche Rechte verkaufen. Dann blieben sie unter sich, dann wären sie isoliert. Aber das sind sie nicht.

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leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

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