Debatte Rechter Diskurs und die Linke: Heimat, Volk und Elite
Drei Begriffe, die man früher von links denken konnte. Das geht nicht mehr. Es wäre die Unterwerfung unter rechte Deutungen.
D rei Begriffe sind in den Polemiken zwischen den Rechtspopulisten und der Mainstream-Kultur wieder aufgetaucht, die vordem fast schon überwunden oder doch nicht wirklich mehr entscheidend schienen: Das Volk, in dessen Namen die Pegida, der Front National, ein Donald Trump und viele andere zu sprechen vorgeben, die Heimat, die man als weiche Form der Identität neben den harten von Nation, Religion und Ideologie genießen soll, und die Elite, der man Manipulation, Lüge und Eigennutz vorwirft, jedenfalls wo man sie als „linksliberal“ und „politisch korrekt“ adressiert.
Alle Begriffe konnten einst von links her begriffen werden: Das Volk als die Masse der Lohnarbeiter und politisch-kulturell Machtlosen gegen die herrschenden Eliten, die sich auf deren Kosten eine eigene luxuriöse und arrogante Kultur der Unterschiede und Unterscheidungen gönnt und deren Hauptinteresse scheint, unter sich zu bleiben, die eigene Macht zu mehren. Die Heimat als Utopie eines menschenwürdigen, freien Lebens für alle. Die Elite, die sich als Avantgarde im Kampf um die Verbesserung der Welt legitimieren kann, die sich aber immer wieder durch Korruption, Gewalt und falsches Bewusstsein auch als historisches Hemmnis und Instrument von Unterdrückung und Entfremdung erweist.
Andersherum war Demokratie auch ein Projekt, das Volk zum politischen Subjekt, zum wahren Souverän zu machen. Das demokratische Staatsvolk ist die Gesamtheit jener Menschen, die über das eigene Schicksal zumindest mitbestimmen kann. Umgekehrt kann man freilich auch sagen: Durch das Projekt der Demokratie wird das Volk mitverantwortlich an den Umständen, in denen die Menschen leben. Regieren heißt in der Demokratie den Widerspruch zwischen Volk und Elite so zu bearbeiten, dass er dem allgemeinen Glück nicht im Wege steht.
Die repräsentative Demokratie war nämlich nie ein Projekt, die Eliten abzuschaffen, sie war im Gegenteil von ihren Anfängen an dazu konstruiert, die „oppulent few“, die Menschen mit Besitz (an Land, Menschen und Maschinen) gegen die Ansprüche der Besitzlosen zu verteidigen. So formulierte es der achte Präsident der Vereinigten Staaten, jener James Madison, der sein Land im Britisch-Amerikanischen Krieg zwischen 1812 und 1815 auf dem Weg zum Home of the Brave and Land of the Free führte.
Demokratie als Projekt sozialer Entwicklung
Die Angst, die Demokratie könne von der Gewalt der Besitzlosen zerstört werden und daher automatisch die Keime zu einer Tyrannei entfalten, geht freilich viel tiefer zurück, bis in die antike Staatslehre. Warum, fragte Aristoteles zum Beispiel, sollten die Besitzlosen ihre von der Demokratie gewährten Rechte nicht in erster Linie dazu nutzen, einen mehr oder weniger gerechten Teil des Besitzes zu erlangen und damit ein unentwegtes Chaos anzurichten?
Damit wurde Demokratie schließlich zu einem Projekt der dynamischen sozialen Entwicklung, das die Spannung zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden nicht allein durch pure Herrschaft bearbeiten würde, sondern durch die Gewährung von Freiheiten (auch die zum sozialen Aufstieg), Beschränkung von Privilegien und die Maßnahmen zum Ausgleich (das Volk hat zumindest Anteil am wachsenden Wohlstand, insbesondere solange man ein ökonomisches Wachstum generieren kann, durch das möglich ist, die Armen zu weniger Reichen zu machen, ohne den wirklichen Reichen ein Opfer aufzuerlegen).
„Heimat“ entsteht für Menschen nicht als Widerspruch zum „Fremden“, sondern als jener Ort, an dem man ohne Angst und ohne Gewalt gemeinsam leben kann, weil die Beziehung zwischen Volk und Elite offen und harmonisch geregelt sind. Heimat ist, nach Ernst Bloch, erst möglich auf der Grundlage einer wirklichen Demokratie. Doch wenn es den utopischen Begriff der Heimat nicht mehr geben kann, dann hat der nostalgische leichtes Spiel, und auf seinem Boden wächst der faschistische heran.
Wenn es die Aufgabe einer demokratischen Regierung ist, die Interessen der Eliten ebenso zu vertreten wie die des Volkes, so gibt es wohl zwei Möglichkeiten, nämlich entweder für einen sozialen und materiellen Ausgleich zu sorgen (der skandinavische Weg, den man einst als dritte Möglichkeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus bewunderte) oder aber für ein wirtschaftliches Wachstum („um jeden Preis“), der auch uns, dem Volk, eine stetige Verbesserung in Aussicht stellt. Der große „Verrat“ der europäischen Sozialdemokratie bestand darin, sich von der ersten Möglichkeit auf die zweite zu schlagen.
Der Schwenk der Sozialdemokratie (und damit ist nicht allein eine Art von Partei gemeint, sondern auch eine Form der politischen Haltung) ins neoliberale Lager bedeutet neben der wirtschaftlichen immer auch eine politische Reaktion.
Rassistisches Konstrukt
So konnte in der jüngsten Verschärfung des Widerspruchs der Begriff Volk ebenso wie der der Elite nach rechts wandern. Und dort wird unter Volk etwas ganz anderes verstanden, nämlich ein nationalistisches und rassistisches Konstrukt. Und auch unter „Elite“ versteht man rechts etwas vollkommen anderes als in der demokratischen Kritik, nämlich keineswegs die Ausbeuter, die Machthaber und die Unterdrücker, sondern im Gegenteil ein unordentliches politisch-kulturelles Milieu, das nach der Meinung der Rechten das eigene Volk verrät mit der tätigen Hilfe von Intellektuellen und Kritikern, das sich als was Besseres vorkommt, nur weil es tolerant, rechtsstaatlich und „faktisch“ argumentiert.
Das Etablierte erscheint nun als nichts anderes denn als das „Fremde“, das dem Volk aufgezwungen wurde, und die Heimat liegt nicht mehr in der Verwirklichung, sondern im Gegenteil in der Abschaffung der Demokratie als jener Kultur, die Fremdes, Queeres und Intellektuelles zulässt. So folgt erschreckenderweise auf den ersten Verrat der Sozialdemokratie in Europa ein zweiter auf der einst linken Seite politischer Diskurse, nämlich der, sich den nach rechts gewanderten Begriffen „Volk“, „Heimat“ und „Elite“ wieder anzudienen. Als wäre wirklich nichts zu lernen gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts