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Debatte Rechte DiskurshoheitVom Wohnen in der Defensive

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Brexit, Xenophobie, Nationalismus und Abschottung: Die Linke hat den großen Erzählungen von rechts wenig entgegenzusetzen.

Rechts stehen seltsam böse Clownsgestalten und es gibt keine adäquate Gegenwehr Foto: suze/photocase.de

D er Brexit lässt sich, bei aller Unterschiedlichkeit, mit einem anderen großformatigen Ereignis vergleichen: als sich Hunderttausende von Flüchtenden im Sommer vergangenen Jahres über Grenzregularien hinwegsetzten. Zwei historische Momente, die unvorstellbar waren und nach herkömmlichen Kategorien auch ungeplant.

Die beiden Ereignisse stehen für die zwei großen verändernden Kräfte dieser Zeit: Im Fall der Flüchtlinge war es die schiere Not, die ihnen die Kraft verlieh, das (uns) Undenkbare zu vollbringen und sich Räume zu nehmen. Im Fall Brexit ist es die gegenläufige Kraft: Nationalismus, Abschottung.

Im Kontrast zu diesem großen Format steht die Kleingeistigkeit auf unserer Seite, nennen wir sie die Seite fortschrittlicher, auf Gerechtigkeit zielender Weltveränderung. Wir haben uns abgewöhnt, groß zu denken. Wir haben vergessen, dass man sich über den Status quo einfach hinwegsetzen kann. Die Utopisten von heute sind nicht wir, sondern jene, die aus purer Not handeln – oder von rechts kommen.

Wann hat es begonnen, dass sich so viele auf den Bänken der Schule für kleines Denken drängten? Es gab tatsächlich eine Erziehung zur Kleingeistigkeit und zum Kleinmut, ein beträchtlicher Teil meiner Generation hat sie durchlaufen. Die Grünen taten sich dabei als Hilfserzieher hervor: Wer als „erwachsen“ gelten wollte, wer ernst genommen werden wollte, möge sich so bescheiden, wie sie selbst es taten, und sich alles Radikale abseifen wie feuchte Traumspuren der Adoleszenz.

Rückzug ist keine Verteidigung

Das ist lange her, vergessen die Schulzeit, doch das Bildungsziel hat sich etabliert: Du darfst nicht einfach wollen, wünschen, träumen. Du brauchst ein konsensfähiges Konzept, einen Business-Plan, eine Machbarkeitsstudie. Alles muss durchgerechnet, durchkalkuliert, „gegenfinanziert“ sein. Welche Kita-Initiative würde es heute wagen, eine Eingabe an den Stadtrat zu machen, die so westentaschenmäßig unseriös vorbereitet ist wie der Brexit?

Wer ständig zurückweicht, kann das verbliebene Terrain immer schlechter verteidigen. Wer diese These bezweifelt, mag einen Moment auf den bedauernswerten Zustand der Sozialdemokratie blicken: Der Niedergang durch Utopie- und Fantasieverlust ist hier in konstanten Zahlen messbar.

Seit wann drängen sich so viele in den Bänken der Schule für kleines Denken?

Wir haben uns daran gewöhnt, in der Defensive zu wohnen, sie zu möblieren mit der stillen Unterwerfung unter die herrschenden Verhältnisse, den Status quo. Aus einem Staatenbündnis austreten? Huch! Erinnert sich noch jemand, dass es einmal eine Debatte über den Austritt aus der Nato gab? Ein deutscher Austritt sollte ein Schritt zur Auflösung des Militärbündnisses sein; die eindeutig friedenspolitische Forderung wurde vom Mainstream erfolgreich in die rechte Ecke verwiesen und in ihr Gegenteil verkehrt: kriegstreiberischer Nationalismus, böser deutscher Sonderweg! Heute kann man sich kaum vorstellen, dass die Nato überhaupt infrage gestellt wird, außer von Putin.

Und ist es nicht bemerkenswert, wie wenig sich Rechtspopulisten durch den Populismusvorwurf beeindrucken lassen, während Linke jedes Mal zusammenzucken, wenn das P-Wort auf sie gemünzt wird? Die Erosion des Vertrauens in Politik und Eliten auszubeuten finden Linke unappetitlich. Sachlich bleiben! Die Rechten haben solche Probleme nicht. Sie behaupten die unglaublichsten Dinge, tischen die größten Lügen auf, fälschen hemmungslos Zahlen; sie leben also ganz ungeniert – und gewinnen die Massen.

Dafür ist nicht nur Donald Trump ein Beispiel. Rodrigo Duterte, der neue philippinische Präsident, nannte den Papst einen „Hurensohn“. Das ist nicht ohne, angesichts der Macht der katholischen Kirche auf den Philippinen. Nicht dass solche Pöbeleien Vorbild wären. Das Gegenstück dazu ist aber linke Leisetreterei, vorauseilender Gehorsam.

Traut sich noch jemand, für irgendeinen Winkel der Welt die Berechtigung eines bewaffneten Kampfes anzuerkennen – außer Ursula von der Leyen? Nichts ist so out wie bewaffneter Kampf von unten, derweil militärische Interventionen den Anstrich des Humanitären bekommen. Nur ein paar Ewiggestrige marschieren immer noch gegen Waffenexporte durch matschige Osterwiesen.

Das Ende unserer Erzählungen

Die Behauptung, wir lebten in einem Zeitalter, da alle großen Erzählungen ans Ende gekommen seien, ist ein häufig nachgeplapperter Unsinn. Es handelt sich nur um das Ende unserer Erzählungen.

Die große, aus der Not geborene utopistische Geste der Geflüchteten, sich offene Grenzen einfach zu nehmen, hat uns nicht wirklich erschüttert. Jedenfalls nicht genug, um uns auf die Möglichkeit radikalen Denkens und Handelns zu besinnen. Fähren über das Mittelmeer – wen könnte man dafür auf die Straße bringen?

Zahllose ehrenamtliche Unterstützer von Geflüchteten verrichten stumm und aufopferungsvoll ihren Dienst am Gemeinwohl. Vielleicht haben sie ein Projekt, die Idee von einer Welt, in der alle handelten wie sie. Aber sie trauen sich nicht, laut dar­über zu reden, denn es ist ja so schon alles schwierig genug.

Seltsam böse Clownsgestalten

Die Systemfrage der Weltordnung, also die Frage, wie Reichtum und Armut international verteilt sind, stellt sich heute so sichtbar wie nie zuvor. Nur die Rechte hat darauf eine Antwort: Nationalismus, Abschottung, Waffengewalt. Sage keiner, diese Dystopie der Düsternis sei keine große Erzählung.

Auch die fortschrittlichen Muslime haben eine große Erzählung von rechts, der sie nichts entgegensetzen und vor der sie zurückweichen, seit mehr als einem Jahrzehnt: der Dschihadismus. Er parodiert den Gedanken der Umma, der Weltgemeinschaft, genauso wie den Kampf für soziale Gerechtigkeit. Aber er schafft wirkmächtige Bilder und Mythen, weil er die Machbarkeit des Unvorstellbaren zeigt und den Tabubruch ohne Reue vorexerziert. Die Langbärtigen haben einiges gemeinsam mit den seltsamen bösen Clownsgestalten der Rechten. Und es ist Zeit, gegenüber beiden eine neue große humanistische Erzählung in Stellung zu bringen. Sie kann nur eine gemeinsame sein.

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20 Kommentare

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  • Die Analyse zielt in die richtige Richtung. Endlich mal Frauenpower wie sie mir gefällt nach all diesen Pseudoemanzen in Politik und Genderismus... Allerdings fehlt die Lösung des grundlegenden Problems: Die Zusammenfassung der vorhandenen Bewußtseinslage, indem man eine Lösung vorschlägt: einfach, verständlich und massenwirksam.

    Mal ein Beispiel:

    Begrenzung der Unterstützung der Einwanderer und Flüchtlinge auf freiwillige Hilfe seitens der Einheimischen - weg mit staatlicher Unterstützung und Kasernierung. Freizügigkeit und Gastrecht nach Kantfür alle und uneingeschränktes Asylrecht - aber eben ohne jegliche staatliche Alimentierung und Reglementierung. Einbürgerungsrecht für alle, die sich selbst ernähren können, oder für deren Lebensunterhalt ein Einheimischer bürgt. Deshalb: nationale und regionale Entscheidungsfreiheit rückerobern! Weg mit diesem ganzen EU-Blendwerk, das uns nur immer tiefer in einen modernen Totalstaat zwingen will.

    Was den Terrorismus betrifft, hat Frau Künast aus dem Bauch heraus den Nagel auf den Kopf getroffen: die ganzen Dienste sind relativ absurd, wenn selbst ein Sonder(einsatz)kommando einen axtschwingenden Jugendlichen nur durch einen Fangschuß außer Gefecht setzen zu können glaubt. Die Rederei vom Krieg gegen den Terrorismus fördert lediglich die Beseitigung der Demokratie in unseren Staaten durch allgemeines Notstands- und Kriegsrecht. Weg mit den Notstandsübungen von Politzei und diesem unsäglichen Miniblaubut, das ihre Brut - wenn es denn gerecht zugehen sollte - für den nächsten Massenmord kriegerischer Art hat groß füttern lassen. Wenn Frau Wagenknecht gemeint hat, es müssten die kriminalpolizeilichen Fähigkeiten gestärkt werden, hat sie natürlich Recht. Aber nur unter sozusagen Künastscher Kontrolle...

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    ich habe zumindest eine ahnung wenn ich anderen "linken" zuhöre oder artikel lese(dieser hier ist aber ganz gut) warum die linke out ist und lächerlich rüberkommt.

     

    ohne mir jetzt allzu fest auf die eigene schulter zu klopfen kann ich von mir behaupten, das ich seit jahren recht erfolgreich mit rechtskonservativen im internet und im realen leben diskutiere und streite ohne dabei in der defensive zu sein.

    im grunde kann man rechte argumente einfach zerlegen und gleichzeitig linke alternativen aufzeigen. es braucht dafür lediglich ein wenig geduld, wahrheitsliebe, ein sozialpsychologisches verständnis seines gegenübers, eine deutliche und sprache, ein verständis für relevante debatten und ausserdem ein bischen mut zur klaren kante.

     

    rechte fluten die kommentarspalten vieler medien wie zb. von Zeit online,spiegel, FAZ und zwingen dort anderen die diskussionsrichtung auf.

     

    wer bock auf internetdebatten hat, sollte auch mal seinen linken schutzraum verlassen und dort mitmischen

  • Wann es begonnen hat, dass "sich so viele auf den Bänken der Schule für kleines Denken drängten"? Ganz einfach: Als die Rechte gelernt hat, nicht mehr auf die "Linke" einzudreschen, sondern sie zu kaufen. Seither hat auch die "Linke" etwas zu verlieren. Die Freiheit nämlich, das Unmögliche nicht aus der blanken Not heraus versuchen zu müssen.

     

    Es gibt wohl keine Linken mehr. Nicht in Deutschland. Nicht 2015. Und das ärgerlichste daran ist: Die Rechten wissen, dass sie siegen auf die sanfte Tour. Just heute hat die Welt am Sonntag – die Bams für Wohlstandsbürger und solche, die es werden wollen – das Ergebnis einer Studie publiziert, die dazu passt. Psychologen wollen herausgefunden haben, dass Kinder und Erwachsene ihr Verhalten rasch und nachhaltig anpassen, wenn man ihnen mit Strafe droht, zum Beispiel mit dem Entzug selbst kleinster Geldbeträge. Nur Teenager, war zu lesen, reagieren völlig anders. Nämlich nicht auf Strafe, sondern auf Lob. Das läge, heißt es, daran, dass das jugendliche Gehirn vollständig umgebaut wird. Den Umbau, dachte ich beim Lesen, sollte man bleiben lassen, wenn er so blöden Folgen hat.

     

    Die Erosion des Vertrauens in Politik und Eliten auszubeuten, finden Linke unappetitlich. Wieso wohl? Ganz einfach: Weil man ihnen in der "Umbauphase" ihres Hirns erfolgreich eingeredet hat, sie müssten/könnten auch Elite werden. Und als sie’s dann geglaubt haben, hat man ihnen mit dem Rauswurf gedroht. Das wirkt. Die Rechten haben solche Probleme nicht. Es sei denn, sie gründen eine eigene Partei. Dann werden sie zu Hydranten (danke, Friedrich Küppersbusch, you made my day) – und demontieren sich nicht weniger erfolgreich selbst.

     

    Nein, es sind nicht die großen Erzählungen, die an ein Ende gekommen sind. Es sind die linken Erzähler. Von Hollywood verfilmt werden bloß rechte Dystopien. Die bringen schlicht mehr Geld. Gibt nämlich mehr Verlierer als es Sieger geben kann. Humanismus? Macht einfach keine Kasse.

    • @mowgli:

      "Es gibt wohl keine Linken mehr. Nicht in Deutschland" Und diejenigen, die sich noch radikal links wähnen, küssen Putin den Hintern und finden dass er gut schmeckt- alles für den Weltfrieden, selbstredend.

    • @mowgli:

      Übrigens: Wie erfolgreich friedenspolitische Forderungen aller Art vom Mainstream in die Ecke verwiesen und in ihr Gegenteil verkehrt wurden und werden, merkt man unter anderem auch an einer der Fragen, die im Text gestellt werden. "Traut sich noch jemand, für irgendeinen Winkel der Welt die Berechtigung eines bewaffneten Kampfes anzuerkennen – außer Ursula von der Leyen?", wollte Charlotte Wiedemann wissen. Sie bebildert damit eindrücklich die eigene Analyse. Der "bewaffnete Kampf von unten" ist alles andere als ein innovatives Konzept. So weit sollte der Neid auf den Erfolg der Rechten dan doch niemanden treiben, dass er oder sie seine/ihre Zuflucht zu deren Dystopien nimmt, nur weil ihm/ihr etwas Besseres partout nicht einfallen will. Dann schon lieber Dexit. Zum Beispiel aus der NATO. Der, allerdings, ist mit der aktuellen Regierung ganz bestimmt nicht zu machen. Und mit den Grünen Ehrgeizlingen auch nicht.

  • Ein guter Artikel mit starken Leserkommentaren (vor allem von JAROSLAW MAJCHRZYK und COSMO, weniger von RUDEBOY).

     

    An dem habe ich nun länger zu kauen, weil es mir meine ehemalige Situation als Betriebsratsvorsitzender deutlich "vor Augen führt".

     

    Gestartet war ich sehr euphorisch, wurde sodann vom Gremium (durch mehrere Amtsperioden hinweg und also auch in wechselnder Zusammensetzung) immer u. immer wieder ausgebremst, teilweise auch "gegen die Wand laufen gelassen" (ich war der einzige, der der Gewerkschaft angehörte).

     

    Zusammen mit eigenen Fehlern, die ich damals - unwillentlich u. unwissentlich - gemacht habe, führte das - in einer Art "Selbstbegrenzung" - dazu, dass ich meine Beschlussvorlagen und meine Vorschläge immer stärker am Machbaren ausgerichtet habe.

     

    Meinen Crash im Betriebsrat (und damit auch im Betrieb) verhinderte nur, dass ich krankheitshalber aufgeben musste, nicht mehr zur Neuwahl antreten konnte und nun als Erwerbsunfähiger auch meinen Arbeitsvertrag auflöste.

  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    Den Linken von heute fällt einfach nichts mehr ein. Man ist allenfalls noch in die Pflege eigener Traditionen vertieft, schmettert Arbeiterlieder und schwenkt rote Fahnen. Nur, erreichen tut man damit schon lange keinen mehr. So hinterlässt der Verlust der Sozialdemokratie eine nicht zu schließende Lücke, weil alles, was traditionell links davon ist, in der Regel allenfalls für 15% der Menschen wählbar ist.

    Die elitäre Attitüde vieler Linke tut ihr übriges. Wenn man die eigene Klientel in Wahrheit verachtet, tut man sich naturgemäß schwer damit, diese auch anzusprechen.

    Und so holt sich die Rechte eben das, was die Sozialdemokratie in ihrem idiotischen Streben nach Anerkennung vonseiten der Eliten nicht mehr vertreten kann und will.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Welche große Erzählung von links würde denn nicht sofort gegen dutzende alter Wahrheiten verstoßen?

     

    Die Linke verspricht seit langer Zeit jedem alles, und nun ist man gefangen im Netz alter Versprechungen.

     

    Wie will man denn gleichzeitig ein offenes Europa erhalten und den Neoliberalismus einhegen? Wie für Gleichstellung sorgen ohne irgendwen zu diskriminieren? Wie Millionen Flüchtlinge aufnehmen ohne Druck auf das untere Drittel der Gesellschaft aufzubauen? Usw...

     

    Die Linken haben sich selbst gegenseitig in Geiselhaft genommen und ich sehe da derzeit keinen Weg zurück, nicht ohne ein paar alte Wahrheiten aufzugeben...

    • 3G
      34970 (Profil gelöscht)
      @32795 (Profil gelöscht):

      Warum sollen die "Millionen Flüchtlinge" (?) Druck auf das untere Gesellschaftsdrittel ausüben und nicht auf das obere? Also das eine Drittel das Syrer nichtmal mit der Kneifzange anfassen will und auch nicht grade gut auf Flüchtlingsheime in ihrer Nachbarschaft zu sprechen sind. Nein. Die Armen und die Flüchtlinge gegeneinander Ausspielen das ist eine "alte Wahrheit" von denen wir uns mal langsam trennen sollten. Nicht mehr alles glauben was in der BILD steht wäre aber auch schon ein Anfang (...)

  • Die Systemfrage ist aber keine Verteilungsfrage! Die Systemfrage ist vielmehr die Frage, wer über die Produktionsmittel verfügt: die privaten Unternehmen oder die Gesellschaft? Ersteres bedeutet Kapitalismus, letzteres Kommunismus.

     

    Und ich glaube nicht, dass die Linke eine große Erzählung braucht. Große Erzählungen tendieren dazu, katastrophal zu enden. Es wäre im Gegenteil geradezu revolutionär, ohne eine solche große Erzählung auszukommen. Keine großen Appelle und gewaltigen Worte mehr.

     

    Besser wäre es, in der Praxis eine linke Alternative aufzuzeigen. Von unten, im Kleinen, aber dafür gesellschaftlich umso wirkungsvoller. Rechte Politik und Propaganda lebt ja davon, den Menschen irgendwas zu versprechen und eben mit großen Erzählungen daherzukommen. Die Kunst linker Politik wäre es nun, dem eine gesellschaftliche Praxis entgegenzusetzen, bei der Solidarität, gegenseitige Hilfe und Hierarchie-/Herrschaftsfreiheit eine wichtige Rolle spielen. Anarchie ist machbar Herr und Frau Nachbar!

  • Ich glaube, dass nicht ein Mangel an Utopien das Prolem der Linken ist, sondern das starrsinnige Festhalten an ihnen.

    Man schaue auf die Flüchtlingsfrage: grob vereinfacht wollen die Rechten weniger und die Linken mehr. Oder zumindest keine rauswerfen. Was ja auf Gleiche rauskommt.

    Es zeigt sich also, dass Linke an ihrer hehren Idealen festhalten während die Rechten dem Volk nach dem Mund reden.

     

    Die Forderung nach mehr Populismus läuft also ins Leere. Man kann nicht gegen das Volk populistisch sein. Und wollte man die Menschen überzeugen, dann bräuchte man Argumente statt Utopien. Leider sehe ich keine.

  • Als wahrlich Nicht - Linker vermisse ich die Debattenkultur der linken Jugend der 70-ger und 80-ger Jahre, mit deren Inhalten ich selten einverstanden war. Doch fand ich das politische Engagement und die Kreativität dieser jungen Menschen belebend und dynamisch.

    Wo sind diese Menschen geblieben? Wo haben sie sich eingerichtet in diesem System, dass sie einst vehement in Frage gestellt haben?

    Und wo sind die jungen Menschen heute: Warum gehen sie nicht auf die Straße und demonstrieren für ihre Zukunft( damit meine ich nicht die Demonstranten in der Rigaer Straße, das sind für mich Kriminelle). Warum gründen sie nicht eine eigene Partei und verlassen die verstaubten Strukturen der Jugendorganisationen der Etablierten?

    Bisher fehlen mir die Antworten. Vielleicht sind wir wirklich alle zu satt und zu Besitzstandwahrern geworden.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Ich war schon immer die Meinung, dass die Misere der Linken (Partei und politische Richtung) auch an dem mangelnden Populismus liegt.

     

    Wie genüsslich könnte man z.B. Folgendes ausschlachten:

     

    Während man den Tagelöhnern der Zeitarbeit, den anderen prekär Beschäftigten und vielen anderen die große Enthaltsamkeit predigt, damit wir "wettbewerbsfähig" werden/bleiben und unser Export blüht, verscherbeln die geldgierigen Eliten innerhalb nicht mal einer Dekade 600.000.000.000 (600 Mrd.) Euro, Geld was euch vom Munde abgespart wurde, in einem weltweiten Finanzkasino. Sie haben's nicht an euch gezahlt, sie haben es nicht hier investiert, sie haben es in 7 Jahren durch Finanzanlagen verloren. Total. Nicht Kursschwankungen o.ä. Nein, Totalausfal (übrigens das Geld, das die weltweite Finanzkrise schön befeuert hatte.)

    http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/deutsche-investoren-verlieren-600-milliarden-euro-im-ausland-verzockt/8523022.html

     

    600 Mrd =

     

    1. ca. 2.000.000 Einfamilienhäuser

    2. ca. 13 Jahre Ausgaben für HartzIV (wohl Sprudelwasser inklusive)

    3. ca. 30 Jahre Auslandsurlaub für 2.500-3.000 Euro für *jede* Familie mit minderjährigen Kindern

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Och Gottchen , Jaroslaw , ... diesmal voll daneben . D i e s e s ("unser") Geld , das da verbrannt worden ist , war schon vorher Luftgeld , beruhend auf Schulden , mit denen andere Länder unsere wunderbaren Exporterfolge bezahlten . Pumpkapitalismus eben , wie Schäuble treffend formuliert hat , hat eben seine Schattenseiten :-)

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      "ca. 30 Jahre Auslandsurlaub für 2.500-3.000 Euro für *jede* Familie mit minderjährigen Kindern"

       

      ...jedes Jahr

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Also auch wenn ich der Meinung bin, das vor Allem reine Finanzanlagen ein großes Problem sind, da hier eine Menge virtuelles Geld geschaffen und wieder verloren wird mit Auswirkungen auf Realwirtschaft, wird ihre Argumentation doch schon in dem Beitrag vom Tagesspiegel komplett torpediert.

         

        Es sind halt keine Totalausfälle, Aktien und Immobilien können wir höhe bewertet werden (vermutlich sind sie es dank Draghis Spielgeld inzwischen sogar massive, man muss sich nur mal den DAX ansehen seit 2012) zum Anderen sind das Investitionen, sie sprechen abgesehen von den Einfamilienhäusern (Für die dann Miete eingenommen werden müssten) lediglich Konsumausgaben, die leider 0 wirtschaftstragend sind.

         

        Außerdem ist es natürlich so, dass auch bei Investitionen in Deutschland ein Ausfallrisiko besteht, das man Geld verlieren kann ist halt in der Essenz von Investitionen begründet.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @Krähenauge:

          Es war auch eine Übung im (wohl berechtigten) Populismus.

          Es gibt irgendwo paar papers im Netz (finde ich nicht auf die schnelle, auch von der Allianz), die den Betrag als total loss darstellen. Es wird allerdings auch versucht, den verlorenen Wert mit versch. Berechnungsmethoden zu erklären (https://www.ceps.eu/publications/are-germans-wasting-their-savings-abroad). Selig wer's glaubt. Den Begriff "stupid German money" gab es in der Finanzbranche wohl nicht umsonst.

          • @10236 (Profil gelöscht):

            Oh keine Sorge, ich glaube gerne das die ne Menge Geld verbrannt wird bei Finanzanlagen (nicht nur ausländische), dass es vornehmlich kaum gab, vor Allem auf Pump spekulieren hat und hatte immer Hochkonjunktur.

             

            Aber ich bin einfach nicht der Meinung, das Populismus hilft, wenn man eine komplexere Lösung anstrebt, und bei schlichten Lösungen kann Links mit Rechts nie konkurrieren, da früher oder später die Blameguys von Links nicht mehr die Kategorie erfüllen (Ausländer sind immer Ausländer/Enteignete Reiche nicht mehr Reich).

             

            Der englische Artikel ist übrigens recht interessant und zumindest buchhalterisch auch korrekt, dieses Problem haben mehr oder minder alle Bestandsaufnahmen wenn man Forderungen und Verbindlichkeiten vergleicht.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Und die sich stetig wiederholenden Diagnosen sind das Vorzimmer dieses Anwesens. Seeßlen, Walther, Wiedemann usw. usf. Jeder in der Linken hockt doch heute in seinem eigenem Nest und keiner will dort heraus.