Debatte Konsum: Kauf dich glücklich!
Wie war sie, die Welt ohne den allumfassenden Konsum? Das kann man auf den vollen Weihnachtsmärkten in den neuen EU-Ländern studieren.
U m einen Laden habe ich wirklich immer einen großen Bogen gemacht: „Kauf dich glücklich“. In Berlin, in der Oderberger Straße, zum Beispiel. Ich hatte nichts gegen die Waffeln, das Interieur oder die Menschen dort. Ich hatte einfach etwas gegen diesen Namen.
In Ex-Jugoslawien, dem untergegangenen Land meiner Eltern, lässt sich an der Namensgebung für Cafés leicht der Zeitgeist des europäischen Kontinents ablesen. Kurz nach dem Krieg hieß jedes zweite Lokal „Café Genscher“. Das war, als die FDP noch von Bedeutung war und nicht einfach weg rannte, wenn es kompliziert wurde. In der Zeit, als Deutschland Europas Einheit vorantrieb, dann: „Café Europa“. Die europafreundlichen, weltläufigen Namen wurden zunehmend ersetzt durch Schilder mit „Café Ego“ darauf. Oder „Egoist“.
Die neuen Länder der EU sind wie ein Brennglas: Man sieht die Dysfunktionalität der westlichen Demokratien schärfer. Man sieht genau genommen geradewegs in die Fratze des Kapitalismus – dagegen ist Batmans Joker ein Milchgesicht. Die freien Märkte fressen sich durch Land und Menschen, als hätte es nie eine andere Beschäftigung gegeben als Einkaufen. Kauf dich glücklich! Was haben die Leute mit ihren Wochenenden gemacht, bevor sie den Einzelhandel geflutet haben? Ich weiß so kurz vor Weihnachten nicht mehr, was Leute eigentlich tun, wenn sie nicht einkaufen, Geld ausgeben oder arbeiten, um Geld auszugeben.
In „Before Sunset“ – oder war es Before Sunrise? – in einem der unvergesslichen Liebeslaberfilme von Richard Linklater jedenfalls, erzählt Julie Delpy von Ferien in Polen, als Polen noch nicht kapitalistisch war. Ihre ersten und einzigen Erfahrungen mit dem (fast) produktfreien Leben. Da war diese lange Weile, Zeit, die sich dehnte, ohne dass sie gefüllt werden müsste. Während Delpy in dieser Szene so konsumvergessen daher redet, verliebt sich nicht nur Ethan Hawke in sie. Jeder verliebt sich in die Erinnerung an einen Zustand, in dem man nicht nur an Haben, Kaufen oder Gewinnen denkt.
Das Vordringen des Kapitalismus
Geht man heute durch Zagreb, strömen die Menschen auf Weihnachtsmärkte, die es noch vor wenigen Jahren so nicht gab. Wer hat all diesen Leuten beigebracht, Weihnachtsmärkte mit Ramsch zu mögen? Wer hat ihnen beigebracht, sich nicht mehr in Wohnzimmern, sondern in teuren Restaurant zu treffen – und gleichzeitig darüber zu klagen, dass man sich nichts mehr leisten kann? Ich erinnere mich noch an dieses untergegangene Jugoslawien. An eine nicht ganz vorkapitalistische Zeit, in der natürlich auch so manches Scheiße war.
Aber es gab Zeit. Langeweile. Menschen, die sich ins Gesicht sehen mussten. Es gab diese merkwürdige Kunst, Nouvelle-vague-mäßig, von der noch heute Plakate in manchen Straßen hängen. Als hätte der Kapitalismus hier noch nicht sein Netz ausgeworfen. Ein österreichischer Hotelinvestor sagte mir jüngst, man investiere noch nicht so gerne in „den Balkan“. Man könne ja dort noch immer im Hotel von einem mit Knarre heimgesucht werden. Wohl ein Mythos, den linke Feuilletonisten streuen, um das Vordringen des Kapitalismus zu bekämpfen.
Bereist man die neuen Länder der EU, so gibt es diesen letzten Rest Erinnerung an die Zeit vor dem totalitären Kapitalismus. Unabhängige Kulturzentren im Herzen der Stadt, wie sie etwa ein Pasolini besuchte. Man merkt es jedoch vor allem den Menschen an. Es ist ihre eigentliche Zerreißprobe, dass sie alles auch haben wollen – und gleichzeitig nicht einsehen, weshalb sie von der Maschine Kapitalismus gefressen werden sollen. Ohne diese Zerrissenheit ist der nationalistische Turn Osteuropas nicht zu verstehen. Wer nichts hat, der verliert noch mehr. Es gibt nur den Herren oder den Knecht. Der Herr ist oft der Investor aus dem Westen, Öl-Mogul, oder dergleichen.
Das Hamsterrad dreht sich weiter
Vielleicht sind die Menschen kritischer, weil sie zwei Systeme erlebt haben. Sie wissen, wie Kapitalismus sich anfühlt, weil sie nicht wie ein Fisch im Wasser darin schwimmen. Ich möchte so kurz vor Weihnachten nicht Bilanz ziehen, das macht man für gewöhnlich an Neujahr. Aber gestern erreichte mich ein Brief, in dem stand: „… dass du hoffentlich die Zeit findest, die „Steigerungslogik“ (Hartmut Rosa) unserer modernen Gesellschaften für eine Weile zu unterbrechen…“.
Ich habe kurz die freien Stunden in meinen Terminkalender für diese Woche hochgerechnet und alles Unerledigte. Die Leistungsgesellschaft fordert nun auch noch Leistungsminderung von mir ein – am besten bei gleichbleibenden Ergebnissen. Unterbrochene Steigerungslogik – kann ich das kaufen? Macht es gekauft auch glücklich? Kann man in unserer Gesellschaft noch einen Raum betreten, in dem es nicht um Macht und Erfolg geht?
Es gibt an Weihnachten zwei Tage, an denen nicht eingekauft werden kann. Das dürfte für einige einem Entzug gleichkommen. Ich lese derzeit in den Gedichten des spanischen Poeten Diego Doncel. „Porno Ficción“ heißt der preisgekrönte Band. Er beschreibt eine Welt, in der die menschliche Phantasie nicht mehr zu produzieren weiß als das grelle Abbild der Bilder, die uns die kapitalistische Traummaschinerie vorgibt. Doncel schreibt von einer Welt, „in der Sex die letzte Zuflucht ist“ – in einer Zeit, in der Sex das Mittel der Wahl ist, um sein Produkt zu verkaufen. Doncels Bild vom letzten Refugium ist als Warnung gemeint, dass nur noch in der allerletzten Zelle, zwischen zwei Menschen, vielleicht ein zweckfreier Moment entstehen könnte. Dann geht es für uns Konsum-Lemminge dem Heiligabend-Harakiri entgegen.
Ein Workaholic sagte mir beim Weihnachtsessen, er gehe jetzt immer schon eine Woche vor Heiligabend in Urlaub, um an Weihnachten überhaupt mitzukriegen, dass Weihnachten sei. Sonst drehe sich das Hamsterrad einfach weiter. Der übliche Weihnachtswahnsinn eben.
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