Die Wahrheit: Bergauf stets heutig warum?
Weihnachten ist die hohe Zeit der Bedienungsanleitungen. Neues aus der Welt der abstrusen Übersetzungen.
Weihnachtszeit – Geschenkezeit. Wer unterm Tannenbaum ein Päckchen entdeckt, der darf sich auf Nasenhaartrockner, digitale Kuchenheber oder funkgesteuerte Schuhlöffel freuen. Damit diese in fernen Gegenden der Welt gefertigte Utensilien aber auch funktionieren, braucht es die Bedienungsanleitung, die meist in einer deutschähnlichen Geheimsprache verfasst ist. Fast jeder hatte schon mal solch eine in der Hand. Einige haben sogar eine gewisse Berühmtheit erlangt, etwa die für eine elektrische Kerze chinesischer Produktion. Dort heißt es eingangs forsch: „Auspack und freu.“
Immerhin: In welcher Form sich der Auspackende zu freuen hat, ob durch Rufe oder mehr tänzerisch oder ganz still für sich, ist ihm freigestellt. Wahrscheinlich würde auch „Doppel-freu“, ein anhaltendes Sich-freuen, vom Hersteller geduldet werden. Irgendwann hat sich aber auch das heiterste Gemüt ausgefreut und kann zu Punkt 2 der Anleitung übergehen: „Stippel A kaum abbiegen und verklappen in Gegenstippel B.“
Spätestens jetzt fände die Freude wohl ein Ende. Denn das Verklappen der Stippel wird nur handwerklich Hochbegabten im ersten Anlauf glücken; in jedem Falle ist es aber reif für den Mike-Klügel-Gedächtnis-Pleis.
Selbstaufblasende Luftmatratze
Recht bekannt ist auch der zu einer selbstaufblasenden Luftmatratze gereichte Hinweis: „Wenn das Wetter kalt ist, wird die Puff Unterlage sich langsam puffen.“ Eine Erklärung, die, wie alle gute Literatur, einen Subtext enthält: nämlich den, dass bei warmem Wetter eine eher rasche Puffung zu erwarten ist. Bei mittlerem Wetter pufft es vermutlich nur so lala. Oder gar nicht, was aber bedeuten könnte, dass an der Puff Unterlage das Luftzufuhrventil nicht geöffnet ist, welches man in diesem Zusammenhang glatt „Einpuff“ zu nennen versucht ist.
Die Recherche fördert zudem die Benennung des Ein- und Ausschaltknopfs eines Radios als „Kraft Schalter“ zutage, der in derselben Anleitung an anderer Stelle zur Abwechslung auch als „Knauf“ bezeichnet wird: „Wenn dieser Knauf wird gedrückt, wird die Kraft angemacht“. Was selbstredend nur funktioniert, wenn man zuvor die Kraftschnur in den Kraftanbieter gesteckt hat. Es sei denn, das Gerät bezieht die Kraft gar nicht über Schnur, sondern schnurlos aus Kleinkraftkapseln.
Besonders groß ist die Freude, wenn man der Familie zum Fest einen Urlaub schenkt und dabei auf der in Landessprache verfassten Webseite einer am Atlantik gelegenen Ferienhaussiedlung in Frankreich landet. Dort verheißt ein Fahnensymbol, dass es auch eine deutsche Fassung gibt. Doch was folgt, wenn man es anklickt, ist ein eher verwirrender Text. „Bergauf stets heutig warum?“, ist zu lesen und: „Am Morgen nicht zu Füße Barmherzigkeit“. Oder auch: „Versonnen aber sich geglückte Wellen rasen“.
Rasende Fragezeichen
So sehr man sich auch bemüht, es entstehen einfach keine dazu passenden Bilder im Kopf. Und wenn doch, dann von einem ziemlich großen, barmherzig zu Fuß bergauf rasenden Fragezeichen. Wären da nicht die Fotos, die das Meer und die Dünen, die Ferienhäuser und sommerlich gekleidete Urlauber zeigten, man wüsste nicht, worauf die Webseite die Aufmerksamkeit des Betrachters lenken möchte. Es könnte sich ebenso gut um die Erzeugnisse einer Knopffabrik handeln wie um ein besonders gut gelegenes Wohnheim für verarmte Geistliche oder um die fachgerechte Ausführung von Auftragsmorden durch IHK-geprüftes Personal.
Wer sich aber der Mühe unterzieht, den Text weiterzulesen, der wird reich belohnt. Es ist, wie wenn man sich barfuß durch dorniges Gestrüpp kämpft, die Kräfte schwinden, die Füße schmerzen, und dann erblickt das Auge plötzlich einen lieblichen Platz, eine verzauberte Lichtung, auf der Häschen umhertollen und sich die Bienen mit Morgentau das Gesichtchen putzen. Denn zwischen dem vorletzten und dem letzten Absatz steht, ganz für sich, die folgende Zeile: „Manche Unterkünfte haben die Zustimmung des Meeres!“
Wie erhebend, denn wer würde nicht gern ein Quartier beziehen, das die Zustimmung von etwas so Mächtigem findet wie dem Ozean? Zumal ja weltweit Millionen Menschen in Unterkünften leben, die noch nicht einmal die Zustimmung des Bauamtes haben.
Doch abgesehen davon: Was für ein Satz, ein wenig rätselhaft, ja, aber eben auch sehr, sehr schön! Eine Perle, erschaffen nicht von einem preiswürdigen Dichter, sondern von einem Programm, einem Algorithmus. Nicht, dass damit die Existenz von „künstlicher Intelligenz“ bewiesen wäre, keineswegs. Aber wollen wir nicht zu streng sein. Auch für Maschinen gilt: Leben und leben lassen. Es ist schließlich Weihnachten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen