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Debatte KapitalismusStreuerhinterziehung am Küchentisch

Kommentar von Georg Seesslen

Salz- und Pfefferstreuer erzählen uns viel über das Wesen des Kapitalismus. Unendlich variierbar sind sie Begeleiter sozialer Auf- und Abstiege.

Hören wir genau hin, denn die Streuer erzählen uns was vom Klassenantagonismus. Bild: imago/McPHOTO/Kerpa

A lle reden von Steuerhinterziehung, von politischer und sonstiger Moral, von Verteilungsgerechtigkeit, Finanzkapitalismus, schleichender Enteignung der kleinen Sparer und vom Merkelismus. Vom Ende oder von der Unbeendbarkeit unseres famosen, auf Wettbewerb, Wachstum und Wirrnis beruhenden Wirtschaftssystems. Und ich? Ich rede von Salzstreuern.

Der Salzstreuer war ursprünglich eine geniale Idee; ein abgekantetes Glasfässchen mit metallenem Schraubverschluss. Fein gemahlenes Salz hinein, drei, vier Reiskörner dazu, das bindet die Feuchtigkeit; ab und an mit einem Zahnstocher die Löcher von verklumptem Salz befreien, fertig ist die praktische und mehr oder weniger hygienische Art des Salzens.

Salzen ist okay, wenn es sich zum Beispiel um ein Frühstücksei oder eine frisch aufgeschnittene Tomate handelt. Eher nicht okay, dennoch zumindest in Deutschland sehr verbreitet, ist das sogenannte Nachsalzen. Eine Beleidigung für jeden Koch, wenn Sie mich fragen. Trotzdem bleibt die Bereitstellung des Salzstreuers wohl ein Grundelement der Gastlichkeit.

Der Salzstreuer ist eines der ersten Objekte, die in einem Haushalt ihren Platz finden. Und umgekehrt: Haushalte finden sozusagen rund um einen Salzstreuer statt. Zu dem findet sich ein Gegenstück: der Pfefferstreuer.

Nachpfeffern ist erlaubt

Der Pfefferstreuer stand stets im Schatten des Salzstreuers. Und vollends obsolet wurde er durch den Siegeszug der Pfeffermühle. Die Pfeffermühle zeigt, dass ein Haushalt gefestigt wurde. Die Wichtigkeit zentraler kulinarischer Rituale lässt sich ohne Weiteres an der Größe der Pfeffermühle ablesen, die dabei zum Einsatz kommt. (Für die Kenner kommt es natürlich auch auf das Mahlwerk an.)

taz
Georg Seesslen

ist freier Publizist und Kinoexperte. 2012 erschien von ihm „Wir Untote! Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction“ (mit Markus Metz).

Vom Salzstreuer zur Pfeffermühle, das ist das erste kleine Kapitel in der Geschichte der Kleinbürgerfamilie: Da geht es noch bergauf! Es ist das Konsolidierungsinstrument eines Haushalts, eines von etlichen jedenfalls. Und da schaut natürlich der Salzstreuer wieder ziemlich alt aus. Denn Nachpfeffern ist ausdrücklich erlaubt, es zeugt von Geschmack und Eigensinn, während Nachsalzen … Also, wo sind wir denn hier?

Salz und Pfeffer verhalten sich zueinander wie das Proletariat zum Kleinbürgertum. Das eine ist dringend notwendig, benimmt sich aber immer daneben, das andere hält sich selbst für was Besseres und merkt gar nicht, wie es den Geschmack verdirbt. Wie die Pfeffermühle den Salzstreuer überragt, so wächst man über seine Anfänge hinaus. Als Pfefferstreuer jedenfalls kann man ziemlich tief fallen. Wenn man nämlich als Pfefferstreuer durch eine Pfeffermühle ersetzt worden ist, steht man nur noch so im Regal herum und ist der eigenen Hässlichkeit schutzlos ausgeliefert. Es sei denn, man hatte sich schon zuvor mit dem Salzstreuer zu einem zumindest theoretisch untrennbaren Set verbunden.

Ein Salzstreuer der traditionellen Art dagegen ist ein nur mäßig variiertes Industrieprodukt. Weil es jeder Haushalt braucht, unterliegt es dem, was Georg Simmel die konsumtive Preisbegrenzung nannte: „Viele Güter sind in solcher Masse vorhanden, dass sie von den zahlungsfähigsten Elementen der Gesellschaft nicht konsumiert werden können, sondern, um überhaupt abgesetzt werden zu können, auch den ärmeren und ärmsten Schichten angeboten werden müssen. Deshalb dürfen derartige Waren nicht teurer sein, als diese Schichten im äußersten Fall zu zahlen imstande sind.“

Die feinen Unterschiede

Salzstreuer haben nun freilich, um aus der Falle der konsumtiven Preisbegrenzung zu entkommen, eine ästhetisch-mythische Spirale in Gang gesetzt. Das Ding aus Glas mit durchlöchertem Blechdeckel, das man unter anderem aus Lokalen mit mäßiger Reputation kennt, wurde durch Salz- und Pfefferstreuer von abenteuerlichen Formen und Materialien ersetzt, oft zusammengeführt in Körbchen oder anderen Behältnissen. Es gibt nichts auf dieser Welt, was nicht die Form von Salz- und Pfefferstreuern im praktischen Set annehmen kann: Köche, Katzen, Eier, Weltrevolutionäre, Eisenbahnwaggons, Kakteen, Kutschen, Omas und Opas, Menschenfüße, schiefe Türme, Dampfer …

Für den oben genannten Haushalt, der ja auch so seine eigene Geschichte hinter sich zu bringen hat, zeitigt die ästhetische Explosion der Salz- und Pfefferstreuer fatale Folgen. Sie werden nämlich, nur zum Beispiel, zu einem dieser Mitbringsel und Geschenke, die sich häufen, ohne dass man sie zu entsorgen wagt. Zur gleichen Zeit aber werden Salz- und Pfefferstreuer zu Objekten, die beweisen, wie man zum Zeitgeist, zum Geschmack, zum Humor und zur Idee der Tischdekoration steht. Nie war der Mensch so nackt wie mit seinem Salzstreuer.

Aus dem ursprünglichen Massenobjekt, das auch eine klassenübergreifende Praxis ermöglichte (Reichen Sie mir mal bitte das Salz rüber? Ein Satz, den man nicht zufällig nur noch sehr selten hört) und eines jener Gemeinschaft über alle Einkommens- und Kulturgrenzen stiftenden Kulturobjekte war, wurde ein militantes Differenzierungsinstrument. Ich sage nur: Designer-Salzstreuer. Ein echt antikes Stück, übrigens. Ach wissen Sie, ein Weihnachtsgeschenk, das uns die Kinder aus Burma mitgebracht haben. Der postmoderne Salzstreuer ersetzt ein Tischgespräch über Subjektphilosophie.

Salzstreuer beim Sonnenkönig

Und am schlimmsten erwischt es natürlich wieder einmal die weniger verdienenden Opfer der Discounter-Kultur. Plastiksalzstreuer im 1-Euro-Regal; ach komm, ist doch mal was anderes. Und wenn sie beim ersten Versuch, dem Salzklumpen ein gleichmäßiges Würzen abzuringen, zusammen mit dem Mahl kaputtgehen, das man zu verbessern trachtete? Morgen gibt es neue Salzstreuer.

Aus der konsumtiven Preisbegrenzung ist eine eklatante Überversorgung der Menschheit mit Salz- und Pfefferstreuern geworden. Unendlich variierbar nicht nur in Form und Farbe, sondern auch in kulturellem Anspruch und in der Sinnproduktion. Wohin träumst du mich, kleiner Salzstreuer? In selige Kindheit, in Aufbau und Fortschritt, an den Hof des Sonnenkönigs, nach Chemnitz gar?

Die Unkaputtbarkeit des Kapitalismus kann man zweifellos am Salzstreuer-Markt erklären. Immer mehr Salzstreuer! Immer andere Salzstreuer! Salzstreuer mit eingebauter Kaputtgarantie, Salzstreuer mit einer „Ich kann’s nicht mehr sehen!“-Garantie, Salzstreuer als Begleiter sozialer Auf- und Abstiege.

Und nun? Man kann bei gewissen sehr hippen Läden einen Salzstreuer ganz in der traditionellen Art erwerben; ganz billig ist diese Rückbesinnung allerdings nicht.

Wenn mich also mal jemand fragen sollte, wie der Kapitalismus funktioniert und was für verheerende Folgen er für jeden Einzelnen von uns hat, dann antworte ich nur: Salzstreuer.

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13 Kommentare

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  • oh mann, das ganze könnte ja auch für die taz stimmen....nach langen Jahren mit teuren Designerstreuern kommt doch tatsächlich einer daher und will endlich Gerechtigkeit (hihi) für die 1,-Streuer. Aber es ist ja alles vorgeplant falls es doch aus irgendwelchen ganz abstrusen Ideen in die Richtung gehen sollte, das Salz kriegt einfach eine so große Nachfrage, weil alle nur noch Suppe essen (können), das eben das dann teurer und teurer wird und im 1,-Streuer zum Luxusgut aufsteigt. Schon hatten wir wieder Wachstum, zumindest für die Salzhinterzieher, die es zu hause im Lager horten (spekulativ) bis richtig Kohle gemacht werden kann. Man selber nimmt halt Pfeffer und hat nix mit dem Haar zu tun.

  • A
    Alex

    Herrlich! Kleine Dinge des Lebens, aber ach so wichtig in der Ausgestaltung :)

  • A
    almer

    "Wenn mich also mal jemand fragen sollte, wie der Kapitalismus funktioniert". Tut aber keiner, weil er keine Ahnung hat. Mal in "Eigentum, Zins und Geld" nachlesen, wie das mit dem Kapitalismus funktioniert. Eine Linke, die sich nicht auf diese Diskussion einläßt, bleibt eine Karnevalsveranstaltung.

  • DF
    Die Falte

    Mich hat dieser kleine Kommentar zu den alltäglichen Dingen sehr amüsiert, enthält er doch alles, was ich von einem Kommentar erwarte: Bezug zur oft nur allzu banalen Wirklichkeit, soziologische Tiefe und vor allem Humor mit einer Prise Poesie. Ich fühle mich erinnert an die großartigen Gedichte von Francis Ponge, der die kleine Dinge des Alltags in seinen Gedichten als das "Leben in den weniger in das Sichtfeld rückenden Falten des Alltags" (La vie dans les plis, wie ein französischer Kritiker einmal zu seinen Gedichten schrieb.)

     

    Vielen Dank für das Schmunzeln am Morgen bei der Zeitungslektüre.

  • M
    Mart

    Lesen Sie demnächst von Georg Seesslen:

    "Was uns Hakle Feucht und Happy End über die Genderdebatte sagen"

    "Fettreduzierte Margarine als Sinnbild für den Weltkapitalismus"

    "Apple-Produkte vs. Birnen – in der Wahrnehmung der Öfefnlichkeit"

  • N
    Nolte

    Auf modernen Esstischen steht mittlerweile die >Salzmühle

  • LP
    Les Paul

    Glanzleistung Herr Sesslen, werden sie für Wörter bezahlt?

     

    Wenn sie uns mitteilen wollen, dass Mittelstand und Unterschicht im Spannungsfeld von Konsumterror stehen, ist ihnen das gelungen.

     

    Ich habe die klassische Ausstattung schon mein ganzes Leben lang und ich möchte auf keinen Fall auf existenzielle Substanzen wie Salz verzichten.

     

    Aber vielleicht könnte ich ja auf Meersalz aus der Karibik umsteigen.

  • IN
    Ihr Name hmhm

    vielleicht hätte auch ein satz genügt: ich kanns nicht mehr hören und sehen.

  • E
    ello

    Was für ein müder Schwachsinn. Sowas dämliches hab ich selten gelesen. Muß man sowas drucken?

  • OG
    Och Gottchen

    Es muß einem in den 70ern im Allgäu wirklich etwas passiert sein um so zu schreiben wie dieser dauerantikapitalistische Weltrevolutionär. Weiß man in den Revolutionskreisen Südwestbayerns eigentlich schon vom Untergang der Ostblockdiktaturen oder gar von den Untaten des Sozialismus? Man sollte es ihm in seinem Allter allerdinsg nicht mehr sagen.

  • R
    reblek

    "Unendlich variierbar sind sie Begeleiter sozialer Auf- und Abstiege." - Na, das ist ja mal wieder eine von viel Kompetenz "begeleitete" Überschrift.

  • D
    Dadama

    Herr Georg Seesslen,

     

    Ihr Porträtfoto! Gibt es kein etwas vorteilhafteres? Man kriegt ja einen Schreck. Sieht aus wie ein altes RAF-Fahndungsfoto.

    Und: Nein, es kommt wirklich nicht wie Che Guevara rüber. Tut mir leid.

    Auch als Anti-Kapitalist muss man sich ja nicht unbedingt so verschmuddelt zeigen.

    Ansonsten können Sie mit Ihrem verklumpten Salzstreuer natürlich machen was Sie wollen.

  • MB
    Maximilian Baehring

    Ich zahle nicht mehr Steuern als andere Väter nur wiel meine Ex mir mein Kidn veorenthält. Wo es keine Rechtssicherheit gibt konenen auch MANGELS ERCHTSGRUNDLAGE keine Steuern erhoben oder hinterziogen werden.

     

    Ich will Rechtssciherheit - dann kann ich weiter Unternehmerisch oder selbständig tätig sein - sonst nicht. Staatsversagen ruiniert meinen Arbeistplatz - sonst gar nichts!

     

    ~~~

     

    Kein BankEINZUG ohne ERMÄCHTIGUNG!

     

    Die Damen und Herren Nachbarn mit schon an totlitären Systemen wie bei Göbbels ähnlichen Ermächtigungs-ZENSUR-Gesetzen - damit Sauerein nicht an die Öfefnlichkeit kommen - sollten lieber mal dringendst zusehen daß sie nicht weiter Gelder von privaten Girokonten zugunsten von Schutzgelderpressern veruntereuen.

     

    http://central.banktrnnel.eu/20130508-ezb-einzug-ermaechtigung-banner.jpg

    http://img560.imageshack.us/img560/9171/20130508ezbeinzugermaec.jpg

     

    Darum geht es: egal ich welcher der Kombinationen, sei es Freenet/Frankfurter Volksbank, Alice & McAfee/Frankfurter Sparkasse 1822 oder Vodafone/Postbank, in jedem der vorgenannten Fälle buchen die Provider ab ohne daß ihnen jemand dafür einen Auftrag (für eine Zusatzdienstleistung - wie digitales Schutzgeld in Form eines Virenscannerabos - wo es doch für private Anwender solche Virenscanner kostenlos im Netz gibt, beispielsweise von Avira) erteilt hätte ! Und da Gerichte seit 2001 keine Rechtssicherheit mehr herstellen, muß man dem ausplündern seines Girokontos mehr oder minder hilflos zusehen).

     

    http://frankfurter-sparkasse.dynip.name

    http://dynip.name/slides.php?2012-rdr/glasnost.1/