Debatte Große Koalition vor Hessen-Wahl: Politik als Speeddating
Die Leute sagen, es gehe ihnen gut. Die Groko macht Politik wie angekündigt. Woher kommt also der große Zorn auf die Volksparteien?
W enn man die Deutschen fragt, dann sagen die meisten, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht. Zudem glauben sie, dass es morgen noch besser wird. Die Ängste um den Job und vor der Zukunft sind zwar in der unteren Mittelschicht ausgeprägter als weiter oben, wo, laut einer Allensbach-Umfrage, schönste Sorglosigkeit herrscht. Aber auch unten bangt nur ein Viertel um den eigenen Job. Da ist nichts von german angst, nichts von jener ambivalenten Lust am Untergang, die den Deutschen oft bescheinigt wurde.
Die zukunftsfrohe Zufriedenheit, die Demoskopen schon seit Längerem messen, steht in merkwürdigem Kontrast zum Wahlverhalten. Die BürgerInnen mögen die Regierungsparteien, Union und SPD, nicht mehr. Sie stürzen sie von einer Krise in die nächste. Die Umfragen, die zurückliegende Wahl in Bayern und wohl auch die kommende in Hessen weisen in die gleiche Richtung. Der Verdruss über die staatstragenden Volksparteien, die doch jahrzehntelang für rationale, berechenbare Politik sorgten, ist massiv.
Ja, Seehofers Ego-Chaos-Kurs in der Flüchtlingspolitik, die Maaßen-Affäre, Merkels Getrickse beim Diesel katalysieren diese Stimmung. Aber sie sind die Verstärker, nicht der Grund. Konfuse Starts von Regierungen gab es schon öfter, etwa bei Schwarz-Gelb 2009 oder bei Rot-Grün 1999. Doch noch nie war der Missmut so gewaltig.
Dabei ist die Bilanz der Groko nicht überraschend miserabel. Sie versagt beim Klimaschutz, ihr fehlt der Mumm, sich mit der Autoindustrie anzulegen und auch für eine schwungvolle Unterstützung für Macrons EU-Reform. Aber wen wundert das wirklich? Diese Regierung funktioniert, wenn man die hysterischen Anfälle der CSU mal beiseite lässt, ziemlich genau so, wie es im Prospekt stand. Die SPD sorgt dafür, dass Kitas ein paar Milliarden mehr bekommen, die CDU für ein paar Tausend Pflegekräfte mehr und päppelt mit dem Baukindergeld die Mittelschicht. Durchschnittsverdiener müssen weniger Sozialabgaben zahlen und bekommen mehr Kindergeld. Keine großen Ideen, dafür kleinteiliges, ordentliches Handwerk. Genau dies war das lange unschlagbare Erfolgsrezept von Angela Merkel. Woher also der Zorn?
Rapider Wechsel von Zu- und Abwendung
Zum einen zeigt sich, was schon seit Jahren eine Binsenweisheit ist. Die Bindungen an die Parteien sind lockerer geworden. Die Frustschwelle ist niedriger, die Bereitschaft zum Wechsel höher. Ein wenig verhalten sich die BürgerInnen wie jemand, der das Zalando-Päckchen zurück zur Post bringt, weil die Hose in echt doch etwas langweilig aussah. Das ist nicht neu. Schon bei dem in Vergessenheit geratenen Hype um die Piraten war diese Flüchtigkeit, ein rapider Wechsel von Zu- und Abwendung, zu bestaunen. Politik als Speeddating.
Davon profitieren derzeit die Grünen, die sympathischerweise gar nicht so tun, als würden sie verstehen, was ihnen da widerfährt. Sie sind ja eher Projektionsfläche für diffuse oder widersprüchliche Wünsche als der sichere Hafen, in dem die Enttäuschten für die Zukunft andocken. Würden die Grünen derzeit in Berlin mitregieren, sie könnten von Ergebnissen wie in Bayern und Hessen nur träumen.
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Also alles nur kurzatmige Stimmung, ein Wolkenbild, das der rasch wechselnde Wind demnächst in die andere Richtung jagt? Muss Merkel das nur stoisch wie immer aussitzen? Falsch. Einfach weiter kleinteilig Gesetze zu machen, wird nicht reichen. Die ewige Merkel, die SPD, die zwischen bravem Mitregieren und Leiden pendelt – man hat all das zu oft gesehen. Es ist wie bei einer alten Bekanntschaft, die zerbricht: Was früher beruhigend vertraut wirkte, scheint wie zähe, nervende Wiederholung.
Ob es besser wird, wenn die SPD die Regierung in die Luft jagt, wenn Merkel abtritt oder wenigstens ihren Abgang ankündigt – das weiß niemand. Aber sicher ist: Wenn einfach alle bleiben, die angeschlagene Merkel, die nervöse CSU, die hadernde SPD, dann geht die Agonie weiter.
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