Debatte Geschlechtergerechte Sprache: Eine für alle
Auch der Genderstern macht die deutsche Sprache nicht geschlechtergerecht, meint die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch. Wie ginge es besser?
Normalerweise interessieren sich die Medien für feministische Sprachkritik höchstens im Sommerloch. Aber seit gut einem Jahr ist das Thema ein Dauerbrenner.
Da war zuerst Marlies Krämers Klage vor dem Bundesgerichtshof gegen ihre Sparkasse, die sich weigerte, sie als „Kundin“ anzusprechen. Der BGH entschied, das sei so in Ordnung, denn das Maskulinum „Kunde“ schließe sie als Kundin ein, und deshalb hat Marlies Krämer jetzt beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde eingereicht.
Als Nächstes kam im vergangenen Dezember die Entscheidung des Deutschen Bundestags, ein Jahr zuvor vom BVerfG gefordert, dass im Personenstandsregister eine dritte Geschlechtsoption – „divers“ – eingetragen werden könne.
Nur drei Geschlechter? Auf Facebook können wir derzeit aus einer Liste von 60 Geschlechtern auswählen, die mit Hilfe das Deutschen Lesben- und Schwulenverbands (DLSV) zusammengestellt wurden: Agender, androgyn, neutrois, genderfluid, bigender, polygender, pangender, genderqueer, nicht-binär, trans* et cetera.
Luise F. Pusch, geb. 1944, ist Professorin für Sprachwissenschaft und Autorin zahlreicher Bücher, Kolumnen und Glossen. 2001 gründete sie fembio.org.
Die Nachricht „plötzlich 60 Geschlechter“ schockierte die Deutschen, aber das recht willkürlich wirkende Facebook-Geschlechter-Sammelsurium ist noch ein wenig aufgebläht. In Wirklichkeit sind es keineswegs 60 Geschlechter, denn viele Bezeichnungen bedeuten mehr oder weniger dasselbe, etwa „Inter*Mensch, intergender, intergeschlechtlich, zweigeschlechtlich, Zwitter, Hermaphrodit“.Das alte „intersexuell“ fehlt hingegen.
Dazu sagte LSVD-Verbandssprecher Axel Hochrein, es gebe momentan noch keine allgemein verbindlichen Bezeichnungen. Die vielen Varianten für ein und dasselbe würden aufgeführt, „damit die Vielfalt im Selbstgefühl zum Ausdruck kommen kann“.
Erstaunlicher Eifer
Also erst mal Entwarnung: Alles ganz unverbindlich. Verbindlich ist derzeit nur der dritte Eintrag „divers“. Aber in den Amtsstuben hat die Divers-Entscheidung Ratlosigkeit bis Unruhe hervorgerufen. Eine Berliner Gleichstellungsbehörde bat den deutschen Rechtschreibrat um Auskunft, ob der Genderstern nun verbindlich sei, damit das dritte Geschlecht nicht diskriminiert würde.
Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.
Jüngste Aufregerin: Die Stadt Hannover mit ihrer amtlichen Empfehlung des Gendersterns. „Eine geschlechtsumfassende Ansprache ist nicht immer möglich. In diesen Fällen gilt es den Genderstern zu nutzen. Der Genderstern, dargestellt durch ein Sternchen* zwischen der maskulinen und femininen Endung, dient als sprachliches Darstellungsmittel aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten.“
Das Allerletzte: Der Aufruf „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ des „Vereins Deutsche Sprache“.
Es ist schon erstaunlich, mit welchem Eifer die alte Sprache nun nicht-binären Personen angepasst werden soll, während gleichzeitig die alten männersprachlichen Absurditäten weiterhin für Marlies Krämer und alle anderen Frauen, das heißt für die Mehrheit der Bevölkerung, gültig bleiben: Die Endung „innen“ ist auch beim Genderstern als nebensächliche Form angehängt, während das Maskulinum die Hauptform bleibt.
Diskriminierende Endung
Da wir alle unsere Muttersprache mehr oder weniger gut beherrschen, nehmen die meisten von uns auch an, dass wir von Sprache etwas verstehen. Das ist allerdings meist nicht der Fall. Menschen, die aufrecht stehen können, verstehen deshalb noch lange nichts von Statik und sollten, bevor sie ein Haus bauen, besser eine Statikerin zu Rate ziehen.
Als ich vor fast 40 Jahren daran ging, Vorschläge für eine gerechtere deutsche Grammatik zu machen, hatte ich mich 18 Jahre lang mit Sprachwissenschaft befasst und war promoviert und habilitiert in dem Fach. Zur Überraschung meiner Zunft (damals zu 90 Prozent männlich), die sich damit beschäftigt, Sprache zu beschreiben, versuchte ich, sie zu verbessern, was in der Linguistik verpönt war und ist.
Ich konnte zeigen, dass die deutsche Sprache gerechter sein würde, wenn wir die diskriminierende Endung -in abschaffen und zum Ausdruck von Geschlechtsneutralität das Neutrum aktivieren. Immerhin sind wir Deutschen – anders als die romanischen Sprachen – im glücklichen Besitz eines Genus Neutrum. Wir benutzen es allerdings fast nie, um Geschlechtsneutralität auszudrücken, außer wenn wir sagen „das Neugeborene“.
Von die, der oder das Neugeborene zu die, der oder das Vorgesetzte scheint es kein großer Schritt. Denkt die Linguist, die sich auf das Sprachsystem konzentriert. Aber sie muss auch die Gefühle der Sprachgemeinschaft berücksichtigen. Diese besitzt ein gewaltiges Beharrungsvermögen und möchte am liebsten, dass alles so bleibt, wie es ist. Außerdem findet sie, dass „das Vorgesetzte“ oder „das Apotheker“ respektlos klingt und an Tiere und Gegenstände denken lässt.
Kompromiss aushandeln
Und die Feministinnen, die ja die Sprachreform angestoßen haben, lehnen es kategorisch ab, die Endung -in abzuschaffen, jetzt, nachdem es endlich gelungen ist, Wörter wie Regisseurin, Managerin, Dekanin in der Männergesellschaft durchzusetzen. Frauen endlich sichtbar machen, ist die einhellige feministische Devise.
Die Linguist geht reuevoll zurück an den Schreibtisch und kommt mit einem Zweistufenplan zurück.
Erste Stufe: Das Femininum wird forciert mit allen Mitteln, die erlaubt sind. Damit die Sprachgemeinschaft sich daran gewöhnt, dass es auch Frauen gibt.
Zweite Stufe: Wenn die Sprachgemeinschaft herangereift ist und sich an die Existenz von Frauen gewöhnt hat, setzen sich die Geschlechter (oder ihre Delegierten) an einen Tisch und handeln, ähnlich wie die Tarifparteien, einen Kompromiss aus: eine Sprache, die für beide – heute sagen wir besser: alle – Geschlechter gerecht und bequem ist.
Die Feministinnen begannen also ab Anfang der 1980er Jahre, ihr Programm umzusetzen und die Sprache gründlich zu entpatrifizieren, zu feminisieren und dadurch zu humanisieren.
Aus den lästigen Doppelformen entwickelte sich das Binnen-I und schließlich das generische Femininum als genaues Gegenstück des generischen Maskulinums. Aus „Unser Betrieb hat 20 Mitarbeiter, 10 davon weiblich“ wurde „Unser Betrieb hat 20 Mitarbeiterinnen, 10 davon männlich“. Von einem dritten Geschlecht war noch keine Rede.
Alleinvertretungsanspruch verloren
Frauenbeauftragten gelang es, im gesamten deutschsprachigen Raum zumindest die Amtssprache zu entpatrifizieren. Zusammenfassend konnten wir um die Jahrtausendwende feststellen: Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es einmal war. Es hat seinen Alleinvertretungsanspruch verloren.
In den Nullerjahren begann die queere Community, die deutsche Sprache nach ihren Bedürfnissen umzugestalten. Ein Unterstrich (Hörer_innen) sollte auch diejenigen Menschen symbolisch sichtbar machen, die sich in das binäre Geschlechtersystem nicht einordnen können oder wollen. Heute hat sich anstelle des Unterstrichs der Genderstern durchgesetzt: Hörer*innen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Der Genderstern zerreißt das Wort in drei Teile: männlicher Stamm – Genderstern – weibliche Endung. Damit sind wir Frauen wieder da gelandet, wo wir vor vierzig Jahren angefangen haben. Nur stand damals anstelle des Sterns ein Schrägstrich oder eine Klammer und symbolisierte, dass Frauen die zweite Wahl sind.
Das Binnen-I, das sich nicht nur in feministischen Kreisen durchgesetzt hat, kommt der von mir bevorzugten Lösung, dem generischen Femininum, optisch noch am nächsten. Um diese wichtige Assoziation nicht zu zerstören und trotzdem Kompromissbereitschaft zu zeigen, habe ich eine Fusion des Binnen-Is mit dem Genderstern vorgeschlagen: Am hübschesten wäre ein kleines i mit Sternchen statt i-Tüpfelchen. Das geben aber unsere Tastaturen noch nicht her, deshalb benutzen wir stattdessen vorerst ein Ausrufezeichen: Hörer!nnen.
Nicht per se unsichtbar, sondern untergeordnet
Abschließend noch eine wichtige Unterscheidung: Die Unsichtbarkeit derjenigen, die jetzt durch den Genderstern sichtbar gemacht werden sollen, liegt daran, dass die Sprachgemeinschaft sie lange nicht wahrgenommen hat. Das ist eine völlig andere Problematik als die sprachliche Unsichtbarkeit der Frau.
Frauen sind in der Männersprache nicht per se unsichtbar, sondern untergeordnet und deshalb mal sichtbar, mal unsichtbar. Die Unsichtbarkeit der Frauen wird durch Regeln dynamisch erzeugt bei Vorhandensein auch nur eines einzigen Mannes. 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind auf Deutsch zusammen 100 Sänger.
Es sollte klar sein, dass es DAS Ziel der feministischen Sprachkritik ist, diese Regeln auf allen sprachlichen Ebenen abzuschaffen. Da es für nicht-binäre Personen keine sie gezielt deklassierenden Sprachregeln gibt, gibt es da auch nichts abzuschaffen, höchstens etwas hinzuzufügen.
Soll die dritte Option grammatisch im deutschen Sprachsystem sichtbar gemacht werden, bräuchte es eine weitere Endung und ein neues Pronomen. Das Englische hat sich für das schon lange ähnlich genutzte singular they entschieden. Soll das Gesamtsystem gerecht sein, bräuchte es überdies eine eigene Endung für das Maskulinum, ähnlich wie es der 2015 verstorbene feministische Sprachforscher Matthias Behlert vorgeschlagen hat.
Wir hätten dann etwa Freundin (Frau), Freundis (Mann) und Freundil (divers), Plural Freundinne, Freundisse, Freundille. Wenn das Geschlecht (welches auch immer) keine Rolle spielen soll, entfällt die Endung. Beispiel: Fragen Sie Ihre Freund, Arzt oder Apotheker. Wieso Ihre und nicht Ihren? Weil es in Behlerts entpatrifiziertem Deutsch nur noch ein Genus gibt: Das Femininum. Warum? Das klären wir ein andermal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin