Debatte Frausein und Kinderkriegen: Topf ohne Töpfchen
Als Frau Ende dreißig reift die Erkenntnis: Für ein erfülltes Leben braucht es gar kein Kind. Fehlt nur noch die gesellschaftliche Anerkennung.
![Eine große und eine kleine Matrioschka stehen nebeneinander Eine große und eine kleine Matrioschka stehen nebeneinander](https://taz.de/picture/1379048/14/matrioschka2.jpeg)
M an könnte sagen, ich befinde mich in einer kritischen Phase. In ein paar Wochen feiere ich meinen 39. Geburtstag. Ein Jahr noch, bevor die erste Ziffer vorne von einer Drei auf eine Vier umspringt. Und ich bin nach wie vor kinderlos.
Jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren hat laut Erhebungen des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2013 keine Kinder – aus unterschiedlichen Gründen. Meine bislang nicht erfolgte Reproduktion fußt auf Lebensentscheidungen, die ich so und nicht anders getroffen habe. Trotzdem würde ich sagen: Ausgesucht habe ich sie mir nur bedingt.
Seit ich denken kann, habe ich mir mich selbst auch immer wieder als Mutter vorgestellt. Nicht aktiv. Aber das Bild von mir als erwachsener Frau, auf dem Arm und an der Hand je ein sauberes, fröhlich lachendes Kind, war immer da. Ich habe es lange nicht hinterfragt. Im Gegenteil, in mir bestand die Gewissheit: Eines Tages würde dieses Bild Wirklichkeit werden. Wenn ich es mir jetzt in Erinnerung rufe, würde ich sagen: Es stammt von einer mittelmäßigen Werbeagentur, die eine Versicherung oder ein Waschmittel bewirbt.
Eine Zeitlang war die Zeitschrift Eltern meine Lieblingslektüre. Ich muss so zwischen neun und elf Jahre alt gewesen sein. Säuglinge und Kleinkinder waren meine Dinosaurier und meine Eisenbahn. Eltern lieferte so etwas wie die Bedienungsanleitung, den Bauplan dafür, wie man Humanoide entweder zu gesunden oder zu verkorksten Exemplaren erzieht. Dass ich in diesem Alter eine Zeitschrift für Erwachsene las, hat nie jemand in Frage gestellt. An meiner mangelnden Prägung in die richtige Richtung lag es also nicht. Was aber ist passiert?
Social Freezing ist teuer
Genau ein Mal in meinem Leben habe ich wirklich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, eine Familie zu gründen. Ich war Anfang dreißig und sehr verliebt. Es war die zweite ernsthafte und lange Beziehung in meinem Leben. Wir wohnten zusammen. Ich hatte mein Studium beendet und strampelte mich gerade damit ab, Journalistin zu werden: Praktika, Journalistenschule, die Anfänge als freiberufliche Journalistin. Geld verdiente ich noch lange nicht. Es war mein damaliger, seit einigen Jahren berufstätiger Freund, der den Einkauf im Supermarkt bezahlte.
Laut der Statistik von 2013 sind es vor allem Akademikerinnen, die kinderlos bleiben. Hätte ich damals ein Kind bekommen, wer weiß, ob ich heute Journalistin, geschweige denn Redakteurin dieser Zeitung oder Ressortleiterin geworden wäre. Vermutlich nicht. Sicher, es ist nicht auszuschließen. In der Familienpolitik, in der Arbeitswelt und auch in (heteronormativen) Beziehungen hat sich viel getan. Vielleicht hätte ich es geschafft – wenn auch sicher ein paar Jahre später.
Ich blicke auf einige meiner Freundinnen, die ebenso wie ich ein geisteswissenschaftliches Studium hinter sich hatten, das nicht automatisch für einen Beruf qualifiziert, und die damals unmittelbar nach der Ausbildung Kinder bekamen. Sie haben genau das, was für mich nie in Frage kam: eine Familie und einen pragmatischen Teilzeitjob, von dem sie weder geträumt noch für den sie studiert hatten.
Das Ende dieser Beziehung vor fünf Jahren – in erster Linie deshalb, weil mir mein Beruf und alles, was ich dafür als notwendig erachtete, wichtig war – ist unter dem Aspekt der Familienplanung der Anfang des „Problems“. Denn was danach folgte, hat die Bezeichnung „Beziehung“ nicht verdient. Mit dieser Phase des kontinuierlichen Singledaseins ab Mitte dreißig habe ich nicht gerechnet. Wer tut das schon in einer Welt, in der kleine Mädchen (und erwachsene Frauen) noch immer von dem einen „Seelenverwandten“ träumen, dem Deckel für jeden Topf? Was, wenn der nicht zu finden ist? Wollte ich nun trotzdem ein Kind bekommen, bevor es biologisch immer unwahrscheinlicher wird – ich müsste das irgendwie alleine hinbekommen.
Klar, da gibt es Möglichkeiten. Ein One-Night-Stand ohne Verhütung. Eine (anonyme) Samenspende, die man sich in Deutschland als Single-Frau mithilfe eines Anwalts erstreiten muss. Social Freezing. Ein schwuler Freund und In-vitro-Fertilisation. Ich habe über jede dieser Möglichkeiten nachgedacht – und beschlossen, dass keine davon für mich in Frage kommt. Jemanden ohne Einverständnis in eine Vaterschaft zu tricksen, finde ich schäbig. Allein ein Kind großzuziehen, ist mir zu anstrengend. Social Freezing kann ich mir nicht leisten. Und den schwulen Freund, mit dem ich ernsthaft ein solch lebenslanges Abenteuer eingehen wollte, gibt es nicht.
Der Biologie ausgeliefert
Vielleicht aber ist auch das hier die Wahrheit: Wirklich wichtig sind mir eigene Kinder gar nicht. Denn mein derzeit ziemlich unkompliziertes Leben passt mir ganz gut.
Neulich sagte eine Freundin, ebenfalls in meinem Alter, die sich vor Kurzem von ihrem Freund getrennt hat und darüber sehr, sehr traurig ist: „Weißt du, eigentlich habe ich bislang nie die Notwendigkeit verspürt, Kinder zu bekommen. Ich denke darüber nur deshalb gerade so viel nach, weil ich weiß, dass es am Ende nicht ich sein werde, die diese Entscheidung für mich fällt, sondern mein Körper.“ Sie hat recht: Es ist das Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber der eigenen Biologie, die Hilflosigkeit, die mit diesem Gefühl einhergeht, die kinderlose Frauen „meines Alters“ ins Grübeln und Zweifeln bringt – nicht die Kinderlosigkeit an sich. Und es geht um das Gefühl, gegenüber der gesellschaftlichen Erwartung versagt zu haben, wenn man mit fast vierzig ohne Mann und Kind „noch immer“ alleine ist und das Klischee der glücklichen Familie aus der Waschmittelwerbung nicht erfüllt.
Glücklicherweise bin ich mittlerweile alt und klug genug, um diese Erwartungen, die nicht meine sind, und die Klischees, die man mir als Frau als meine Wünsche verkauft, zu durchschauen. Und in den immer häufiger werdenden Momenten, in denen mir das gelingt, bin ich derart berauscht von all den Abenteuern und unausgeschöpften Möglichkeiten, die noch vor mir liegen, dass es schon fast an emotionales Besoffensein grenzt.
Weitere Beiträge zum Thema unter www.taz.de/Familie
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