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Debatte FlüchtlingeGeschichte reimt sich doch

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Katastrophenrhetorik, Asylrechtsverschärfungen, Gewalt: Die Parallelen zur Pogromära der Neunzigerjahre sind unübersehbar.

Die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen 1992 werden von Neonazis mythologisiert Foto: dpa

Neben einem quantitativen Anstieg rechtsextremer Gewalt ist vor allem eine Veränderung hinsichtlich der Intensität und Brutalität des Vorgehens zu verzeichnen. Dazu zählt etwa die gestiegene Bereitschaft, sich mit Pistolen, Maschinengewehren und Sprengstoff zu bewaffnen. Auch die lokale Gewalt informeller Gruppen bewegt sich am Rande des Terrorismus. Brandanschläge auf Flüchtlingsheime werden häufig gezielt geplant.“

Die Sätze klingen nach einer ziemlich genauen Beschreibung des Istzustands der Bundesrepublik Deutschland Anfang 2016. Tatsächlich sind sie aber schon mehr als fünfzehn Jahre alt. Sie stammen aus einem wissenschaftlichen Aufsatz der Politikwissenschaftler Hajo Funke und Lars Rensmann und beschreiben Deutschland im Jahr 2000, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung. Der Aufsatz heißt „Kinder der Einheit“.

Eine viel zitierte Weisheit, die Studierende der Geschichte für gewöhnlich gleich im ersten Semester über Bord werfen müssen, lautet: Geschichte wiederholt sich. Eben dies tut sie nämlich nicht. Zu komplex sind historische Situationen, zu vielfältig Ursachen, Wirkungen und Gesamtzusammenhänge. Momentan könnte man als Beobachter des Zeitgeschehens jedoch Mark Twain bemühen, der sagte: „Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber anscheinend reimt sie sich.“

Auffällig sind Ähnlichkeiten mit der Flüchtlingsdebatte in den neunziger Jahren. Das fängt an bei allgegenwärtiger Katastrophen- und Flutrhetorik. Wörter wie „Flüchtlingsstrom“, „Flüchtlingswelle“, „Asylflut“ oder „Flüchtlingskrise“ haben Hochkonjunktur. Viele Publizisten und Journalisten verschriftlichen so, wenn auch in Teilen unabsichtlich, die Entmenschlichung einer humanistischen Katastrophe. Fehlt nur noch ein Spiegel-Titel auf dem eine “Das Boot ist voll“-Illustration mit „Ansturm der Armen“ übertitelt wird. Die Parallelen zu den neunziger Jahren gehen aber noch weiter. Etwa bei den konkreten politischen Asylrechtsverschärfungen und einem rhetorischen Brandfackeln der scheinbaren politischen Mitte.

Asylverschärfung legitimiert rechte Gewalt

Da organisieren soziale und christliche Demokraten im sogenannten „Asylpaket II“, dass Geflüchtete aus Syrien keinen Familiennachzug aus den Kriegsgebieten in Anspruch nehmen dürfen. Seehofer und Schäuble üben sich in Rechtspopulismus, Gabriel und Nahles stehen den Konservativen im Zündeln nur wenig nach.

Das traditionellerweise von der NPD bemühte Schreckgespenst der „kriminellen Ausländer“ holte kürzlich sogar Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken, aus dem Schrank. Bedrohung deutscher Frauen und deutscher Werte – besonders gefragt ist derzeit die rhetorische Abgrenzung dem vermeintlich Fremden gegenüber. „Nach Köln“ ist die Debatte weit nach rechts offen. Und das ist mitunter gefährlicher als voraussehbare Äußerungen der AfD.

Neonazis begreifen sich mit ihren Taten als Vollstrecker eines Volkswillens

Die Parallelen reichen bis zu rechter Gewalt und Terror. Rassistische TäterInnen fühlen sich bestätigt durch die veränderte gesellschaftliche Stimmung in der Flüchtlingsfrage. Wörter eröffnen einen Handlungskorridor, dort setzt rechte Gewalt ein. Doch anstatt zuallererst mit öffentlicher Empörung, konsequenter Verfolgung und Aufklärung von 121 Brandanschlägen auf Unterkünfte für Flüchtlinge im Jahr 2015 zu reagieren, verschärft die Große Koalition zum zweiten Mal das deutsche Asylrecht.

Neonazis begreifen sich mit ihren Taten als Vollstrecker eines Volkswillens. In den stellenweise proklamierten „national befreiten Zonen“ der neuen Bundesländer haben sie damit vermutlich nicht einmal Unrecht. Aus Sicht der TäterInnen werden rassistische Anschläge durch Asylverschärfungen fast schon staatlich legitimiert. Zumal der Verfolgungsdruck nicht gerade hoch ist: Laut Auskunft der Bundesländer sind nur 27 Prozent der Straftaten aufgeklärt.

Polizeipräsident warnt vor Pogromstimmung

2015 gab es nach Angaben des BKA insgesamt 1.027 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte. 2014 waren es noch 199. In 13 Fällen ermittelt das BKA wegen Sprengstoffexplosion oder Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz, allein neun der Angriffe erfolgten im letzten Quartal 2015.

Neben einer konsequenteren Aufklärung braucht es vor allem klare Sicht in der Debatte: Die „Flüchtlingskrise“ ist keine. Die Aufnahme von hilfsbedürftigen Menschen, die aus einem Kriegsgebiet fliehen, ist in Deutschland historisch gewachsenes Universalrecht, das aus gutem Grund verfassungsrechtlich verankert ist.

Eine „Krise“, das sind geschlossene Grenzen und ein gesellschaftlicher Rassismus, der rechte Gewalt, die sich an Geflüchteten entlädt, rechtfertigt. Pogromstimmung wie in Hoyerswerda und Lichtenhagen zeigte sich im vergangenen Jahr bereits im sächsischen Heidenau. Dort gab es tagelange gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und Polizisten. Vor einer „Pogromstimmung“ warnte kürzlich auch der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz.

NSU radikalisierte sich unter dem Eindruch der Asyldebatte

Die wachsende Gewalt sollte mit den Mitteln des staatlichen Gewaltmonopols beantwortet werden. Aber nicht mit Gesetzesänderungen. Genau das jedoch tun Bundestag und Bundesrat. Sie spielen damit denen in die Hände, die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen als „Krise“ und „Katastrophe“ betrachten. Und sie geben Zynikern recht, die Personen, die spenden, helfen und anpacken, als „linksversiffte Gutmenschen“ diskreditieren.

Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl haben aber nicht die Abnahme rechter Gewalt zur Folge. Im Gegenteil: Die Morde von Solingen fanden nach der Asylrechtsverschärfung 1993 statt. Zugeständnisse zementieren nur das Selbstverständnis der extremen Rechten. Schlimmstenfalls beschwören sie einen zweiten NSU herauf, der sich unter dem Eindruck der Asyldebatte der neunziger Jahre und deren Folgen radikalisierte. Lichtenhagen und die nachträgliche Legitimation der Pogrome wirkten dabei wie ein Katalysator.

Kürzlich hat das Innenministerium bekannt gegeben, dass derzeit 372 per Haftbefehl gesuchte extrem Rechte flüchtig sind. Funke und Rensmann warnten schon im September 2000 angesichts gesteigerter Militanz und Gewaltbereitschaft der extremen Rechten ausdrücklich vor einem großen rechtsterroristischen Risiko. Ihr Warnruf verhallte. Im selben Monat begann der NSU das Morden.

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Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
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18 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • So wenig, wie viele Deutsche, den Juden den Holocaust bis heute nicht verziehen haben, so wenig Deutsche, verzeihen heute den Flüchtlingen, dass sie es nach Deutschland geschafft haben. Damals so wie heute, werden Minderheiten, pauschal als kriminell oder minderwertig oder schlimmeres dargestellt. Am Anfang brannten Synagogen, heute brennen Flüchtlingsheime. Damals wurde, auf Juden jagt gemacht, heute wird auf Flüchtlinge und andere Minderheiten jagt gemacht. Damals waren am Ende 6 Millionen Minderheiten, fabrikmäßig ermordet worden, und die meisten kamen davon. Heute kommen wieder die Mehrheit davon. Alleine seit dem Mauerfall gibt es wieder 160 Opfer in Deutschland, auf Grund einer menschenverachtenden Ideologie. Warum sich Deutsche immer als Opfer sehen, erschließt sich mir nicht. Nicht die Flüchtlinge sind die Täter ihrer Probleme, sondern dass sie ihre Proteste nicht dort vortragen, wo sie hingehören, nämlich vor dem Reichstag in Berlin.

  • Wenn mehr Migranten kommen als eine grpße Gruppe des Souveräns will, dann reagieren mehr undemokratisch.

     

    Das ist so. Überall. Auch im Superduper-Schwerden. Bei linken übrigends auch.

     

    Ach und das Verschärfungen der Gesetze das Verschlimmern, oder "legitimieren", das ist wohl linkes Wunschdenken. Nach dem Motto, wäre die Politik nur richtig links, wo Sie jetzt schon vielen zu links ist, dann würde alles gut

    Demnach hätte auch die Streichung aller Sozalleidtungen Schröders Montagsdemos aufgelöst. Und die Linken wären nicht stark geworden...

  • Wiederholung - Reim - Farce - …Anyway -

    Festzuhalten bleibt der zutreffende Satz des Verfassungsrichters

    Jürgen Kühling im Spiegel - 1992/93 Angesichts der sich abzeichnenden Schrottung von Art 16 des Grundgesetzes - GG - durch die

    ChristlichenSPezialFreiDemokraten -

    "Wir schaffen ohne Not eines - der! - Grund/Menschenrechte des GG - unserer Verfassung ab -

    Nur weil wir schlecht organisiert sind!"

    Eben dies ist auch heute

    GroßKotz so grün&frein!

    Schaffen das - ganz allein!

    Die Realität - Die Wahrheit!

    • @Lowandorder:

      und festzuhalten bleibt auch die zarte andeutung Voßkuhles, dass das BVerfG heute möglichweise über den sog. asylkompromiß anders entscheiden würde als es 1996 tat.

      • @christine rölke-sommer:

        Ja - ich geb auch die Hoffnung nicht auf!

        Da simmer schonn zwei;)

        Im ernst.

        • @Lowandorder:

          ich ja auch nicht

          aber seit letztem sommer komme ich aus den flashbacks garnicht mehr raus...

  • Wieder ein trauriges und verheerendes, akutelles Beispiel für eine Art Progromstimmung in diesem Land: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-in-clausnitz-groelende-menge-blockiert-bus-in-sachsen-a-1078236.html

  • ". Die Aufnahme von hilfsbedürftigen Menschen, die aus einem Kriegsgebiet fliehen, ist in Deutschland historisch gewachsenes Universalrecht, das aus gutem Grund verfassungsrechtlich verankert ist."

    Das ist nicht Korrekt, Artikel 16a lautet: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Ähnlich ist dies in der GFK formuliert. Nicht jeder Bürgerkriegsflüchtling ist politisch verfolgt, um dies festzustellen gibt es eine Einzelfallprüfung.

    Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten also in der Regel kein Asyl nach GG und GFK sondern einen subsidiären Schutz nach der Dublin III- Verordnungt:

    (1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

    1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,

    2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder

    3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts

    • @peter wolffe:

      sorry, aber Dublin hat mit der aufnahme von (bürger)kriegsflüchtlingen nix zu tun. die ist im aufenthaltsG geregelt. kommt jedoch nur selten und vom BMI ungern gesehen zur anwendung - also werden alle ins asylverfahren gezwungen und können deshalb nach Dublin rücküberstellt werden.

      und der subsidiäre schutz ergibt sich auch nicht aus Dublin, sondern aus AEMR mitsamt folgekonventionen, von denen die GFK nur eine ist.

      zur asylberechtigung aus bürgerkriegsland verweise ich im übrigen auf die rechtsprechung des BVerfG zu Afghanistan. die studiert, dürfte schnell klar werden, dass auch solche fälle nicht pi-x-daumen in den subsidiären schutz "abzuschieben" sind.

      • @christine rölke-sommer:

        Aus meiner Sicht hilft das AufenthG. in Bezug auf Bürgerkriegsflüchtlinge wenig. " Die Einreise eines Ausländers (der weder einem EU- noch einem Schengen-Mitgliedstaat angehört) in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er nicht den erforderlichen Aufenthaltstitel und den erforderlichen Pass oder Passersatz besitzt (§ 14 AufenthG) oder wenn für ihn eine Einreisesperre besteht und er ohne Betretenserlaubnis einreist (§ 14 i. V. m. § 11 AufenthG).

        Aber das kennen sie ja sicher.

        Und die AEMR mag oft hilfreich sein, bei Bürgerkriegsflüchtlingen ist sie es nicht. Da hilft vor Gericht der Verweis auf Dublin deutlich besser.

        • @peter wolffe:

          dann lesen'S doch (falls der fraktionszwang das zuläßt) einfach im aufenthaltsG weiter. das ist mit §14 ja noch nicht zuende.

          und vertiefen Sie sich endlich in die Afghanistan-entscheidung des BVerfG. statts ständig wie der blinde von der farbe zu reden.

          • @christine rölke-sommer:

            O.K., ihr Mandant möche ich nicht sein, da ist die Niederlage ja schon programmiert.

    • @peter wolffe:

      Danke für die Präzisierung, die aber nichts an der Sache ändert.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Geschichte wiederholt sich nicht, Verteilungskämpfe schon.

  • Mark Twain war ein US-Schriftsteller. Er sprach also vor allem Englisch. Im Englischen aber reimt sich history (Geschichte) tatsächlich, und zwar auf psychology.

     

    Wenn es manchmal so aussieht, als würde sich Geschichte aller Komplexität historischer Situationen und einer ständig wechselnden Vielfalt an Ursachen, Wirkungen und Gesamtzusammenhängen zum Trotz wiederholen, dann hat das vor allem einen Grund: Geschichte wird von Menschen gemacht. Menschen aber haben einen Hang dazu, jeden ihrer Fehler so lange in wechselnden Versionen zu wiederholen, bis sie kapiert haben, dass es einer ist. Sie lassen sich nicht davon abhalten – außer durch persönliche Einsichten oder den eigenen Tod.

     

    Leider pflegen Menschen ihre Irrtümer ebenso zu vererben, wie ihr Wissen und ihr Geld. So kommt es, dass manchmal auch ausgesprochen dämlichen Ideen sie überleben. Diese Ideen tauchen dann in vermeintlich "neuem" Kontext wieder auf. In dem Moment "wiederholt" sich die Geschichte, obwohl das eigentlich rein rechnerisch nicht möglich ist nach Ansicht der Gelehrten.

     

    Vielleicht sollten sie sich ja weniger auf die Erscheinung der Dinge konzentrieren, die Gelehrten, sondern eher auf ihr Wesen.

    • @mowgli:

      Das Problem ist doch eher, dass die Menschen die an dem Fehler beteiligt sind, ihn nicht nochmal machen, aber die Menschen, die 80 Jahre später leben alles von ihren Vorgängern für "Übertreibung", "Lüge", etc. halten und dann den gleichen Fehler nochmal machen.

       

      Das Problem ist nicht, dass der Mensch nicht aus seinen Fehlern lernt - das Problem ist, dass er nicht aus anderer Leute Fehlern lernt.

    • @mowgli:

      Quatsch. Es ist eine Frage der politischen Erziehung.

    • @mowgli:

      Naja, "history" würde sich höchstens bei Sam Cooke auf "psychology" reimen, aber wo wir schon im Englischen sind: Ich weiß zwar nicht, worauf sich "to overthink" reimt, aber ich weiß, dass Sie das gerade mit dem Twain-Zitat tun.