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372 Rechtsextreme flüchtigWo sind all die Nazis hin?

Die Sicherheitsbehörden zählen derzeit 372 flüchtige Rechtsextreme, die mit Haftbefehl gesucht werden. Innenpolitiker sind entsetzt.

Hier stehen sie noch auf der Straße: Neonazis bei einem Aufmarsch in Leipzig Foto: dpa

BERLIN taz | Gut vier Jahre ist es her, dass drei Thüringer Neonazis aufflogen, die über Jahre neun Migranten und eine Polizistin ermordet haben sollen: der Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Nun wird bekannt, dass aktuell immer noch 372 rechte Straftäter wegen offener Haftbefehle gesucht werden.

Die Zahl geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Grünen-Anfrage hervor. Stichtag war Ende September 2015. Von den Haftbefehlen sind 70 wegen einer politisch motivierten Straftat ergangen, fünf wegen einer rechtsextremen Gewalttat. Dazu kamen 98 Haftbefehle für Gewaltdelikte, die die Behörden nicht als politisch ansahen, darunter allerdings schwere Brandstiftung, Diebstahl mit Waffen oder Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Ein bayrischer Neonazi wird gar wegen Mordes gesucht.

Das weckt düstere Assoziationen. Denn auch der NSU hatte sein Leben im Untergrund mit Banküberfällen finanziert, hatte Sprengstoffanschläge verübt und gemordet. Fast 14 Jahre lang kamen die Ermittler den Mitgliedern nicht auf die Schliche.

Bedenklich auch: Bereits vor zwei Jahren hatte das Ministerium eine Liste mit flüchtigen Rechtsextremen vorgelegt: Damals waren es 268 – gut hundert weniger als heute. Die Zahl ist allerdings nur eine Momentaufnahme. Viele Straftäter tauchen nach kurzer Zeit wieder auf, wohl nur die wenigsten leben dauerhaft im Untergrund. Zudem galten viele Haftbefehle „kleineren“ Delikten wie Diebstahl, Nötigung oder Beleidigung, die die Ermittler nicht als politisch einstufen.

Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic nannte die hohe Zahl der Gesuchten dennoch „beängstigend“. „Der Staat darf nicht einfach hinnehmen, das möglicherweise gefährliche Rechtsextreme sich seinem Zugriff entziehen.“

Auch die Linken-Innenexpertin Petra Pau sprach von einem „skandalösen“ Befund. „Das wirft die Frage auf: Wer fahndet eigentlich nach den Neonazis und welche Bundesbehörden sind daran beteiligt?“

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7 Kommentare

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  • Ja,es geht doch auch schließlich um deutsche Volksgenossen,die ansonsten unseren deutschen Werten verpflichtet sind und ohne diese widerliche Hilfe,die die Kanzlerin ausnahmsweise Notleidenden zukommen ließ,niemals unangenehm aufgefallen wären.Im Gegenteil,das sind die Garanten eines friedlichen und ordentlichen Lebens in Deutschland.Die tun nichts,was man eigentlich auch gerne täte.

     

    So,völkische Brille absetzen,das Problem objektiv betrachten.

     

    Es handelt sich um hochkriminelle Gesinnungsstraftäter,an denen der Verfassungsschutz klebt,die aber gerade deswegen nicht eingesperrt werden.Ja,die Welt ist schon verrückt,was?

  • Hab ich doch richtig verstanden, oder? 372 V-Leute sind flüchtig?

  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Angesichts dieser Zahl von 372 offenen Haftbefehlen bekomme ich das große K.....(Hyperemesis).

     

    Was ist in diesem Land los?

    Ca. 80 Menschen wurden schätzungsweise seit der Wiedervereinigung getötet.

     

    Allein in diesem jahr gab es mehr als 500 Brandanschäge mit vermutlich rechtsgerichtetetm Hintergrund. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/fluechtlingskrise-bka-warnt-vor-zunehmender-gewalt-a-1059020.html

    Wo ist der Aufschrei durch die Medien?

     

    Gegen diesen braunen TERROR war die RAF nur ein Karnevalsverein.

  • Wieviel Meldegesuche gibt es wegen Mietschulden, Unterhaltsklagen und anderen Terminssachen?

     

    Wieviel Haftbefehle gibt es sonst?

     

    Man fragt sich wie diese Statistik erfolgt, ist "Nazi" ein Merkmal, dass in der Meldestelle erhoben wird? Gibt es noch andere Merkmale, die statistisch in Korrelation zu Haftbefehlen gesetzt werden könnte?

     

    Liebe TAZ bitte recherchieren und nicht auf halben Wege aufhören ...

    • @TazTiz:

      Allein in Mecklenburg-Vorpommern (ca. 1 Mill. Einwohner) werden derzeit über 1100 Personen per Haftbefehl gesucht. In Deutschland könnten es somit 100.000 sein. Da macht sich die Zahl von 372 doch eher klein ...

  • Ich dachte immer, die kriegen alle Bankräuber. Da war ich wohl auf dem Holzweg.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Man kann sich des Eindrucks auch hier wieder nicht erwehren, dass manche Behörde nicht nur ein Auge -das rechte!!- zudrückt oder gar beide Augen fest verschliesst. CSU/CDU und SPD greifen da lieber nicht ein, man könnte ja WählerInnen am rechten Rand abschrecken. Eine feine Demokratie ist das heir bei uns....