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Debatte EuropaDie Killerin

Kommentar von Georg Seeßlen

Ist Europa noch zu retten? Der Umgang mit Flüchtlingen und mit Griechenland hat vielen die Augen geöffnet. Jetzt gibt es eine Pflicht: Die EU neu zu denken.

Das Europa der Abschottung: Flüchtlinge klettern durch den Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze. Foto: dpa

M ir spukt eine unsinnige alte deutsche Filmklamotte im Kopf herum. Da steht in einem verrauchten bayerischen Wirtshaus ein heimatlich gekleideter Mann auf und spricht zu den Bewohnern seines Dorfes in einer Mischung aus Häme und Verzweiflung: „Wir brauchen keine Fremden nicht. Wir sind uns selber schon zu viel.“

Der Satz klingt abgründiger, als er gemeint war. Und doch scheint er mir die aktuelle Situation perfekt zu beschreiben: Europa kann sich selbst kaum noch ertragen. Und dann kommen auch noch die Flüchtlinge.

Bis vor einigen Jahrzehnten konnte man die Geschichte Europas als die eines schneckenhaften Fortschritts in Richtung Demokratie und Humanismus schreiben. Zwar hat es nie an Mahnungen gefehlt, da entstehe nicht das Europa der Millionen, sondern das der Millionäre, aber wer wollte es denn so düster sehen.

Auch die Brüsseler Bürokratie mit einem „Normierungswahn“ konnte als Begleiterscheinung eines langsamen Zusammenwachsens akzeptiert werden. Denn so viel war und ist klar: Die Zeit der Nationalstaaten läuft ab; wenn etwas hilft, dann nur eine neue, transnationale Form der Demokratie. Eine, die Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bringt. Ein Projekt, für das es sich zu engagieren lohnt.

Neoliberales Kuddelmuddel

Entstanden ist genau das Gegenteil. Ein postdemokratisches, neoliberales Kuddelmuddel nationaler und oligopolistischer Interessen, ein Experimentierfeld für neue Regierungs- und Verwaltungsformen jenseits demokratischer Legitimierung; gegenseitige ökonomische Erpressung bis an den Rand von Wirtschafts- und Bürgerkrieg; Lobbyismus und Verschmelzung von Politik und Wirtschaft in groteskem Ausmaß; eine Politik, in der Banken wichtiger sind als Menschen; eine Regierungsform, die über das Schicksal der Gesellschaften in Geheimverhandlungen zum TTIP bestimmt, jenseits der Parlamente, jenseits der Öffentlichkeit: Ein Europa, das als Eurozone auf den Hund gekommen ist.

Das, was man jetzt, unmenschlich genug, als „Flüchtlingsstrom“, „neue Völkerwanderung“ oder „Flüchtlingskrise“ bezeichnet, macht vielleicht auch jenen klar, die die Hoffnung auf das Projekt Europa nicht aufgeben wollten, dass es mehr als gescheitert ist: Europa hat sich nicht als kultureller und politischer Fortschritt, sondern als barbarischer, korrupter und amoralischer Rückfall realisiert.

Dieses Scheitern hat jetzt Bilder: Ertrunkene Flüchtlinge, Polizeigewalt, Lager, brennende Unterkünfte, grölende Faschisten, furchtbarer Politikerjargon. Es gibt Menschen, die helfen, und es gibt Institutionen, die das tun, keine Frage. Aber sie können es weder praktisch noch moralisch im Namen Europas tun.

Am Leitfaden der Macht

Wie rasch konnte Europa seine exekutiven Mittel aktivieren, als es um die Rettung von Banken ging, und wie blockiert und verschleppt es nun, wo es um Menschenleben geht. Zur gleichen Zeit, da Flüchtlinge im Meer und auf den Gleisen sterben, weil man sich über ihren Verbleib nicht einigen kann und weil man verbrecherische Regimes nicht zu humanitären Mindeststandards verpflichten kann, tritt eine neue Verordnung aus Brüssel in Kraft, die zum Beispiel Rettungshubschraubern die Landung versagt, weil nur noch viereckige, aber keine runden Landeplätze gestattet sind.

Georg Seeßlen

ist freier Autor und hat bereits über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm: „Kunst frisst Geld. Geld frisst Kunst", gemeinsam mit Markus Metz verfasst (Suhrkamp). Er lebt in Bayern und Italien.

Über die Krümmung von Gurken konnte man noch lachen. Aber hier zeigt sich, dass nicht am Leitfaden der Menschen, sondern am Leitfaden der Macht entwickelt wird.

Wäre Europa, was es einmal zu werden versprach, dann wäre die Aufnahme der Flüchtlinge, ihre Versorgung, ihre Integration in Arbeit und Kultur kein Problem, sondern eine jener Aufgaben, an denen man wachsen und reifen kann: Es hätte hier eine neue, humanistische Gesellschaft entstehen können; Europa als Idee einer neuen Gemeinschaft freier Menschen. Nichts Perfektes, nichts Konfliktfreies, nichts Idyllisches. Nur etwas, das wirklich hat, wovon die leere Rede ist: Werte. Dieses Europa wäre keine Frage von Herkunft, Hautfarbe oder Religion, keine Frage der Historie(n), sondern einer gemeinsamen Zukunft.

Galoppierende Entdemokratisierung

Nun wird sichtbar, wie dünn die Haut über der Verbindung von neoliberaler Rücksichtslosigkeit und einem rechtspopulistischen, halbfaschistischen Untergrund ist. Und welch erbärmliche Rolle spielt Deutschland in diesem Europa! Man zwingt mit wirklich allen Mitteln eine linke griechische Regierung nieder, die es wagt, sich gegen Neoliberalisierung und Austerität zu stellen, und lässt ein autoritäres und rassistisches Regime wie das ungarische gewähren. Eine Kanzlerin, die offen ausspricht, dass es nicht um Europa, sondern um den Euro geht. Die galoppierende Entdemokratisierung Europas, um die eigene Demokratiesimulation zu schützen.

Ich möchte diesem Europa nicht angehören, aber natürlich noch weniger jenen „Euro-Skeptikern“, die am liebsten zu altem Nationalismus, einschließlich der alten Grenzen, zurückkehren würden. Also – wohin?

Menschen, deren Lebenswelt nicht ohne Zutun Europas in eine Hölle verwandelt wurde, suchen Zuflucht in diesem Europa und finden Politiker vor, die Begriffe wie Abschiebung, Rückführung und Abschreckung im Munde führen, von „Abschiebelagern“ reden, ohne vor Scham in den Boden zu versinken, und Souveränität simulieren, indem sie Flüchtlinge wie lästige Kostgänger behandeln, ihnen Arbeit, Bildung, Selbstbestimmung rauben. Eine Hölle namens Europa.

Europa neu denken

Die europäischen Nationalstaaten machen nicht nur Politik für oder vor allem gegen Flüchtlinge, sondern sie machen sogar Politik mit Flüchtlingen. Macht- und Wirtschaftspolitik mit hilfsbedürftigen, recht- und machtlosen Menschen zu treiben, ist das Ende jeder humanistischen und demokratischen Gesellschaft. So etwas hatten wir nur den großen Menschheitsverbrechern zugetraut; so etwas ist heute europäischer Standard.

Ich weiß nicht, ob dieses Europa noch zu retten ist. Nur weil man „links“ ist, ist man nicht unbedingt zum Optimismus verpflichtet. Die Ereignisse der letzten Wochen haben die einen oder anderen Augen geöffnet. Den Flüchtlingen zu helfen ist erste Bürgerpflicht. Die zweite ist es, Europa neu zu denken. Von Grund auf.

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24 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es ist höchste Zeit, dass Seeßlen uns wieder den Blick auf die echten Machtkämpfe lenkt;

    Die aktuellen Kräfte und Ausrichtungen Europas sind selten klarer und eindeutiger benannt worden wie in diesem Artikel :

     

    Postdemokratisch, neoliberal, nationale und oligopolistische Interessen, Experimentierfeld für neue Regierungs- und Verwaltungsformen, Abbau demokratischer Legitimierung; Verschmelzung von Politik und Wirtschaft, TTIP-Geheimverhandlungen über das Schicksal der Gesellschaften, eine Politik jenseits der Parlamente, jenseits der Öffentlichkeit !

     

    Hoffentlich wird die jetzt so notwendige Diskussion um TTIP nicht zu sehr vom Migrationsthema überlagert.

     

    Denn in den nächsten Wochen und Monaten wird es sich entscheiden, ob wir die noch vorhandenen demokratischen Errungenschaften Europas verteidigen können gegen die Übermacht einer auf immer höhere Gewinne ausgerichtete Strategie global agierender Konzerne, die unverhohlen nach legislativer Kompetenz streben.

     

    Die ausschließliche neoliberale Ausrichtung staatlichen Handelns an "Wirtschaftlichkeit" hat sich nicht nur in den Ministerien und Ämtern eingeschlichen, sondern wird dank professoraler Sinngeber in den Hochschulen als Muttermilch an die jungen "Eliten" verabfolgt.

     

    Für sie alle ist es die größte Selbstverständlichkeit, dass den Konzernen mit den Freihandelsverträgen neue Rechte eingeräumt werden, die denen noch mehr Einfluss auf das geben, was vom demokratischen Staat noch übrig bleiben wird.

  • Ausgezeichnet - dem ist nur hinzuzufügen, dass am 20.09. in Griechenland gewählt wird und in Deutschland 2016 / 2017. Inzwischen sammelt sich die Linke in Europa, denn die Deutschen Sozialen Demokraten haben ihren Namen verplempert. Von den Christen ist nicht mehr viel zu erwarten. Die deutschen Waffenexporte haben zu viele Arbeitsplätze im Wahlkreis von Volker Kauder gerettet. Jetzt sind die Opfer zu retten!

    Kairos (griech.) ist der Augenblick: http://yanisvaroufakis.eu/2015/09/10/fassina-lafontaine-melenchon-varoufakis-this-saturday-in-paris/

  • Ja..ja.. Ne´ interssante Rhetorik Herr Seeslen!

    An anderer Stelle hatten sie die Ideologisierung der "Realpolitik" in den EU Staaten kritisiert..

    .. und implizit die rational/religiöse Ökonomisierung der humanen Axiome der säkulären Aufklärung kritisiert...(wodurch die Praxis von Krieg als Mittel von Destabilisierung eine art `legitimen´ Charakter erhält..)

    Als Resultat der Kriege entstehen die Massen der Flüchtlinge!

    Hässliche propagandistische Rhetorik erzeugt Antisolidarität, Hass, Angst und Barbarei..Die Staaten der EU sind gespalten. Die Solidaritätskulturen der Zivilgesellschaften kriseln..

    Einerseits ein Ruf nach Solidarität mit den Schwachen.

    Andererseits Rufe nach Abschottung und mehr Krieg.. (seufz*) ..und noch mehr Flüchtlinge.

    Ich vermisse in deinem Essay eine Aufforderung zum Antimilitarismus! Oder auch eine Wiederbelebung der friedlichen Erfolgsstrategien der politischen Annäherung Willy Brandts und Egon Bahrs!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "... hat vielen die Augen geöffnet."

     

    - Ach wirklich???

     

    Europa ist nur zu retten, wenn Europa erkennt, daß der "freiheitliche" Wettbewerb um ... nun den Krieg auch zu uns spürbar zur Eskalation bringt - Eine wirklich-wahrhaftige Welt- und Werteordnung OHNE die dummen Symptomatiken des Wettbewerbs ist absolut machbar!!!

     

    Europa neu denken, bedeutet dem konsum- und profitautistischen Geschäftssinn die Macht zu nehmen, indem man Visionen vom Zusammenleben in einem UNKORRUMPIERBAREN MENSCHENRECHT auf KOSTENLOSER Nahrung, MIETFREIEM Wohnen und KASSEN- wie KLASSENLOSER Gesundheit propagiert, denn wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehören darf, so daß "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" keine spalterische Macht mehr hat, kann PRINZIPIELL alles zweifelsfrei-eindeutig / menschenwürdig, bzw. wirklich-wahrhaftig demokratisch organisiert werden, OHNE Steuern zahlen, OHNE "Sozial"-Versicherungen, OHNE manipulativ-schwankende "Werte", usw.!!!

  • Das Pferd wurde von hinten aufgezäumt wir der Volksmund sagt, und das rächt sich nun!

     

    Und wer hat wieder in erster Linie darunter zu Leiden? Die Schwächsten auf dieser Erde. Die Eliten haben sich doch längst abgeschottet.

     

    Glauben denn die Bevölkerungen im Westen, wenn täglich einhunderttausend Kinder an Hunger und deren Folgen von Hunger täglich auf dieser Welt sterben, dass diese Menschen kein Recht haben dort hinzu flüchten, wo die meisten Ursachen ihres Elends zu suchen sind?

     

    Es leben zur Zeit ca. 7 Milliarden Menschen auf dieser einen Erde, aber der Westen mit nur 10% der Weltbevölkerung verbraucht alleine ca. 40% der Ressourcen dieser einen Erde? Ist das gerecht?

     

    Und der Westen beschwert sich über Flüchtlinge und Terrorismus? Was hat denn der Westen bisher gemacht, und was macht denn der Westen in den Ländern wo die Flüchtlinge herkommen noch heute?

     

    Schaut euch einmal die sog. Entwicklungshilfe an, wer davon in Wirklichkeit profitiert? Gerade lief auf WDR eine Dokumentation zu diesem Thema. Sehr interessant!

     

    Wie schrieb schon Jean Ziegler in seinem Buch: "EIN IMPERIUM DER SCHANDE"

  • Die Ängste und Depressionen einer dekadenten Gesellschaft lassen immer weniger Spielraum an Menschlichkeit zu. Eine EU, die dem entgegen wirkt, wäre allerdings eine Revolution.

    Sehr guter Artikel, Herr Seesslen.

    • @lions:

      ja! Es ist ja die Kampfkultur der realpolitischen Ideologien die die soziale Solidaritätskultur militarisiert/abtötet/ barbarisiert.. "Hoffnung" lebt doch bereits, ausserhalb der Mächte der verfehlten Realpolitik?

  • Dieser Beitrag von Georg Seesslen spricht mir aus dem Herzen, da mögen sich auch andere Kommentatoren darüber mokieren. Es ist doch offensichtlich, daß es unterschiedliche Vorstellungen und Abstufungen von dem, was gemein als „Hölle“ verstanden wird, gibt.

     

    Wir Deutschen oder besser ausgedrückt, die wohlhabenderen Europäer, sehen sich vielleicht als Bewohner des Schlaraffenlandes. Aber auch die armen und sozial benachteiligten Europäer können sich der Vorstellung Europa als Hölle schon annähern. Es ist eben alles nur eine Frage des Aspektes und des jeweiligen Status. Wer jedoch aus diktatorischen und von Not, Elend, Tod und Krieg gezeichneten Regionen stammt, der weiß, was tiefste Hölle bedeutet. Er ist sicherlich über die Zustände in Europa nicht bestens informiert, kennt womöglich nur die bunte Werbepropaganda und sieht die Bilder von grünen Landschaften und von Menschen, die in luxoriösen Häusern leben, gut gekleidet sind sowie und tolle Autos fahren.

     

    Wer kann es ihnen verdenken, daß sie sich aufgrund ihres Elends und ihrer Hablosigkeit Illusionen machen und sicher sind, daß die Welt dort – und besonders in Deutschland – besser und ein Leben mit Perspektiven möglich ist. Sie betrachten im Vorfeld Deutschland bestimmt nicht als Hölle. Wenn sie jedoch bemerken, bei ihrer Flucht durch Europa ausgesperrt und beschimpft zu werden und unerwünscht zu sein - sie dann in Deutschland das Pech haben, daß ihre Unterkunft angezündet wird und sie mit Steinen beworfen oder bespuckt werden, dann werden sie ihre Erwartungshaltung reduzieren müssen.

     

    Vielleicht ist Europa ja auch nur eine Art Vorhölle, die sich um einen Abstieg in finstere Höllenregionen bewirbt. Die radikale Marktwirtschaft, der ausufernde Kapitalismus mitsamt des Bürokratismus sowie die daraus folgende Egomanie und Insolidarität tragen ihren Teil dazu bei. Das sog. „christliche“ Abendland mitsamt der

  • Zwischenstand "Links"

    Links gäbe es eher Antworten als rechts, so empfahl Frank Schirrmacher einen gesellschaftspolitischen Lese-Aufbruch - und das in der FAZ. So interessant manche Lesefrüchte sind (Robert Kurz!) … über ein “wir sind uns selbst schon zu viel” und deshalb alles für Queer und für Was-für-Frauen-auch-immer und gegen weiße Männer ... geht es im “linken Kin-topp” nie so recht hinaus. Statt des revolutionären Subjekts sieht man ringsum nur gefährliche Diskurswaffen in den Händen von dummen Biedermännern als gefährliche Brandstifter. Denen zauselt man kräftig an den Ohren und bringt man nun - statt eines neuen Wir-Bewußtseins - richtiges Sprechen bzw. Schweigen bei… damit niemand durch Sprache verletzt wird. Georg Seesslen hatte noch das Projekt Europa, welches allerdings nun endgültig in den Händen des “Neoliberalismus” (Ersatz-Kapitalismus?) sei, aber als neues Europa neu erfunden werden kann… Schirrmacher ist inzwischen gestorben. In der FAZ schafft sich Deutschland locker ab, selbst die Sachsen-Analyse-Kompetenz ging verloren. Immerhin sieht Seesslen die EU-Bruchlinien schärfer als die euphorische EU-Faz. Aber, sollte - die Flinte im EU-Korn - das >links

  • Das ist, im besten Sinne, ein "echter Seesslen". Das Problem ist darin klar beschrieben (kein Wert mehr außer dem Geld). Auch die Aufge ist klar benannt (ein neues Europa denken). Was fehlt, ist ein praktikabler Vorschlag für den Umgang mit dem Müll, der sich in Jahrzehnten in den Köpfen angesammelt hat, und der z.T. auch hier in den Kommentaren deutlich wird. Die Ställe des Augias sind OP-Säle gegen manche Hirne, will mir scheinen. Ein Herkules ist leider nicht in Sicht. Und dass DIE Medien sich endlich wenigstens mehrheitlich ihrer Aufgabe erinnern (Aufklärung statt Volksverdummung), muss ich erst mal sehen, ehe ich es wieder glauben kann.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Sowohl der Europa/Griechenland- wie auch der Diskurs zu Flucht und Vertreibung zeigen, wie randständig, bewegungsarm, inhaltlich zersprengt und deklassiert die Linke in Deutschland ist. Und das Gefasel von Helldeutschland ist eine bereits in die herrschaftlichen Politiken implementierte Deckerzählung, die genau das verhindert, was überhaupt dem ersten Flackern eines Gegenfeuers entsprechen könnte: Radikale Kritik und Bereitschaft zur Aneignung des (mindestens Mal diskursiven) öffentlichen Raums.

     

    Unterhalb der Deckerzählung richten wir uns gerade ein. Und zwar auf den verschärften Verteilungskampf. Wir werden bald erleben, wie Flüchtlinge gegen Prekariaten ausgespielt, wie Quotendiskussionen um Arbeitslosigkeit und deren Ursachen angefeuert werden. Gleichzeitig wird die AfD dies politisch instrumentalisieren und der Linken dadurch auch Prozente abgewinnen. Wenn sie sich nicht selbst torpediert, rechne ich für die AfD zwischen 8-15% bei den kommenden Bundestagswahlen. Dagegen arbeiten CDU/CSU wie auch SPD und bei Die Linke Wagenknecht/Lafontaine dieser Tage bereits an. Für die Linke in der SPD wird das zum gravierenden Problem werden, die kennen ihre Wähler im Osten.

     

    Wir müssten dieser Tage angesichts dieser sehr bedrohlichen diskursiven Entwicklungen eine massive breitgefächerte und gleichermaßen vernetzte Initiative der Linken erleben. Aber, was spielt sich de facto ab: Eine zaghaft tastende (dennoch sehr lobenswerte) Diskussion im nd und ein gelegentlicher engagierter luzider Kommentar des Herrn Seesslen oder Walther in der taz. Von vielen anderen liest man dieser Tage gar nichts. Es gibt keine Plattform und keine anderweitigen aktionsfähigen Netzwerke. Um hierzu mal aus dem letzten Papier des ISM zu zitieren: "Es fehlt jedoch auch weiterhin eine politisch mehrheitsfähige sozialökonomische und ökologische Gesamtalternative der pluralen Linken zum neoliberalen Projekt." Das ist der Status quo.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Gefällt mir, der Hinweis auf die Deckerzählung. In der Tat müssen sich die Bürgerlichen um die Linke keine Sorgen machen, und die Verteilungskämpfe zwischen In- und Ausländern unterhalb der Mittelschicht, die nicht einmal einen eigenen soziologischen Begriff mehr Begriff hat ("Prekariat"), werden mit den üblichen Axiomen für Wachstum und Beschäftigung abgegolten. Die Linke kann einem leid tun. Aber in der Flüchtlingsfrage verliert sie eindeutig Boden.

    • 2G
      24636 (Profil gelöscht)
      @24636 (Profil gelöscht):

      "Für die Linke in der SPD wird das zum gravierenden Problem werden, die kennen ihre Wähler im Osten. "

       

      Hier sind mir zwei Sätze durcheinandergeraten. Nur "Die Linke" (Partei) und nicht "die Linke in der SPD" sollte es lauten.

  • ...guter Kommentar, Herr Seesslen. So etwas nennt man eine 'Punktlandung'.

  • Das ist ungefähr der schwächste Beitrag, den ich seit langem auf der taz-Seite gelesen habe. Yohak Yokak hat ja schon richtig geantwortet, ich ergänze: Sie können all ihre tollen Ideale nicht umsetzen, wenn es keine funktionierenden Strukturen gibt. Keine Infrastruktur, keine Wirtschaft, Gesetzlosigkeit. Wenn Europa in diese Felder investiert, ist das zwar kurzfristig nicht ersichtlich "für die Menschen", aber längerfristig hilft es den Menschen weit mehr als unmittelbare Leistungen. Der Begriff "Gutmensch" wird oft auf falsche Art verwendet, indem gutes als naiv" abgewertet wird. Er hat aber da seine Berechtigung, wo Menschen nur den ersten Schritt denken und die Folgen außer Acht lassen. Wer alles Geld an die Armen verteilt, wird bald selbst arm sein. Wer nichts in Infrastruktur, sondern alles ins "Soziale" investiert, wird bald nichts mehr investieren können, weil keine Einnahmen mehr kommen. Solche Banalitäten scheinen der Autorin offenbar nicht einzuleuchten. Traurig.

    • @Dr. McSchreck:

      Manchmal wäre es schon schön, wenn der ein oder andere Besserwisser die Banalität erkennen würde, dass "Georg" selten der Vorname von einer Autorin ist.

  • Ein Debattenbeitrag, der mir aus der Seele spricht. Da kann ich jeden Satz unterschreiben.

  • Wer Europa als Hölle sieht, hat wohl etwas den Überblick über die Zustände auf diesem Planeten verloren.

  • Wenn sich in einem stockdunklen Raum viele Menschen aufhalten, dann kann es für diese eine Wohltat sein, wenn jemand eine Fackel anzündet. Doch ebenso kann dasselbe in einer Katastrophe enden, wenn in diesem Raum gleichzeitig hochexplosiver Sprengstoff gelagert wird.

     

    Beim Flüchtlingsproblem haben wir eine sinngleiche Situation.

     

    Obendrein haben wir die eine Gruppe, die das Licht bringen will, und wir haben die andere Gruppe, die eine Explosion befürchtet. Beide Gruppen haben hier recht, doch das Unrecht besteht darin, daß es dazwischen niemanden gibt, der einen Weg findet, auf andere Weise beides gefahrlos miteinander zu verbinden.

  • "Eine Hölle namens Europa." ?

    Absurdes Zerrbild. Warum kommen soviele Flüchtlinge nach Europa? Warum versuchen sie nicht ihr Glück in den Golfstaaten, in Rußland, Südafrika oder Indien?

    Weil sie sehr genau wissen, daß Europa eben keine Hölle ist. Heutzutage sind die

    Menschen dank Handys und Internet gut informiert. Sie können vergleichen, was sie in Nordafrika oder auf dem Balkan erwartet mit dem, was sie in Deutschland erwartet. Eben deswegen, weil sie durchaus informiert sind, nehmen sie die enormen Risiken in Sahara und Mittelmeer auf sich, um hierher zu gelangen, nach Deutschland, wo es für sie Hoffnung in Zukunft gibt.

    • 6G
      65572 (Profil gelöscht)
      @yohak yohak:

      "Heutzutage sind die Menschen dank Handys und Internet gut informiert. Sie können vergleichen, was sie in Nordafrika oder auf dem Balkan erwartet mit dem, was sie in Deutschland erwartet.

       

      Mit Verlaub Herr*Frau YOHAK YOHAK, so einen Quatsch habe ich schon lange nicht mehr gelesen.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @yohak yohak:

      Niemand ist gut informiert und vor allem alle falsch. Die haben den Mercedesstern im Kopf und das Bild eines reichen Schlaraffenlands, das wir uns selbst und anderen gegenüber - in drastischer Verkennung der Gegebenheiten - ja auch gerne vorgaukeln.

    • @yohak yohak:

      "Wer mit 20 kein Sozialist ist hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist hat keinen Verstand". Den Beitrag könnte man ja fast als Politsatire ansehen. Grotesker geht es ja fast nicht mehr. Irgendwie lebt der Autor offenbar auf einem anderen Planeten - was mich lediglich ärgert ist das unter solchen "Meinungen" am Ende echte Menschen leiden, die keinen Job mehr finden.

    • @yohak yohak:

      Deutschland ist nicht Europa! In dem Artikel geht es um die Gesamtverfassung, die Europa zur Zeit zeigt. Und die ist m. E. exakt so wie oben beschrieben. Das inhumane an Wirtschaftsinteressen ausgerichtete Europa ist undemokratisch und hat so keine Zukunft. Europa muss allen menschenverachtenden Regimen die rote Karte zeigen. Insbesondere denen, die Mitglieder der EU sind!

      Kein TTIP, keine Abschottungen, legale Einwanderung, humaner Umgang mit Menschen, die in Not sind und vor allem Ablehnung von Krieg und Waffengeschäften. Der momentane Fluchtpunkt Deutschland reicht nicht!