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Debatte Deutsche IdentitätDer Wunsch nach Heimat

Nina Apin
Kommentar von Nina Apin

Grundrechte, Rechtsstaat, Selbstbestimmung und Freiheit: In unserem Grundgesetz steckt alles, worauf wir als Deutsche stolz sein können.

Das alles ist Deutschland … Foto: dpa

M einland – was bitte soll denn das sein? Wer sich politisch links verortet, hat mit Begriffen wie Patriotismus oder Vaterlandsliebe traditionell nichts zu schaffen. Dieses Land mit seiner furchtbaren Geschichte und Schuldbeladenheit, so der Konsens der in den sechziger und siebziger Jahren Geborenenen, kann man nicht lieben. Allem Deutschen begegnet man besser mit Vorsicht. „Stolz“ darauf, Deutsche/R zu sein, waren bisher nur die extrem Rechten, die offensiv mit Fahnen wedelten; für progressive Menschen dagegen war Schwarz-Rot-Gold eine staatsbürgerliche Notwendigkeit – aber kein Identifikationsmerkmal.

Die Deutschen, die sich ihres Deutschseins schämten, suchten ihre Heimat im progressiven Weltbürgertum, im Europäersein oder im Regionalen. Und für viele, auch die Verfasserin dieser Zeilen, erweckte die gern bei linken Demos skandierte Parole „Kein Gott! Kein Staat! Kein Vaterland!“ allemal mehr positive Gefühle als ein Land, das man – so man nicht bekennendeR AnarchistIn war – zwar als Staat akzeptierte, aber keinesfalls als Heimat- oder gar „Vaterland“. Die Hoffnung vieler politisch links Stehender bestand vielmehr darin, dass sich im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung, Globalisierung und Individualisierung das mit der Religion und dem Nationalstaat bald erledige – sodass bald gar keineR mehr ein Vaterland brauche.

Diese Hoffnung hat sich gründlich zerschlagen. Weltweit befinden sich die Religionen auf dem Vormarsch, auch in Deutschland sehen Studien wie der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung die religiöse Bindung der deutschen Bevölkerung als stabil an – mit steigender Tendenz im Osten. Auch der Nationalstaat ist wieder en vogue. Sogar in Deutschland. Patriotismus, das haben die vergangenen Jahre gezeigt, in denen Rechtspopulisten und selbst ernannte Patrioten Massenerfolge feierten, ist offenbar doch kein Auslaufmodell ­ – nicht einmal in Deutschland, wo man sich lange immun gegen jedwede nationale Gefühligkeit wähnte. Die Macht der Gefühle wurde grob unterschätzt, besonders von der Linken: Das Bedürfnis nach einer nationalen Identität, nach einer Erzählung vom Deutschsein, sich selbst und anderen gegenüber, ist wichtig.

Gerade in einem Einwanderungsland, in dem sich Homogenität der Herkunft, des Glaubens in eine Vielschichtigkeit auflöst, braucht es ein identitätsstiftendes Narrativ: eine positive Erzählung darüber, was eine Gesellschaft prägt, was sie ausmacht, wer sie sein will. Eine solche Erzählung anzubieten hat die mittelschichtsdominierte Linke bisher versäumt, die Notwendigkeit dafür wurde schlicht unterschätzt. Ortsverbundenheit, Geborgenheit – solcher vermeintliche Gefühlskitsch passte schlicht nicht zum eigenen Freiheitsnarrativ.

Ankerpunkte, Rituale, Symbole

Einen ganz dezenten Stolz auf den Wohlstand und die wirtschaftlichen Leistungen Deutschlands durfte man schon mal äußern, klar. Spätestens seit dem Fußballsommer 2006 ist auch eine Art deutscher Sport-und Event-Patriotismus bis hin­ein ins Mitte-links-Spektrum salonfähig: Stolz auf die Leistung der deutschen Fußball- oder Schwimm-Mannschaft ist in Ordnung, auch bei der Berlinale oder beim Nobelpreis ist es okay, für deutsche Beiträge und KandidatInnen die Daumen zu drücken – immer im Rahmen des Fair Play, versteht sich. Und wenn deutsche Fußballnationalspieler mit Migrationshintergrund die Hymne nicht mitsingen, runzeln inzwischen sogar manche Linke die Stirn.

Individualität und Freiheit sind etwas Tolles, doch sie brauchen eben auch: Ankerpunkte, Rituale, Symbole. Die Unbehaustheit der Moderne macht vielen Menschen Angst, nicht nur verängstigten Kleinbürgern. Kluge linksalternative Ministerpräsidenten wie Bodo Ramelow in Thüringen und Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg wissen das – und kleiden ihre progressive Politik in die sonst von Konservativen besetzte Rolle des Landesvaters, der Region und Tradition wertschätzt – und sogar den Glauben an Gott.

Gerade in einem Einwanderungsland braucht es ein identitätsstiftendes Narrativ
taz.meinland

Was ist taz.meinland? Bis zur Bundestagswahl im September reist die taz durch meinland, deinland, unserland. An gut 50 Stationen machen wir Halt, um ins Gespräch zu kommen und für die offene Gesellschaft zu streiten.

Abseits dieses regionalpatriotischen Sonderwegs gibt es aber noch immer keine linken Angebote für BürgerInnen dieses Landes, die für sich eine Antwort darauf finden wollen, was Deutschsein heute bedeutet. Das ist umso ärgerlicher, als das einzige große Identitätsangebot von ganz rechts kommt. Seit Herbst 2014 marschieren „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ durch deutsche Städte, seit 2013 verspricht die „Alternative für Deutschland“ ihren WählerInnen mehr Deutschland und weniger Europa. Doch die Narrative der Rechten spalten das Land. Sie wollen Eingewanderten, Minderheiten und Muslimen nicht zugestehen, „echte“ Deutsche zu sein. Für ein Land, in dem jetzt schon 16 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund haben und in dem künftig knapp zwei Drittel der Kinder in den großstädtischen Schulklassen Einwandererkinder sind, ist das eine verheerende Erzählung.

Eine neue muss her, die der Lebensrealität im Land gerecht wird und zu mehr Zusammenhalt führt. Was aber soll das sein, Patriotismus ohne „Deutsche gegen Ausländer“, ohne Gott und Vaterland?

Das Verfassungs-Deutschland

Das in den achtziger und neunziger Jahren bemühte Leitbild der Multikulti-Gesellschaft ist es jedenfalls nicht; das Konzept eines gleichberechtigten Zusammenlebens aller Ethnien mogelte sich um eine Konzeption des Deutschseins einfach herum. Will man die Realität unserer multiethnischen Gesellschaft aber nicht nur anerkennen, sondern auch emotional zusammenfügen, dann muss Schluss sein mit dem linken Igittigitt. Es braucht einen neuen Patriotismus, der sich kritisch, aber eben auch liebevoll mit diesem Land befasst.

Herfried und Marina Münkler führen in ihrem Buch „Die neuen Deutschen“ fünf Merkmale des Deutschen auf: Bereitschaft zur Selbstsorge, Leistungswille, Religion als Privatangelegenheit, die Wahl der Lebensform und des Partners als Entscheidung des Einzelnen und das Bekenntnis zum Grundgesetz. Besonders der letzte Punkt könnte sich zu einem neuen Verfassungspatriotismus „mit Herz“ ausbauen lassen. In unserem Grundgesetz steckt alles, worauf wir als Deutsche stolz sein können: die Garantie der Grundrechte, die Unabhängigkeit des Rechtsstaats, die Selbstbestimmung der Regionen. Und die Freiheit zur Entfaltung einer selbstbewussten und starken Zivilgesellschaft. Das Verfassungs-Deutschland hat eine Flagge, eine Hymne, es braucht aber auch eine neue „Leitkultur“. Freilich nicht eine kulturell und ethnisch ausschließende, wie sie konservative bis nationalistische Politiker fordern. Sondern eine, die gleichermaßen den Erzählungen, Traditionen, Literaturen und Gewohnheiten der Einwanderer Raum bietet.

Es muss niemandem Angst machen, wenn in deutschen Schulen Weihnachten und Zuckerfest gefeiert werden, wenn die Literatur türkischer Einwanderer ebenso zum Deutschunterricht gehört wie Schiller. Allerdings muss auch klar sein, dass dieses neue Deutschland nicht nur ein gemütliches Land ist, dass sich der Rechtsstaat gegen grundgesetzgefährdende Aktivitäten wie Salafismus und Reichsbürgertum entschieden verteidigt; dass Polizei und Justiz in der Lage sein müssen, sich gegen ihre Aushöhlung zu wehren.

Ein solches Vaterland, das auch Mutterland ist, Heimat und Partizipationsangebot, Sozialstaat und globaler Wirtschaftakteur, das könnte vielleicht auch wieder ein bisschen geliebt werden von denen, die mit gutem Grund nicht an die Überlegenheit der deutschen Nation glauben – wohl aber an die guten Seiten ihres Landes.

Links lesen, Rechts bekämpfen

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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6 Kommentare

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  • Geht's noch?!

     

    Ja - wir hatten mal einen!(K.T.;)

    "Aus Liebe zu Deutschland?"

    "Ich liebe meine Frau!"

    Bundespräsident Gustav Heinemann -

    Zur erneuten PräsiKandidatur.

    "Eine ruchlose Tat!" - München 1972 &

    "Wer mit dem Finger auf andere zeigt -

    Sollte bedenken - daß drei auf ihn zurückweisen!"

    So geht das!

    https://www.google.de/search?q=gustav+heinemann&ie=UTF-8&oe=UTF-8&hl=de&client=safari &

    Beinahe der Krönung verlustig gegangen - Als ihn seine Tochter

    Uta Ranke-Heinemann

    (jaja quietschgrünLederkostüm!;)

    Mit ihrem KlapperVW dorthin anfuhr

    Wollten die Tschakos/ Bullerei

    "Das KANN ja nicht der Präsi sein!"

    Nicht - Passieren lassen!;)

    Ja - Einen hatten wir!;))

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Stolz kann man auf eigene Leistungen sein, aber auch hier ist dieser kaum angebracht, weil es stets Andere/Umstände sind, die beim Erfolg Pate stehen.

     

    Eine Heimat zu haben, ist schön. Ich habe keine, weil mein Elternland nicht mehr Deutschland ist und ich als Kind und Teenager innerhalb Deutschlands mehrfach umgezogen "wurde".

     

    Home is where your heart is. Damit kann ich was anfangen, aber mein Herz an Deutschland zu verlieren mit seiner enormen Vielfalt...?

     

    Wien ist mir als in einer Weingegend Ansässigem emotional näher als Berlin. Der Norden Deutschlands ist mir fremd geblieben: obwohl ich ein paar dort Jahre zugebracht habe, fühle ich mich wie im Ausland.

     

    Ich kann nur lieben, was ich kenne. Das Grundgesetz kenne ich kaum, nehme es als Bedingung der Möglichkeit unseres freiheitlichen Lebens als selbstverständlich hin, also als nichts, was einer emotionalen Bindung bedürfe.

     

    Worum man nicht zu kämpfen bzw. wofür man sich nicht anzustrengen braucht, das eignet sich wahrscheinlich schlecht zum Stolz und wohl auch nicht viel besser zur Liebe.

    Ich liebe weder Deutschland, noch das Grundgesetz, sondern (Heinemann) - meine Frau, Kinder, Freunde usw. Jedoch schätze ich sehr, was mir die deutsche Kulturgeschichte an Bildung ermöglich hat. Wo ist diese deutsche Kultur geblieben? Ich sehe sie nicht mehr, es sei denn als lokale in den Regionen mit ihren Eigenheiten in Sprache, Essen, Mentalität usw.

     

    Das mit den Fußballern fand ich witzig. Bei der WM 74 sang keiner der Jungs auch nur annähernd mit: https://www.youtube.com/watch?v=_jIpZ7ayzFc

     

    Wenn heute selbst Linke die Stirn runzeln, wenn Spieler mit Migrationshintergrund die Hymne nicht mitsingen, finde ich das bedenklich. Es ist Privatsache, ob man Gott liebt. Es sollte auch eine bleiben, wie man zu seinem Land steht. Bekenntnisse dieser Art einzufordern ist verkappter Nationalismus.

  • Danke!

    Gerade mir als jüngerem, "autodidaktischem Linken" (soll heißen, fern von jeglichem linken Milieu aufgewachsen, sondern über die Jahre durch Selbstinformation geworden) fällt schon immer auf, dass es schätzungsweise 70% Menschen in Deutschland sind, die den traditionell linken Positionen zustimmen. Aus den von Ihnen genannten Gründen würden sich aber 90% niemals als links bezeichnen. Für viele fällt dadurch auch die Wahloption zugunsten einer linken Partei weg.

     

    Ich habe das bei Höckes erstem Skandal-Interview schon gesagt: So lange man sich darüber aufregt, dass jemand eine Deutschland-Fahne im TV dabeihat (und nichts mit Fußball zu tun hat), fährt das Land gegen de Wand. Was er gesagt hat (und das war auch da im Duktus schon eine bewusste, mMn sehr problematische Grenzübertretung), wurde nur am Rande thematisiert und kam bei 90% sicher nicht an. Was ankam, war dass sich alle über einen aufregen, der im TV-Studio ne Deutschland-Fahne dabeihatte... So bekommt man irgendwann auch > 30% Wähler für rechtsextreme Parteien.

     

    Diese Karte wird die AfD weiter spielen, so lange man es ihr so einfach macht.

  • Ein brillianter Artikel, der die gesellschaftliche Entwicklung sehr gut widerspiegelt.

     

    Ich würde den Begriff "nationale Identität" vielleicht durch "Heimatgefühl" ersetzen. Das macht es vielleicht für den einen oder anderen leichter verständlich, worum es geht.

     

    Die multiethnischen Konzepte haben einen Konstruktionsfehler. Sie setzen voraus, dass die ethnischen Deutschen ihre nationale Identität öffnen. Ethnische und nationale Identitäten leben aber von der Frage, wer dazu gehört und wer nicht. Wenn jeder dazugehören kann, wird sie eigentlich abgebaut. Die Konzepte verlangen, dass die ethnischen Deutschen ihre Identität abbauen, während alle anderen ethnische Gruppen ihre Identität behalten. Das gibt vielen ethnischen Deutschen das Gefühl, dass ihnen etwas genommen wird, was die anderen behalten dürfen.

    Wenn man Pegida- und AfD-Anhänger nicht dämonisiert, sondern ihnen genau zuhört, ist genau das etwas, was sehr viele äußern.

    In Bezug auf Pegida würde ich einen wichtigen Punkt herausstellen: Die Anhänger nennen sich "Europäer" und setzten sich für das "Abendland" ein! Also Portugal bis Russland! Das ist eigentlich eine atemberaubende Entwicklung. Sie teilen aus ihrer Sicht offenbar mit Franzosen, Letten, Polen, Slowaken oder Italienern eine Identität!

     

    Aus meiner Sicht greift der Verfassungspatriotismus zu kurz, weil die Artikel nur im kulturellen Kontext ihre Bedeutung entfalten können. Es ist der Versuch, sich vor der Frage, nach dem kulturellen Rahmen zu drücken.

     

    Ich finde die taz-meinland-Reihe sehr gut und freue mich darauf, neben den abstrakten Artikeln auch mehr mit konkretem Bezug zu lesen.

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Danke für diesen Beitrag, Frau Apin!

    Dies allerdings, zumal es von der Bertelsmannstiftung kommt, halte ich für einen schlechten Scherz:

    "Studien wie der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung die religiöse Bindung der deutschen Bevölkerung als stabil an – mit steigender Tendenz im Osten."

     

    Als CDU nahe Stiftung hätten sie dies wohl gerne, wie Merkels Weihnachtsliedersingen und Blockflötenblasen.

    Es friert mich!

    Vaterland? Mutterland? Gott?

    Kann das nicht einfach als Begrifflichkeit verschwinden, bitte!

  • Frau Apin - vielen Dank für Ihren Beitrag, der für viele Linke sicherlich gute Denkanstöße liefert. Der Hinweis, dass die deutsche Linke "traditionell nichts mit Patriotismus zu schaffen hat" ist historisch jedoch falsch. Der in vielen Augen einzige wirklich linke Bundeskanzler Willy Brandt hat die Wahl 1972 mit dem Slogan "Deutsche wir können stolz sein auf unser Land" gewonnen.