piwik no script img

Debatte Deutsche IdentitätDie Rache der Gedemütigten

Kommentar von Georg Seeßlen

Nationalfarbene Rückspiegelpräservative – das wird doch noch erlaubt sein. Es geht um Identität. Aber was ist das eigentlich?

Verkehrte Welt: Links ist Identität, rechts nicht. Bild: dpa

J etzt regen sich schon wieder irgendwelche intellektuellen und politischen Spielverderber über unseren Spaß an „Schland“ (markenrechtlich geschützt von Raab TV GmbH), Deutschlandfähnchen, nationalfarbene Rückspiegelpräservative und Schwarz-Rot-Gold im Gesicht auf. Das wird doch noch erlaubt sein, das ist Pop, das ist Identität in netter Form.

Offensichtlich braucht und sucht tatsächlich jeder Mensch Identität und findet sie in sehr unterschiedlichen Elementen von Gesellschaft und Kultur, in der Religion, in der Sprache, in der Nation, im Klassenbewusstsein oder im Handwerk. Identität ist nichts anderes als ein Wort für Kontinuität.

Für etwas im Leben, zu dem man immer zurückkehren kann und das einem Sicherheit gibt, auf das man sich immer wieder beziehen kann. Man spürt die Identität, wenn sie in Gefahr geraten ist, und weil man sie da so schön spürt, lässt man sie nur zu gern in Gefahr geraten. Es gibt Identitäten, die hauptsächlich aus dem Hass gegen alles besteht, von dem es heißt, es wäre dagegen.

Georg Seeßlen

ist freier Autor und hat bereits über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. In diesem Jahr erscheint von ihm „Kunst frisst Geld. Geld frisst Kunst“, gemeinsam mit Markus Metz verfasst (Suhrkamp). Er lebt auch in Italien.

Blöderweise ist aber eben biografische und soziale Kontinuität etwas, das der moderne Kapitalismus mit seiner Flexibilisierung, Dynamisierung, Globalisierung und Privatisierung gar nicht brauchen kann. Zu viel Kontinuität ist Wettbewerbsnachteil und Wachstumsbremse. Die aktuelle Soziologie spricht denn auch gern von einer „situativen Identität“. Es ist eine Identität, die man je nach Bedarf wechselt, die immer temporär angelegt ist und die sich in aller Regel als mehr oder weniger geschickte Anpassung an äußere Verhältnisse realisiert.

„Blitzkrieg! Blitzkrieg!“

Ob eine solche situative Identität allein reicht, um sich biografisch mit einer funktionablen Kontinuität auszustatten, sei dahingestellt. Doch leicht lassen sich zwei Formen der Identität unterscheiden, die reale und die fiktive.

Reale Identität wird durch gesellschaftlich und kulturell produzierte Kontinuität erzeugt und weitergegeben. In den Familien, in den Erzähl- und Wertegemeinschaften, aber auch in den Texten und Bildern, in der Bildung. Sie kann in der Tat ganz schön lästig werden. Trotzdem kann man sich eine Menschenseele nur schwer vorstellen ohne sie. Offenkundig scheint ein Mangel an realer Identität (an kultureller Erbschaft etwa) zu einem gesteigerten Verlangen nach fiktiver Identität zu führen: nationalistische, rassistische Phantasmen auf der einen Seite, Pop-Kulte auf der anderen.

Am besten scheint es, wenn diese Formen der fiktiven Identitäten (sie bestehen aus Symbolen, Riten und Behauptungen) leicht miteinander verknüpft sind. Nationale Identität kann dann schon beim Fan-Blog auf Spiegel online zu einem Ejakulat wie dem zum Sieg über Frankreich führen: „Blitzkrieg! Blitzkrieg!“ Ist doch alles nur Spaß. Das heißt, man weiß nicht, was Spaß ist und wo es ernst wird, und man will es auch nicht wissen.

„Patriotismus“ und „Identität“

„Identität“ im Allgemeinen und „nationale Identität“ im Besonderen scheint ein so rares Gut geworden, dass man schon nichts mehr dabei findet, noch die trivialste und obszönste Form davon als großes Fest zu feiern und neben einer gewaltigen Bierwolke auch in einem Meer der Fahnen, der Schwarz-Rot-Gold-Schminke, der nationalen Devotionalien zu versinken. Die anderen machen das auch, nur wir machen es halt gründlicher, lauter und nachhaltiger als die, so sind wir eben.

Die konservative bis reaktionäre Ideologie behauptet fest, dass die nationale Identität verschwunden sei, weil die Menschen sie einfach nicht zu würdigen wissen. Kaum verliert die italienische Mannschaft, da attackiert ihr Trainer auch schon das heimische Publikum: Das zeige nicht genug Patriotismus, jeder sei da nur noch seine eigene Ich-Unternehmung, man identifiziere sich nicht genügend mit den Anliegen der Nation.

Über den Mangel an Patriotismus in Italien habe ich mich, trotz der hohen Kunst von Jammern und Murren, so eigentlich noch nie beklagen hören. Aber an so ein einfaches Modell für das, was „Patriotismus“ und „Identität“ da sein soll, nämlich bei seinem Fehlen die Erklärung für schlechte Leistungen, kann man sich gewöhnen, oder? Wenn demnächst wieder einmal etwas gründlich schiefläuft, was ist dann schuld? Richtig, der Mangel an nationaler Identität und Patriotismus. Herr Gauck, übernehmen Sie.

Lieblingswort „Gedemütigt“

Die Identität im Allgemeinen und die nationale Identität im Besonderen können indes nur noch aus der Negation heraus verstanden und konstruiert werden. National ist nach dem rechten Weltbild (und ein anderes ist hier bald nicht mehr zu haben) nicht, wer sein Land mag und es möglichst menschenfreundlich gestalten will, national ist, wer die Fremden und das Fremde hasst, wer mit Hass, Neid und Missgunst auf die anderen sieht.

Schau sie dir doch an! Die haben nicht nur mehr Kinder, die haben nicht nur Familien, die haben auch eine Identität, eine religiöse, eine politische. Sogar eine Hautfarbe kann so etwas sein, eine Identität. Man kann das einen Identitätsneid nennen. Nationale Identität, als eine besondere Form der fiktiven Identität, kann man nur kriegen, wenn man sie einer anderen nationalen Identität wegnimmt. Deshalb ist das Lieblingswort gegenüber den Verlierern im Fan-Blog: „gedemütigt“. Gleich gefolgt von „vom Platz fegen“. Hooliganismus ist nicht die Ausnahme, er ist die Konsequenz von Identitätskonsumismus.

Es ist freilich der größte Trugschluss, man könne eine Identität, die gesellschaftlich und kulturell nicht erzeugt worden ist, sozusagen künstlich, ideologisch und symbolisch nachholen. Dabei kommt nur eine oft genug wörtlich mörderische Paranoia zustande. Denn die eigene Nicht-Identität, die beinahe noch immer der „Dünger“ der rechtspopulistischen, rassistischen und neofaschistischen Weltbilder ist, wird durch den Hass auf vermeintliche Identität anderer nicht weniger, nur die Sucht nach Bosheit und Gewalt gegenüber den anderen wird immer größer.

Deshalb wird aus glücklichem Gewinnen eines Spiels dieses unglückliche Gewinnenmüssen. Katastrophe und „Schmach“ sind immer viel näher als der kleine Identitätsrausch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

28 Kommentare

 / 
  • Nationalismus ist eine scheiß Droge. Wer über die eigene Geschichte lügen muss, um sich wohl zu fühlen, lebt in der Diktatur der Würdelosigkeit. Man nennt das auch Rassismus.

  • Interessante Perspektive. Identität ist in unswerer Gesellschaft doch tatsächlich auf dem Rückzug, und dabei haben wir eine wahre bürgerliche wie gesellschaftliche Identität, die wir auch behaupten können.

     

    Ich möchte der Debatte einen Gedanken hinzugeben: Identität entsteht nicht dadurch, dass wir uns abgrenzen. Identität entsteht dadurch, dass wir sie leben und dass wir Angriffe auf unsere Identität nicht akzeptieren. Zum Islam: Es kann nicht sein, dass manche Vertreter dieser Kreise unsere grundgesetzlichen Werte mit Füßen treten und sich von der Mehrheitsbevölkerung abschotten. Hier wird unsere Identität als aufgeklärter säkularer Staat einfach nicht verteidigt und Zwangsehen und Gewalt geopfert.

     

    Dass nur die Rechtskonservativen das Thema besetzen, wundert mich sehr. Es ist das Kernthema jedes aufgeklärten Bürgers!

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Hans Linken:

      "Dass nur die Rechtskonservativen das Thema besetzen, wundert mich sehr. Es ist das Kernthema jedes aufgeklärten Bürgers!"

       

      Rechtskonservativ und aufgeklärt: Ein Widerspruch in sich.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Hans Linken:

      Es hat Ihnen vielleicht noch niemand gesagt, aber: In der BRD haben auch Minderheiten ein Recht auf Identität.

  • Im Titelbild mal die Perspektive des Balkonbewohners einehmen und schon ergeben die Ger(m)anien plus Schland-Fähnchen einen Sinn.

  • @dhimi, keine ahnung. Bezog sich auf den Kommentar von jupa.

  • Keine Ahnung was die afd jetzt damit zu tun hat und warum immer davon ausgegangen wird das jeder der der eigenen linken Position abweicht afd Wähler, Bildzeitungsleser oder sonstwas ist.

     

    Grade in linken kreisen wurde Religion und autorität mal abgelehnt, aber beim Islam da ist das auf einmal was anderes. Ich habe das Gefühl, das grade unter linken fremdländische folklore und traditionen besonders schützenswert und erwünscht sind.

    • @tobias luetge:

      Was hat denn der İslam mit dieser Debatte zu tun?

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @Dhimitry:

        Nichts, natürlich.

         

        Manche machen halt gerne Ausländer, am liebsten solche "südländischen Typs", für alles verantwortlich.

         

        Früher hat man halt die Juden für alles beschuldigt, heute die Muslime.

      • 8G
        889 (Profil gelöscht)
        @Dhimitry:

        Das ist die Negation, von der Seeßlen spricht. Eingrenzen durch Ausgrenzen.

  • Gerade bei der WM kann man gut sehen, welchen Stolz Menschen aus anderen Ländern auf IHR Land entwicklen und wie sie sich mit IHREM Land verbunden fühlen- besonders deutlich zu sehen bei latein- und südamerikanischen Ländern. Ich würede mit wünschem, dass auch wir Deutsche diesen Nationalstolz haben und stärker ausleben- unsere reiche Geschichte und die vielen großartigen Personen, die Deutschland hervorgebracht hat, geben uns genügend Gründe dafür. Man kann nicht immer nur auf die 12 dunklen Jahre schauen.

  • Sehr guter Artikel, trotzdem ein Einwand: die aufgestellte Unterscheidung einer "realen" und einer "fiktiven" Identität ist ein Kategorien-Crossover, der nichts erklärt und alles verunklart.

    Es gibt in der Tat "schwache", "unsichere" und "versuchsweise" Anteile im Komplex Identität, aber die Aufblähung einer "nationalen" oder auch "sexuellen" Identität zum totalen Selbst kann man nicht als "Fiktion" bezeichnen. Es ist Hysterie, Narzissmus, faschistoider Überschwang, etc.

    Festzuhalten, und daher richtig im Artikel: keine Identität OHNE Abgrenzung. Das ist neu in Deutschland, oder?!

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @die kalte Sophie:

      Umgekehrt wird ein Schuh draus: Unabhängige Identität ist eine Illusion und der Glaube an diese Illusion ist dem Unwissen geschuldet. Nichts existiert, ohne daß alles existiert.

  • Ich verstehe nicht, warum so oft der Begriff "Identität" verwendet wird, wenn doch eigentlich Konformität gemeint ist. Bitte nicht als Ironie auffassen, ich lasse mich gerne belehren.

  • Hallo Redakteure_innen,

     

    in Gaza sterben hunderte aber ihr macht in der Printausgabe den Aufmacher mit "Jogi, so wird das nix!". The Times They Are a-Changin...

    • @Pit:

      Und wann genau war das mal anders?

       

      Übrigens ist der Aufmacher superlustig. Danke für den Tipp!

    • @Pit:

      Ja, und? Überall sterben täglich Menschen? Warum muss da Gaza herausgestellt werden? Hamas-Propaganda?

      • @FreddyBerlin:

        Weil nicht überall Menschen durch Bombardements getötet werden, denen man mit einer riesigen Mauer jeden Fluchtweg genommen hat. Und weil der ach so individuelle Taz-Autor auch nichts anderes zustande bringt, als seinerseits eine kollektive, eben dann linke Identität zu besingen. Wohl gemerkt auch eine fiktive.

      • @FreddyBerlin:

        Nicht nur in Gaza, sondern auch da, wo andere islamische Faschisten Macht und Waffen haben, z.B. in Mali, Nigeria,

        Afganistan, Syrien, Pakistan, Irak, Philipinen, Südthailand, Burma sterben Menschen. 99 Prozent aller islamischen Menschen werden von den eigenen islamischen Menschen getötet.

        Was ist an Gaza besonders. Sind die Gaza Toten mehr wert als die zerfetzten Kinder auf einem Marktplatz in Nigeria?

        • @Tokio Motel :

          Ganz richtig! Die Taliban in Afghanistan und Pakisten fliegen Drohnenangriffe auf sich selbst und die Muslime in Burma werden nicht von Buddhisten verfolgt, sondern begehen in Wahrheit kollektiv Selbstmord. Lassen sie mich raten, Politik Hauptfach, Mathe Nebenfach? Der richtige Schluss ist in jedem Fall: Ignorieren wir am besten alle Toten und reden weiter über Autofähnen und den Veggieday.

        • @Tokio Motel :

          In Nigeria gibt es keine Zionisten, die man so toll beschimpfen kann.

  • Dieser Nationalismus auf dem Globus, der sich in Hass und Ablehnung anderer äußert wird erst zu Ende gehen, wenn wir feststellen, dass es draußen im All anderes Leben gibt, das uns bedrohen könnte...... Dann werden wir zusammenstehen, um sich dann gegen dieses zu richten.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @robby:

      Wohl zuviel miese Emmerich-Schmonzetten geguckt?

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Guter Artikel. Ich drücke das immer etwas kürzer aus: Nationalismus und Patriotismus sind Formen von Geisteskrankheit.

    • @90191 (Profil gelöscht):

      @linksnormal, genau das selbe denke ich über linke Ideologie.

       

      Grade die linken setzen sich für andere Völker, deren Heimat und Traditionen ein. Was für ein eine perfide Doppelmoral.

      • @tobias luetge:

        Da haben Sie was falsch verstanden oder bewusst verzerrt. Es gab unter Linken sowas wie Solidarität mit Menschen in anderen Ländern und das bezog und bezieht sich auf soziale Fragen, um die Herstellung von lebenswürdigen Verhältnissen auch außerhalb der kapitalistischen Zentren. Der Kampf für mehr Gerechtigkeit auf der Welt wurde nicht mit Schlagwörtern wie Heimat oder Tradition geführt. Wenn es darüberhinaus um territoriale Fragen ging, war in erster Linie der Kampf gegen oftmals willkürlich von den vormaligen Kolonialherren gezogene Grenzen gemeint und nicht irgendwelches Blut- und Bodengeschwurbel, was ihr Islamhasser und AfD-Kameraden immer gern mit Tradition und Heimat verbindet.

    • @90191 (Profil gelöscht):

      Ich würde eher sagen von Untertanenmentalität.

      • @heinz martensen:

        ...eine Mentalität, die ja jeder Sozialismus so gar nicht genuin und unabdingbar braucht :D