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Debatte AltersvorsorgeIm Rentenwahlkampf

Kommentar von Ursula Engelen-Kefer

Martin Schulz geißelt die rentenpolitische Enthaltsamkeit der Bundeskanzlerin. Nur: In seiner Partei sieht es nicht viel besser aus.

Prekäres Dauerthema: Proteste bei einer Demonstration der Gewerkschaften in Hamburg 2015 bei einer Demonstration der Gewerkschaften zum 1. Mai Foto: dpa

M it ihrem Programm zu den Bundestagswahlen haben die SPD und Kanzlerkandidat Martin Schulz beim Parteitag in Dortmund am vergangenen Wochenende auch den Renten-Wahlkampf eingeläutet. Bestätigt wird dabei das bereits bekannte Rentenkonzept mit der doppelten Haltelinie beim derzeitigen Rentenniveau von etwa 48 Prozent, einem Beitragssatz von 22 Prozent und einem steuerlichen Demografiezuschuss. Allerdings gilt dies nur bis 2030, obwohl SPD-Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles erst im November mit ihrer Verkündung des weiteren dramatischen Rentenabfalls bis 2045 nicht nur die Partei aufgescheucht hat.

Aus der CDU/CSU gibt es bei der Rente wenig Erhellendes. Vielmehr ertönt ein mehrstimmiger Chor, ob ein eigenes Rentenkonzept noch vor den in drei Monaten anstehenden Bundestagswahlen vorgelegt werden soll.

Mit besonderer Angriffslust ist Schulz die Bundeskanzlerin ob ihrer rentenpolitischen Enthaltsamkeit angegangen. Bleibt nur zu hoffen, dass seine politische Keule nicht als Bumerang zurückschlägt. Immerhin geht es mit etwa 20 Millionen Rentnern um ein zuverlässiges Wählerpotenzial.

Burgfrieden in der SPD

Ursula Engelen-Kefer

Die promovierte Volkswirtschaftlerin war bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und saß bis 2009 im SPD-Vorstand. Ende 2015 wurde sie in den Bundesvorstand des Sozialverbands Deutschland e. v. (SoVD) gewählt und leitet dort weiterhin den Arbeitskreis Sozialversicherung. Sie ist Mitglied des "Forums Demokratische Linke 21" (DL 21) innerhalb der SPD.

Dabei war die öffentliche Begleitmusik zu den Rentenplänen von Schulz in der SPD zunächst eher vielstimmig. Mit der Verabschiedung des Wahlprogramms auch zur Rente ohne Gegenstimmen sollte zumindest die Befriedung in der Partei erreicht werden. Die kritischen Stimmen wurden geräuschlos niedergebügelt. Dafür soll in einer Arbeitsgruppe mit den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen geprüft werden, ob das Rentenniveau nach 2030 angehoben werden kann. Ob die häufige Wiederholung von Schulz, keine weitere Erhöhung des Rentenalters zuzulassen, die Kritik an der von der SPD selbst eingeführten Rente mit 67 abwenden kann, wird sich zeigen. Abzuwarten bleibt ebenso, ob der Renten-Burgfrieden innerhalb der SPD anhält.

So notwendig es ist, den freien Fall des Rentenniveaus seit der Riester-Reform 2001 anzuhalten, so lässt sich hierdurch keinesfalls das propagierte Ziel für ein „angemessenes Leben im Alter“ ermöglichen. Dies ist mit einer ausgezahlten Monatsrente von im Schnitt knapp über 1.100 Euro für Männer und 650 Euro für Frauen nicht möglich.

Es ist daher für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit auch im Alter unabdingbar, die massive Absenkung des Rentenniveaus rückgängig zu machen und die Riester-Treppe wieder nach oben zu gehen. Vor allem müssen Arbeitgeber ihren hälftigen Anteil an den erforderlichen Beiträgen leisten. Zu erhöhen ist auch der Steuerzuschuss, zumindest für die Mütterrente sowie die 63er-Regelung von etwa 10 Milliarden Euro im Jahr. Die derzeitige Finanzierung zulasten der Beitragszahler ist nicht nur sozial ungerecht, sondern gefährdet Vertrauen und damit die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung.

Inzwischen stellen selbst amtliche Berichte fest, dass die Riester-Reform gescheitert ist

Kernpunkt der Riester-Reform unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder war ja die Entlastung der Arbeitgeber durch Deckelung der paritätischen Beiträge. Die Sicherung des Lebensstandards im Alter gibt es danach nur noch mit dem Mehrsäulenmodell aus gesetzlicher Rente und zusätzlicher kapitalgedeckter Alterssicherung zulasten der Arbeitnehmer. Erforderlich ist mithin die Rückkehr zur Absicherung des Lebensstandards durch die gesetzliche Rentenversicherung.

Dass dies auch bei der demografisch bedingten Zunahme des Anteils der Rentner pro Beitragszahler möglich ist, ohne die Wirtschaft und die jüngere Generation zu überfordern, zeigen andere vergleichbare Länder, allen voran das Nachbarland Österreich. Dies gilt auch unter Abstrichen wegen der besonderen Belastungen in Deutschland durch die Renteneinheit zwischen West und Ost sowie die besonders niedrige Geburtenrate. In Österreich sind die durchschnittlichen Rentenleistungen für Männer und Frauen im Schnitt um mehr als 40 Prozent höher als in der Bundesrepublik, werden für 14 Monate gezahlt, und es gilt nach wie vor die Rente mit 65. Finanziert wird dies durch einen Beitrag von 22,8 Prozent mit einem höheren Anteil der Arbeitgeber sowie einem erheblichen Steuerzuschuss. Zudem sind alle Erwerbstätigen in die solidarische Rentenversicherung einbezogen, was auch in Deutschland längst überfällig ist.

Revision der Riester-Reform

Wie inzwischen selbst amtliche Berichte feststellen, ist die Riester-Reform gescheitert. Der weit überwiegende Teil der Alterssicherung erfolgt nach wie vor über die gesetzliche Alterssicherung, allerdings mit den inzwischen erfolgten ungerechten „Riester-Kürzungen“, entsprechenden Kaufkraftverlusten der Renten und drohender dramatischer Altersarmut. Nur ein Teil der Betroffenen hat überhaupt eine Riester-Rente abgeschlossen; ihr Zugang stagniert seit Jahren und viele „Riester-Rentner“ haben die Zahlung der Beiträge längst eingestellt. Am geringsten beteiligt beim „Riestern“ sind die Bezieher niedriger Renten, die eine derartige zusätzliche Alterssicherung am dringendsten nötig hätten, sich diese aber am wenigsten leisten können. Zudem werden die Riester-Renten auf die Grundsicherung im Alter angerechnet.

Auch ist die Entwicklung auf den Kapitalmärkten seit Jahren eher abschreckend. Dass die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung inzwischen die der kapitalgedeckten Systeme deutlich überschreitet und zudem die Verwaltungskosten erheblich niedriger sind, wird zumeist schamhaft verschwiegen. Die Wiederherstellung der solidarischen Altersrente wäre bei Weitem gerechter als die gerade noch wenige Monate vor den Bundestagswahlen von Bundesarbeitsministerin Nahles eingebrachte und von der Großen Koalition beschlossene Stärkung der Betriebsrenten für mittlere und kleine Betriebe sowie „Riester Plus“ mit weiteren steuerlichen Subventionen.

Zu einer gerechten Rente gehören weitere Verbesserungen, insbesondere bei Erwerbsminderung und Altersarmut. Für eine armutsfeste Rente muss der gesetzliche Mindestlohn erheblich angehoben werden. Zudem hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz den politischen Härtetest auch bei der bereits propagierten Revision der Hartz- und Agenda-Politik noch zu bestehen.

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4 Kommentare

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  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...wer CDU/CSU, FDP und SPD wählt, wählt Altersarmut.

    Diese Parteien sind 'Der Wirtschaft' zu Diensten, wo sie nur können, den 'Normalbürger' brauchen sie nur alle vier Jahre, zwecks Wiederwahl.

  • Schon sehr schade. Ich hatte kürzlich noch damit geliebäugelt, erstmals in meinem Leben die SPD bei der Bundestagswahl zu wählen, weil ich mir endlich einen überzeugten Europäer als deutschen Kanzler wünsche und nicht eine nationale Egoistin, die Europa nach zweieinhalb Jahrzehnten noch immer nicht verstanden hat. Geht's nur wieder um Rentenexzesse auf Kosten der zukünftigen Generationen, kann ich es aber nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Schulz' Partei zu wählen.

  • Die ganze Rentendiskussion seitens der Politik, Medien und Wirtschaft wird mit selektiv ausgesuchten Zahlen geführt. Da wo es passt, wird mit den Daten argumentiert, die den Bezug auf die Gesamtheit nehmen, wie bei der demographischen Entwicklung.

    Bei den ökonomischen Themen wird bewusst nur die Beitragshöhe und Rentenniveau - das erste als Schreckgespenst, das Zweite als Beruhigungspille, denn die Lohnentwicklung der unteren (und auch mittleren) Gruppen vermag man sich bei der derzeitigen Entwicklung gar nicht vorstellen.

     

    BIP, seine Anteile, Produktivitätsfortschritte etc. sollten stärker in den Mittelpunkt der Diskussion.