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Deal zwischen Israel und der HamasEin überfälliges Abkommen – aber kein Plan danach

Kommentar von Lisa Schneider

Die Erleichterung nach dem Zustandekommen des Waffenstillstands ist groß. Doch es gibt entscheidende Unklarheiten darüber, wie es jetzt weitergeht.

Die Zahl der Hilfslieferungen soll nach dem Abkommen deutlich erweitert werden: LKW steht bei Rafah an der Grenze zu Gaza Foto: Amr Nabil / AP/ dpa

E ndlich. Das ist wohl das Wort, das den meisten – ob in Israel, in Gaza, dem Westjordanland oder auch weltweit – in den Sinn kam, als vergangene Woche das Geisel-Waffenstillstands-Abkommen zwischen der Hamas und Israel in Gaza beschlossen wurde. Am Sonntagvormittag um 11.15 Uhr Ortszeit trat es in Kraft, nach 470 Tagen Zerstörung, Tod und Leid. Während ich diesen Kommentar schreibe, fahren gerade weiße Geländewagen des Roten Kreuzes durch Gaza. Die Hamas habe die Geiseln soeben an die Hilfsorganisation übergeben, berichtet der saudi-arabische TV-Sender Al-Arabiya.

Drei junge Frauen sind auf dem Weg aus der Geiselhaft in die Freiheit. Und in Gaza können viele Menschen zum ersten Mal seit Monaten wieder ohne Angst vor einem Luftangriff in den Himmel blicken. Können die Hunderttausend Binnenvertriebenen ihre Heimkehr planen, zu ihren Häusern – oder was davon übrig ist. Denn Israel soll sich auch aus dem Netzarim-Korridor in Mittelgaza zurückziehen, eine Rückkehr nach Nordgaza damit wieder möglich sein. So steht es im Text des Abkommens, den das Online-Medium Times of Israel veröffentlicht hat. Im Detail steht darin, in welchem Verhältnis die Geiseln gegen palästinensische Gefangene ausgetauscht werden: 1 zu 30, eine Geisel für 30 Gefangene.

Interessant ist aber auch, was nicht darin steht: Das israelische Militär zieht sich zurück. Und dann? Was von Anfang an kritisiert wurde – dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keinen Plan für einen Gazastreifen nach dem Krieg hat –, spiegelt sich im Text des Abkommens. Wer soll die Sicherheit der Menschen dort sicherstellen, etwa vor Kriminalität? Wie kann dafür gesorgt werden, dass ein zivilisiertes Zusammenleben funktioniert? Eine mögliche Antwort geben Bilder vom Sonntagmorgen aus dem Süden des Gazastreifens: Dort feierten bewaffnete Kämpfer in Sturmhauben und mit Maschinengewehr in der Hand schon vor dem Eintreten der Waffenruhe das Abkommen und sich selbst.

Staatliches Machtvakuum?

Dass es ein staatliches Machtvakuum geben dürfte, zeigt auch ein weiterer Absatz des Abkommens: Fahrzeuge, die nach Nordgaza zurückkehren wollen, sollen nicht vom israelischen Militär, auch nicht von den Sicherheitskräften der palästinensischen Autonomiebehörde, sondern von einer privaten Sicherheitsfirma durchsucht und kontrolliert werden.

Das Abkommen behandelt auch die Ausreise von Menschen aus Gaza nach Ägypten. 50 verwundete Kämpfer sollen mit Genehmigung von Israel und Ägypten täglich aus Gaza ausreisen dürfen. Was danach mit ihnen geschehen soll, wohin sie weiterziehen könnten, bleibt offen.

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12 Kommentare

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  • Blinken: “We’ve long made the point to the Israeli government that Hamas cannot be defeated by a military campaign alone, that without a clear alternative, a post-conflict plan and a credible political horizon for the Palestinians, Hamas, or something just as abhorrent and dangerous, will grow back,” Wieso wurden dann weiter Waffen/ Bomben in Milliardenhöhe geschickt wenn sie der Meinung waren, das man Hamas sowieso nicht militärisch besiegen kann. Das ist auch eine Lehre die sie aus Irak/ Afghanistan etc gelernt haben sollten. Ich stimme seiner Aussage ja komplett zu, ohne ein Ende der Besatzung der gesamten pal. Gebiete und das Recht of Selbstbestimmung wird es keinen Frieden geben. Israel ist durch die Besatzung keinen Deut sicherer geworden im Gegenteil. Das zeigt auch seine folgende Aussage: “Indeed, we assess that Hamas has recruited almost as many new militants as it has lost. That is a recipe for an enduring insurgency and perpetual war.” Da muss man dann doch echt die Strategie der Amerikaner in den letzten Monaten hinterfragen. Mehr Bomben auch wenn man weis das man es damit schlimmer macht? Hier werden sich noch einige zu verantworten haben.

    • @Momo Bar:

      Weiterhin Geiseln gefangen zu halten, obwohl das alles nur schlimmer gemacht hat…

      Und dennoch wird sich die Hamas deswegen garantiert nicht vor dem palästinensischen Volk verantworten müssen.

  • Hallo?? Liebe Frau Schneider, mir will einfach nicht einleuchten, warum ausgerechnet Israel, das Land das vor 15 Monaten ausgelöscht werden sollte für den Gazastreifen fertige Pläne erarbeiten sollte?? Das klingt geradezu so als hätte Israel den Gazastreifen planvoll(!) angegriffen und wäre somit verpflichtet den so gefaßten Plan sauber zu Ende zu denken!



    Wir haben hoffentlich alle verstanden, das es so nicht war! Es wäre mindestens paternalistisch, vielleicht sogar kolonialistisch da eine "Lösung" zu präsentieren! Wie stellen sich Menschen in Gaza ihre Zukunft vor? In Syrien gibt es zivilgesellschftliche Gruppen, die sich mit der Ausgestaltung der Zukunft beschäftigt haben und beschäftigen, das muss doch mindestens auch in Gaza möglich sein. Man kann doch nicht einen mörderischen Krieg beginnen, ohne sich einen Plan B zu überlegen. Und schließlich besteht Gaza ja nicht nur aus Hamas, es gibt auch dort eine Opposition, eher im geheimen, aber jetzt ist ihr Moment!

    • @Henriette Bimmelbahn:

      "Das klingt geradezu so als hätte Israel den Gazastreifen planvoll(!) angegriffen und wäre somit verpflichtet den so gefaßten Plan sauber zu Ende zu denken!"



      Denken Sie, die letzten 15 Monate Flächenbombardements, Vertreibung und Entmenschlichung sind im Affekt passiert? Natürlich ist das planvoll geschehen und natürlich hatten die israelischen Rechtsextremen auch vor dem 7.Oktober schon weitreichende Vertreibungs- und Siedlungspläne für Gaza entworfen. Auch die unfassbaren Verbrechen dieses Tages entbinden Israel nicht von seiner Pflicht sich in der Reaktion darauf an Menschenrecht zu halten, und dazu gehört eben auch ein Plan wie man das Morden beenden kann. Daran, das muss nun jedem klar sein hatte kaum jemand in der Knesset ein Interesse, zumindest keines das gewichtiger war als die Eretz Israel Pläne der Extremisten. Somit gilt für die israelische Opposition gegen Gewalt und Völkermord so ziemlich das Gleiche, wie das, was Sie über Gaza schreiben, mit dem kleinen Unterschied, das die Menschen in Gaza unter der doppelten Diktatur von Hamas und Besatzung leben und die Israelis die Extremisten in freier, demokratischer Wahl gewählt haben.

  • Was wir aus Deutschland heraus wohl aus eigener Erfahrung weitergeben dürfen:



    Israel, schütte Gaza mit Entwicklungshilfen zu. Sorge dafür, dass die Menschen dort wieder etwas zu verlieren haben. Hilf ihnen, Hoffnung zu entwickeln, damit sie die Kraft finden, einen eigenen, sicheren und wirtschaftlich starken Staat aufzubauen.



    Mache das schnell!



    Und lasse zu, dass Hilfe von außen auch dort ankommt.



    Wohlhabende Palestinenser sind deine einzige Hoffnung auf dauerhaften Frieden.

    • @Herma Huhn:

      Die Leute HABEN dort gerade alles verloren, was sie am 7. Oktober hatten.

      Und trotzdem feiern sie das schlimmste Pogrom an Juden seit 1945 immer noch und die Hamas-Führung deutet den Willen an, das Massaker zu wiederholen.

      Im übrigen: am 7. Oktober wurden auch so viele Israelis ermordet, weil die arabischen Arbeiter in den Kibbuzim die Menschen dort an die Hamas verrieten. Das waren Menschen, die jahrelang dort gearbeitet und die Israelis kennengelernt hatten, und die dort natürlich auch Geld verdienten.

      Wenn diesen Menschen schon nicht zu trauen war, wie soll Israel dann jemals irgendetwas anderes als Verrat und Lüge und Terror von Gaza erwarten? Und wieso ist es eigentlich nicht auch mal an den Palästinensern, sich zu besinnen? Wieso regiert die islamistische Hamas immer noch, nach dem sie Tod und Vernichtung auf Gaza herabgerufen hat?

      Mahmoud Abbas mag korrupt sein, aber er hat vollkommen recht: an Gazas Zerstörung ist letztlich die Hamas schuld.

      Und wenn die Hamas das alles jetzt als "Sieg" feiert, zeigt das, dass ihr die Zerstörung von Gaza und all die Toten scheißegal waren und sind.

    • @Herma Huhn:

      Alles richtig, aber eins sollte man nicht vergessen, es geht nur, wenn die Militaristen in Gaza direkt in ihre Grenzen verwiesen werden. Das heißt, Entwaffung aller Milizen und Anerkennung ziviler Strukturen. Das sehe ich da noch nicht.

    • @Herma Huhn:

      Nein, das wurde bereits versucht. Nachkriegszeit Marshall Plan hat nie geklappt, weil es vorher eine bedingungslose Kapitulation und Zerschlagung der nsdap und Nachfolge Organisationen gab.

      Das bedeutet für Gaza verbot von Hamas, PIJ, PFLP, etc.

      Auch wohlhabende können Blut und Boden Revanchismus vertreten.

  • "470 Tagen Zerstörung, Tod und Leid". Israelisches Leid verbirgt sich irgendwo hinter Geiselnahme, die Mörder hinter Gefangenen als sei es ein Kavaliersdelikt. Später wird es dann Geiselaustausch genannt.

  • Es ist das eigentliche Drama: Eine Palästinensische Zivilgesellschaft ist auch ohne Besatzung nicht in Sicht. Da helfen auch alle Vorwürfe gegenüber Israel nichts. Wenn sich in Gaza wirklich was ändern soll, muss die Bevölkerung ihre Berufsrevolutionäre endlich in ihre Schranken weisen und statt in Tunnel und Terror in Wirtschaft und Weiterbildung investieren. Sonst wird das nie was mit dem eigenen Staat.

    • @vieldenker:

      Genau so ist es. Danke. Liebe über der Erde Schulen bauen statt unterirdisch Tunnel.

  • Es gab ja schonmal einen Deal Geißeln gegen Waffenruhe, danach ging es wieder los. Die Hamas hat kein Interesse alle Geiseln freizulassen und die Macht abzugeben, Israel kein Interesse an der fortgesetzten Existenz der Hamas. Von dem her werden die blutdürstigen Götter die den Nahen Osten beherrschen bald wieder lachen.