Daten in Musik übersetzt: Der Sound der Überwachung
Jasmine Guffond bringt Datenströme zum Klingen. Die australische Soundkünstlerin tritt in Berlin mit Arbeiten zum Thema Urheberrecht auf.
Wer wissen möchte, wie sein eigenes Gesicht klingt, sollte sich an Jasmine Guffond wenden: Die australische Soundkünstlerin und Komponistin weiß Bescheid. Im Rahmen ihres „Sound Studies“-Studiums an der Universität der Künste sollte sich Guffond mit ihren Kommilitonen vor fünf Jahren einen Soundwalk rund um die Deutsche Oper ausdenken, einen Hörspaziergang also, bei dem man sich einen Ort über Klang und Geräusche erschließt. Das Thema war „Protest“.
„Ich habe damals gelesen, dass direkt nach den Occupy-Wallstreet-Demos in New York viele Überwachungskameras installiert wurden, die mit Gesichtserkennung arbeiten“, sagt Guffond. „Deshalb wollte ich die heutige Bedeutung von Technik und Überwachung für die Protestkultur erforschen.“
Im Tausch gegen Kopfhörer für den Soundwalk ließ sie sich von den Teilnehmern der Tour deren Personalausweise aushändigen. Während die Spaziergänger unterwegs waren, scannte Guffond die Fotos auf dem Ausweis, übersetzte die eingelesenen Daten mithilfe einer Freeware in ein einminütiges Pianostück, brannte es auf CD und überreichte es den Teilnehmern am Ende des Walks: ein Kunststück, basierend auf persönlichsten Daten. Wenn man schon nicht sehen kann, wie Gesichtserkennungstechnik funktioniert, kann man es so zumindest hören.
Guffond tritt nun beim Festival „Right the Right“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin auf, das sich mit dem Thema Urheberrecht beschäftigt. Im Laufe ihrer Karriere hat sie schon viele Spielarten elektronischer Musik ausprobiert: In ihrer Heimatstadt Sydney gründete sie das Elektronikduo Minit.
Cookies hörbar machen
2003 zog sie nach Berlin und veröffentlichte unter dem Pseudonym Jasmina Maschina versponnene Electronica zwischen Freak Folk und Klangexperiment, unter anderem auf Gudrun Guts Label Monika Enterprise. Sie arbeitete als Klangdesignerin in der Filmindustrie und komponierte in diesem Jahr Sounds für den Biennale-Beitrag der taiwanischen Künstlerin Shu Lea Cheang.
Festival "Right the Right". 21. – 24. November, Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Mit Holly Herndon, Hermeto Pascoal, Jan St. Werner, Chicks On Speed u. a.. Die Lecture Performance von Jasmine Guffond ist am Sonntag, 19 Uhr.
Seit ihrem Experiment mit dem Personalausweis interessiert sich Guffond dafür, Daten und Datenströme klanglich darzustellen – etwa die Funktionsweise von Cookies, den Minitextdateien mit Informationen, die einem Webserver helfen, einen Besucher seiner Seite wiederzuerkennen und Einstellungen zu sichern.
Um Internetnutzern ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie ihre Web-Aktivitäten durch die Anwendung von Cookies verfolgt werden, hat Guffond eine Erweiterung für den Chrome-Browser programmiert: Das Tool „Listening Back“ überführt Online-Cookies in Sound, während man im Netz surft – in Echtzeit. Wann auch immer ein Cookie geschrieben, überschrieben oder gelöscht wird, ertönen Synthesizerklänge. „Unsere Interaktion mit dem World Wide Web ist stark visuell vermittelt“, sagt Guffond. „Wir schauen die ganze Zeit auf einen Bildschirm, wissen aber nicht genau, wie etwa Cookies funktionieren. Was mich interessiert, ist, eine hörbare Präsenz für versteckte Tracking-Technologien zu schaffen.“
Guffond will offenlegen, was im Netz unsichtbar passiert, auch in ihrem Beitrag zum „Right the Right“-Festival. Dafür hat sie sich mit einem System namens Content ID beschäftigt: einem Hilfsmittel für Urheberrechtsinhaber, um Inhalte auf YouTube überprüfen zu können. Auf YouTube hochgeladene Videos werden vom System mit einer Copyright-Datenbank abgeglichen. Stellt der Algorithmus fest, dass eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, wird der Nutzer angehalten, sein Video zu entfernen. Wenn man so will, ist das System ein YouTube-eigener Uploadfilter.
Oft geht die Sache schief
Das Problem ist: Manchmal geht die Sache gründlich schief. „Der Algorithmus ist nicht in der Lage, etwa einen Remix zu erkennen“, sagt Guffond und bringt ein weiteres Beispiel: Als der britische Pianist James Rhodes ein Video von sich veröffentlichte, in dem er ein Stück von Bach spielte, ließ das Label Sony seine Aufnahme sperren – obwohl Bach seit 269 Jahren tot und sein Werk von Urheberrechten befreit ist. „Wenn ein großes Label die Rechte an einer Aufnahme des Musikstücks besitzt, schlägt das Content-ID-System falschen Alarm“, sagt Guffond.
Für Algorithmen-Irrtümer dieser Art hat sie ein Archiv angelegt, das sie für die Festivalbesucher in einer Mischung aus Vortrag und Performance öffnen wird. „Ich finde es bedenklich, so viele Entscheidungen von Algorithmen abhängig zu machen“, sagt sie.
Grundsätzlich sei die Idee des Urheberrechts eine gute: „Wenn jemand meine Musik in einem Film verwendet und mich dafür bezahlt, ist das natürlich toll. Aber in seiner jetzigen Form schadet die Gesetzgebung zum Urheberrecht Kultur und Gesellschaft.“ Und manchmal führt sie auch schlicht zu Absurditäten: So kann es schon mal passieren, erzählt Guffond, dass ein Algorithmus in alltäglichsten Sounds eine Copyright-Verletzung erkennen will – zum Beispiel in Vogelgezwitscher.
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