piwik no script img

„Data Mining“ in BehördenVerbrecherjagd in Datenbanken

Bundesbehörden nutzen bei Ermittlungen Software, die sehr große Datensätze auswerten können. Linke-Politiker befürchten darin eine neue Form der Rasterfahndung.

Diese Frau passt nicht ins Raster. Bild: dapd

Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz nutzen Big Data zur Strafverfolgung und Kriminalprävention. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und Andrej Hunko (beide Linkspartei) hervor. Die Behörden greifen dabei auf Software von IBM und humanIT zurück, die viel mehr kann, als nur Daten verwalten. Die Abgeordneten der Linksfraktion werfen der Regierung vor, mithilfe dieser Software unbemerkt digitale Rasterfahndungen durchzuführen.

Besonders interessierte die Abgeordneten, ob die Behörden „Data Mining“ einsetzen – ein Verfahren, bei dem unstrukturierte Daten aus mehreren Datenbanken gleichzeitig verarbeitet werden. So können Zusammenhänge zwischen Personen, Gruppen und Objekten aus unterschiedlichen Datenbanken zu verknüpft und analysiert, mit dem Ziel zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

Die Linksfraktion sieht darin die Gefahr einer digitalen Rasterfahndung. Es sei problematisch, wenn Ermittler Daten der Bürger durchforsten würden, um „Einträge auf Kreuztreffer zu analysieren.“ Rasterfahndungen sind nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2006 den Behörden nur im Rahmen konkreter Gefahr erlaubt, etwa für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder das Leben eines Bürgers.

Die Bundesregierung antwortete, nicht erklären zu können, ob die Behörden Data-Mining betreiben, da der Begriff nicht ausreichend rechtlich verankert sei. Gleichzeitig aber erklärte sie, dass die Behörden Software wie „Analyst´s Notebook“ von IBM und „InfoZoom“ von der Firma humanIT zur Strafverfolgung benutzen. Diese Software ist laut Herstellerangaben für das „Data Mining“ ausgelegt ist.

Laut dem Hersteller IBM kann die Software „Analyst´s Notebook“, die vom Bundeskriminalamt schon seit dem Jahr 2000 genutzt wird, große Datenmengen auswerten und eigenständig Hypothesen aufstellen. So soll die Software den Behörden helfen, „Kriminelle, Terroristen und Betrüger zu identifizieren, verhindern und vorauszusagen.“ Genau das, was man also unter Data-Mining versteht.

Data Mining bei Europol?

In Ihrer Antwort erklärt die Regierung: „Verschiedene der von Sicherheitsbehörden genutzten Anwendungen u.a. Analyst´s Notebook, sind in der Lage, räumliche und sonstige Beziehungen (Täter, Mittäter, Mitfahrer, Beifahrer, etc.) zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Objekten und Sachen darzustellen“. Für Ermittlungen zur Mordserie des NSU seien beispielsweise 20 Millionen Funkzellendatensätze mit etwa 13.000 Anschlussinhabern verknüpft worden. Die Funktion der Software, selbstständig Hypothesen aufzustellen, sei der Regierung bekannt, werde aber von den Behörden nicht genutzt.

Anders als die Bundesregierung, weiß die europäische Polizeibehörde Europol was mit dem Begriff „Data Mining“ anzufangen. So hat die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström zugegeben, Software für „Analysen und Data-Mining“ zu nutzen. Auf die Anfrage antwortete die Bundesregierung nun, dass auch deutsche Polizisten Zugriff auf entsprechende Verfahren von Europol haben und die Software nutzen dürfen.

„Nichts gegen effiziente Polizeiarbeit, wenn sie denn der Bekämpfung von Kriminellen dient", kommentiert Ulla Jelpke das Ergebnis der Anfrage. „Die von der Bundesregierung und ihren EU-Partnern eingeschlagene Richtung ist aber verkehrt: Das Leitbild 'Freund und Helfer' wird zunehmend durch das Leitbild 'Big Brother' abgelöst“. Es deute sich deute sich das Horrorszenario eines Sicherheitsstaates an, der den Anspruch erhebe, über alles jederzeit informiert zu sein – und immer neue Computerprogramme benötige, um die Datenflut verwalten zu können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • BI
    Bertram in Mainz

    Rasterfahndung findet nicht gezielt Verbrecher, sondern Abweichungen von Durchschnitten, von Normen. Das bedeutet, dass jeder, der irgendwie von Normen abweicht, gewissermaßen "Alarmpunkte" bekommt. Einzelne reichen nicht. Aber es können zufällig oder aufgrund von Abhängigkeiten mehrere zusammenkommen. Wer nicht "normal" ist, wird Ärger bekommen!

     

    Der Auswerter bestimmt, was "verdächtig" ist. Beispiel: Bei den Flugpassagieren werden sogar Essenswünsche erfaßt. Was bedeuten die? Der Moslem isst kein Schweinefleisch. Macht sich in Zukunft der Vegetarier verdächtig? Der echte Terrorist weiß sich zu tarnen. Entweder bestellt er zur Tarnung Schweinebraten. Oder er tarnt sich als Vegetarier.

     

    Von diesen Pseudo-Zusammenhängen wird es in Zukunft unzählige geben. Wir denken, dem Unschuldigen kann nichts passieren. Das wird uns in jedem Krimi so eingeredet. In Wirklichkeit entsteht eine Grauzone, in der man nichts Verbotenes tut, wohl aber Verdächtiges. Es wird Durchschnitts-Menschen geben, die sich von einem solchen System richtig beschützt fühlen. Und es wird Menschen geben, die wegen Abweichungen ständig Ärger bekommen. Das ist wie in einer Diktatur. Nein, das ist dann eine Diktatur!

  • G
    Gefangenname

    Als Arzt (Autoritätsargument) kenne ich drei Krankheiten:

    a) Krankheiten, die Krankheiten sind (Masern)

    b) Krankheiten, die Neuschöpfungen sind (Cholesterin)

    c) Krankheiten, die man vergessen hat (Myalgische Enzephalitis)

     

    die Leute sind also entweder krank, weil sie krank sind, weil man sie krank nennt und, obwohl man keinen Schimmer haben will, daß sie krank sind, weil sie sind es doch sind.

     

    Abgesehen davon, daß sich die Mining Methoden im Niemandsland der Nichtbeachtung (Typ 3 Krankheit) befinden und der Staat sich aus Gedankenlosigkeit zum Staatstäter macht, wäre ein solcher Hypothesengenerator ein sinnvolles Mittel gegen die Faktoren 'Borniertheit' und 'Befehlskonformes Nichtdenken', die so vielen Menschen hier das Leben gekostet hat.

     

    Wenn ich als Arzt im Team argumentativ nicht vorankomme, schicke ich ein paar Monovetten ins Labor und habe dann meine Evidenz.

     

    Die Dinge sind also nützlich, bedürfen aber der Aufsicht, denn die Hürde, die Polarkoordinaten an die terminierende Drohne zu leiten, ist keine technische. Und die ist ja auch ethisch OK aufgrund ihrer guten ROC Charakteristik.

     

    In konkreterer Form hätten wir also einen kleinen Empfänger, der uns eine fiese Trigeminusneuralgie verpaßt, wenn uns der große Computer anhören will.

     

    Und das ist auch ethisch korrekt, denn der Straftäter rennt freiwillig zur Polizeidienststelle und muß nicht mehr eingesammelt werden.

     

    ***Beam-me-up-scotty-there-is-no-intelligent-life-down-here***

  • RB
    Rainer B.

    Untersuchungen ergaben, dass in elektronischen Datenbanken zwischen 20 und 35% der gespeicherten Daten durch Eingabe- und Übertragungsfehler unzutreffend sind.

     

    Vor diesem Hintergrund birgt eine elektronische Rasterfahndung mehr Risiken als Nutzen. Das gern benutzte Argument, wer nichts zu verbergen hätte, bräuchte auch nichts zu befürchten, wird dadurch widerlegt - oder möchten Sie versehentlich als Terrorist an der Haustür erschossen werden?

  • I
    Interpretator

    Sorry, aber die Rasterfahndung führte doch in RAF-Zeiten zu Erfolgen. Was mich betrifft: Bitte mehr Rasterfahndung!

  • P
    pablo

    Die DDR hatte die Stasi wir die Polizei,VS etc. der einzige unterschied die Stasi hatte nicht die IT-Ausstattung der BRD heute. Da scheinen gut 40 Jahre DDR-Diktatur nicht spurlos an der einen oder dem anderen Politiker vorbeigegangen sein. Das sie aber ausgerechnet die schlechten Sachen der DDR wieder beleben ist doch mehr als fragwürdig. Da Fragt man sich doch glatt wo ist eigentlich der Freiheitskämpfer und Bundespräsident Gauck wenn man ihn mal wirklich braucht?

  • D
    D.J.

    Wie war das doch gleich? Die NSU-Verbrecher sind - neben Unfähigkeit - nicht zuletzt aufgrund mangelnden Datenabgleichs nicht entdeckt worden (scheint mir zumindet schlüssiger als die Verschwörungstheorien). Leider kann ich die Vertreter der Linkspartei wirklich nicht mehr für voll nehmen (O.K., mit einigen wenigen Ausnahmen).

  • B
    bempo

    Brazil, where hearts were entertaining June ...

     

    Das Ministerium für Informationswiederbeschaffung lässt grüßen!

  • N
    nunja

    oha, jetzt bin ich aber aufgeschreckt... ehrlich :-)

     

    Lässt es sich nicht einfach auf den Grundsatz reduzieren, dass alles, was möglich ist, auch ausgenutzt wird?

     

    Schöne neue Datenwelt halt... jeder zieht da seinen Nutzen raus.

     

    Ist das jetzt soooo eine neue "Welterkenntnis"?

     

    Ich meine "Nein". Bitte sei niemand überrascht deswegen...