Das Kanzleramt und die Schuldenbremse: Lob der Ehrlichkeit
Das Kanzleramt will die Schuldenbremse vorerst aussetzen. Das ist sympathisch. Doch es reicht nicht, sie zu modifizieren. Sie muss ganz weg.
E s ist ein Sturm im Wasserglas: Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) hat nur ausgesprochen, was alle wissen, als er jetzt feststellte, dass die Schuldenbremse in den nächsten Jahren nicht einzuhalten ist. Corona kostet bekanntlich Geld. Doch prompt warnte CSU-Chef Markus Söder, es wäre „ein falsches Signal“, die Schuldenbremse anzutasten, und FDP-Chef Christian Lindner witterte eine „finanzpolitische Kapitulation“.
Die Fakten sind jedoch unerbittlich: Selbst wenn die Pandemie bald vorbei sein sollte und sich die Konjunktur erholt, wird die deutsche Wirtschaftsleistung Ende 2021 deutlich niedriger liegen als Ende 2019. Die Staatsausgaben aber sind gestiegen – vom Kurzarbeitergeld bis zu den Impfungen.
Man muss also kein Genie sein, um zu erkennen, dass neue Schulden anfallen werden. Die eigentliche Frage ist nur noch, wie man diese Tatsache mit dem Grundgesetz vereinbart, das eine Schuldenbremse vorsieht. Helge Braun hat jetzt vorgeschlagen, genau hineinzuschreiben, wie die neuen Schulden jährlich „degressiv“ sinken sollen.
Das Kanzleramt will also Ehrlichkeit und Verbindlichkeit. Das ist sympathisch – aber zu wenig. Es reicht nicht, die Schuldenbremse zu modifizieren. Sie muss ganz weg. Aus mindestens zwei Gründen. Erstens: Fast alle BürgerInnen wollen sparen – und sei es, um fürs Alter vorzusorgen. Erfolgreiches Sparen ist aber nur möglich, wenn andere Kredite aufnehmen und investieren. Sonst verliert das Geld seinen Wert. So erstaunlich es klingen mag: Wenn die Staatsschulden sinken, wäre auch vom Finanzvermögen weniger übrig.
Zweitens: Deutschland will klimaneutral werden. Dies gelingt aber nur, wenn investiert wird, ob in Nahverkehr oder Wärmedämmung. Ohne staatliche Förderung wird das nichts.
Allerdings zeigen die hysterischen Reaktionen auf Brauns Vorstoß, dass die Schuldenbremse für viele Deutsche sakrosankt ist. Sie formal abzuschaffen, dürfte utopisch sein. Bleibt nur ein Ausweg: Der Staat könnte Schattenhaushalte schaffen, die so klingende Namen wie „Zukunftsfonds“ tragen, um die nötigen Investitionen zu finanzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen