Dancefloor-Ausstellung in Düsseldorf: Im grellen Schein des Putzlichts

„Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ im Düsseldorfer Kunstpalast zeigt elektronische Klassiker. Den innovativen Anteil von Frauen spart sie leider aus.

"The Oramics Machine" benannt nach der britischen Komponistin Daphne Oram

„In Search of Daphne: The Oramics Machine Revisited“ macht Komponistin Daphne Oram zum Objekt Foto: Peter Keene

Es gibt Clubs, die sind Clubs und Museen, die Museen sind. Während der pande­miebedingten Zwangspause des Nachtlebens richtete der Club Berghain in Berlin zwischenzeitlich eine Kunstausstellung aus – und derzeit versucht der Kunstpalast in Düsseldorf Clubatmosphäre zu verbreiten. „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ heißt die Ausstellung, die sich bereits ankündigt, während man noch auf den Einlass wartet.

Die knackigen Sounds und Bässe, die durch alle Museumsräume bis an die Eingangshalle pulsieren, sind die ersten Exponate dieser groß angelegten Auseinandersetzung, kuratiert vom französischen Autor Jean-Yves Leloup und Alain Bieber (NRW-Forum), mit der nahezu 100-jährigen Geschichte von elektronischer Musik.

So begrüßen wechselweise Tracks solcher Veteranen wie Jeff Mills, Aphex Twin und Daft Punk die Besucher*innen, heißen sie willkommen und können dank passabler Soundanlage durchaus die Illusion von durchtanzten Nächten erzeugen. Verantwortlich für die elf DJ-Mixe ist der Pariser DJ-Star und Technopionier Laurent Garnier.

Ideengeschichte von Clubkultur

Erzählerisch und sinnlich zugleich mixt er kleine Erzählungen zusammen, die Einblicke in Phasen und Ideengeschichten der Clubkultur („French Mix“, „Futuristic Techno“) gewähren. Alles ist hier sehr präsent aufgefächert, so weit, so gut. Die tanztauglichen 120 Anschläge pro Minute versprechen ein kurzweiliges Vergnügen, übervorteilen dennoch nicht die weiteren Artefakte.

„Electro. Von Kraftwerk bis Techno“: Zu sehen im Kunstpalast Düsseldorf, bis 15. Mai 2022, Eintritt frei für Menschen unter 18

Das erste Kapitel ist derweil den Maschinen gewidmet; den digitalen und elektrischen Verlängerungen von Produzent*innen. Gegenstände aus dem legendären „Studio für elektronische Musik“ des WDR, in dem Karlheinz Stockhausen, Péter Eötvös und Mauricio Kagel einst werkelten, sind genauso zu begutachten wie Drum Machines, Synthesizer und ähnlich moderne Konsorten. Genauso wenig fehlen Merkwürdigkeiten aus den Anfangstagen der elektrischen Musikerzeugung – unter ihnen ist das berührungslos-spielbare Theremin, bis heute das bekannteste.

Erwartungsgemäß geht es nach dieser Einführung bereits über zu den Düsseldorfer Lokalhelden und Säulenheiligen (so werden sie hier auch inszeniert) von Kraftwerk, denen ein besonders großer Ausstellungsraum zugestanden wird. Mit 3D-Brille schaut man durch die Geschichte dieser legendären Roboterband und hört: Der eigens eingerichtete White Cube bietet genügend Platz und je nach Standort einen formidablen Sound.

Freiheit für Freaks

Interessanter wird es im nächsten Abschnitt: Fotografien, Grafiken, Flyer und Ankündigungen, Videos und Geschichten aus den Achtzigern erinnern an eine Zeit, als die Szene der elektronischen Tanzmusik noch von Idealen wie Liebe, Freiheit und Offenheit konstituiert wurde. Außenseiter treffen hier auf Hippies, Freaks auf jugendliche Devianz – es wird historisch-korrekt betont, wie wichtig elektronische Tanzmusik seit jeher für verfolgte Communitys (Afro-Amerikaner*innen, Latinx, LGBTQI* und weitere) ist.

Bei den Schwarz-Weiß-Dokumentarfotografien aus dem New Yorker Underground-Club Paradise Garage der 1980er kommen sentimentale Gefühle auf. Dort grüßen Urväter der modernen Club-DJs wie Frankie Knuckles und Larry Levan so locker aus den Schnappschüssen, das man sich sofort in nächtliche Tanzlustbarkeiten wünscht. Das Gleiche gilt für die Silhouetten, die Jacob Khrist einfängt: fragmentierte Körper, die aus dem Dunkeln ins Licht treten.

Was auffällt, hier wie in der gesamten Ausstellung: Künstlerinnen sucht man bis auf einzelne Ausnahmen vergeblich. Hier ein Foto der Berlinerin DJ Ellen Allien, da mal eines ihrer russischen Kollegin Nina Kraviz – es sind leider nur Sprenkel in einer groß angelegten, internationalen Zusammenstellung, die sonst eher selten kleckert. Eventuellen Einwürfen, dass es eben weniger Frauen an den DJ-Pulten und in den Studios gegeben habe, kann man vorweg begegnen.

Wiederholung von Falschannahme

Die Reproduktion dieser Falschannahme macht sie dennoch nicht zum Fakt. Wie etwa der Dokumentarfilm „Sisters with Transistors“ von Lisa Rovner, derzeit beim deutsch-französischen Sender Arte in der Mediathek zu sehen, beweist, gab es immer Elektronik-Komponistinnen und -Produzentinnen – man muss nur am Kanon vorbeischauen und nach ihnen gegebenenfalls suchen. Sich dieser kuratorischen Leerstelle bewusst, packt man einen Artikel in den dünnen Katalog zu weiblichen DJs, Komponistinnen und Produzentinnen.

Während man in Paris, wo die Ausstellung zuerst lief, auf „French House“ und Daft Punk baute, begnügt man sich in Düsseldorf hingegen mit der Erzählung von Kraftwerk als „Ursuppe“ der elektronischen Tanzmusik und zeigt dazu Fotografien des Düsseldorfer Fotografen Andreas Gursky. Dessen monumentalen Aufnahmen von Mammutveranstaltungen wie Loveparade und von Großraumclubs wird ein eigener Raum und viel zu viel Platz gewidmet.

Statt Universalismus beschränkt man sich auf die provinzielle historische Bestandswahrung: Wir hier am Rhein haben unseren Anteil am Erfolg von elektronischer Musik. Und ja, dies sei Düsseldorf sicher unbenommen, der Ausstellung tut dies derweil keinen Gefallen. Sie fällt nach einiger Zeit fast in sich zusammen, wird kleiner, arbeitet sich im Miniaturformat weiter – bis in die Zukunft, wo künstliche Intelligenz und Cyborgs warten.

Ein wohlsortierter Blick in die unmittelbare Gegenwart wäre viel ertragreicher gewesen: Die weltweite Pandemie hat Clubs lahmgelegt – genauso wie die hier sonst so präsenten Praktiken der gesellschaftlich Ausgeschlossenen. Was macht das mit Communitys, wenn man ihnen Räume und Musik nimmt? Welche Alternativen gibt es? Und welche Schlüsse ziehen wir daraus? Versteckt im sogenannten Bonus-Track, einem 20-Meter-Korridor in der Galerie über der Ausstellungsfläche, werden Fotografien der Künstler André Giesemann und Daniel Schulz gezeigt.

Ihre Motive: verlassene, leere Club-Räume im grellen Schein des Putzlichts. Ein herzzerreißender Anblick für die „Freund*innen der Nacht“.

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