DR Kongo begeht 65 Jahre Unabhängigkeit: Nationalfeiertag ohne Feierlaune in einem geteilten Land
Der 30. Juni steht dieses Jahr in der DR Kongo im Zeichen von Krieg und Teilung. Ein Friedensschluss mit Ruanda weckt Hoffnungen – aber nicht überall.

Mit Diplomatie statt mit Waffen bezwingen wir den Feind, das ist die Aussage. Erstmals seit fast einem Vierteljahrhundert wird dieses Jahr der 30. Juni wieder in einem geteilten Land begangen – mit den ostkongolesischen Provinzhauptstädten Goma und Bukavu in den Händen der von Ruanda unterstützten Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März), stärkste Kraft der Rebellenkoalition AFC (Allianz des Kongo-Flusses), die gegen Tshisekedi kämpft.
Nun hat ein Friedensschluss zwischen der DR Kongo und Ruanda Hoffnungen genährt. „Heute leiten wir das Ende der Gewalt und Zerstörung ein“, erklärte US-Präsident Donald Trump feierlich im Weißen Haus, nachdem Kongos Außenministerin Thérèse Kayikwamba Wagner und ihr ruandischer Amtskollege Olivier Nduhungirehe am Freitag das Friedensabkommen unterzeichneten.
Bis zuletzt stand nicht fest, ob es tatsächlich klappt. Aber Tshisekedi hat viel Energie in die Annäherung an Trump gesteckt. Kongos Regierung lockte den US-Präsidenten mit gigantischen Mineralienvorkommen, vor allem Kobalt und Kupfer in der Südregion Katanga und strategischen Mineralien wie Lithium und Tantalum.
Ähnlich wie beim Mineraliendeal zwischen der USA und der Ukraine sollen wirtschaftliche Interessen den USA einen Grund liefern, der DR Kongo gegen den „Aggressor“ zu helfen – also Ruanda, das seit nahezu 30 Jahren wechselnde Rebellengruppen im Ostkongo unterstützt.
„Bald wird der 30-jährige Krieg Geschichte sein, dank Ihrer meisterlichen Diplomatie“, wie es die Jubelplakate in Kinshasa ausdrücken. Das Abkommen sieht vor, dass in den nächsten drei Monaten beide Seiten vereinbarte Schritte in die Wege leiten müssen.
Die Demokratische Republik Kongo ist mit rund 110 Millionen Einwohnern eines der ärmsten Länder der Welt, mit einer der derzeit größten Flüchtlings- und Hungerkrisen. Das einstige Belgisch-Kongo erlitt eine besonders brutale belgische Kolonialherrschaft, bei der die einheimische Bevölkerung völlig rechtlos und zu Zwangsarbeit zur Ausbeutung der fantastischen natürlichen Reichtümer des Landes verpflichtet war. Die Hälfte der Bevölkerung überlebte das nicht.
Am 30. Juni 1960 wurde Kongo von Belgien in eine völlig unvorbereitete Unabhängigkeit entlassen. Kongos führender Unabhängigkeitskämpfer Patrice Lumumba, zunächst Regierungschef, wurde in den darauffolgenden Wirren verhaftet und von Belgien ermordet. Das Land hat sich davon nicht erholt und seit 1996 mehrere Kriege erlebt, deren Folgen mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet haben.
Konkret soll Kongos Regierung aufhören, die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zu beherbergen und zu unterstützen – die Nachfolgeorganisation der Armee, die in Ruanda 1994 den Völkermord an den Tutsi beging und dann nach Kongo floh.
Die FDLR wurde im Krieg gegen die M23 in Kongos Armee integriert. Heute besteht die Miliz zwar nur noch aus wenigen hundert, meist jungen, Kämpfern. Doch ihre Führungsriege predigt ihnen bis heute, dass alle Tutsi ausgelöscht werden müssen. Für Ruanda und dessen Tutsi-Präsident Paul Kagame ist dies ein Sicherheitsrisiko und ein Grund, die Tutsi-geführte M23 zu unterstützen.
Sobald die FDLR „neutralisiert“ ist, soll Ruanda seine „Verteidigungsmaßnahmen“, wie es heißt, „lockern“. Gemeint ist, die ruandischen Truppen aus Ostkongo zurückzuziehen. Ruandas Armee hatte 4.000 bis 5.000 Soldaten über die Grenzen entsandt, um die M23-Rebellen militärisch zu unterstützen. Seit die M23 Goma und Bukavu erobert hat, hat Ruanda die meisten abgezogen.
Ruandas Armee hat auch mit der M23 einige FDLR-Führer verhaftet oder getötet. Jetzt soll das in koordinierten Operationen weitergehen, überwacht von Militärs, Diplomaten und Geheimdienstlern beider Länder. Laut dem Operationsplan soll die FDLR-Führungsriege – eine Handvoll älterer Generäle – „neutralisiert“ werden. Im Anschluss können die jungen FDLR-Kämpfer entwaffnet und nach Ruanda gebracht werden.
Die M23 als Gewinner des Friedensabkommens
Doch Frieden zwischen Kongo und Ruanda ist etwas anderes als Frieden zwischen Kongos Regierung und Kongos Rebellen. Von deren „Entwaffnung“ oder „Zerschlagung“ ist im Abkommen nicht die Rede. Es wird auf die Verhandlungen zwischen der M23 und Kongos Regierung verwiesen, die seit Monaten in Katars Hauptstadt Doha laufen.
Diese Gespräche „pausieren“ derzeit, so M23-Präsident Bertrand Bisimwa zur taz, „um die Dinge neu zu ordnen.“ Und am Tag der Zeremonie in Washington meldet sich Rebellensprecher Lawrence Kanyuka mit einer Videobotschaft: „Wir sind immer noch hier und wir gehen nirgendwo hin“, lacht er.
Gewinner des Washingtoner Abkommens sind ganz offensichtlich die M23. Kongolesische Nationalisten, die die M23 für eine terroristische Marionette Ruandas halten, lehnen den Deal daher vehement ab. Denis Mukwege, der in die Politik gewechselte Frauenarzt und Friedensnobelpreisträger, schäumt in einer Erklärung, mit dem Abkommen habe „das Kinshasa-Regime seine Souveränität den Aggressoren überlassen und die Besatzung legitimiert“.
Die Rebellen militärisch zu besiegen, übersteigt jedoch die Kapazitäten von Kongos Regierung. Es ist dem Zivilisten Tshisekedi seit seinem Amtsantritt 2019 nicht gelungen, Kongos Armee in den Griff zu bekommen und schlagkräftig zu gestalten, trotz aller Militärhilfe, die er für viel Geld im Ausland eingekauft hat.
Umgekehrt sind die Rebellen politisch zu schwach, um einen Sieg davonzutragen. Noch im Februar hatte die M23 großspurig getönt, den 30. Juni werde man in Kinshasa feiern. Aber es ist den Rebellen nicht gelungen, eine politische Dynamik hinter sich zu versammeln.
Stattdessen richten sie sich in den eroberten Gebieten Ostkongos als Staat im Staate ein. „Wir nehmen nun die staatlichen Angelegenheiten selbst in die Hand“, erklärt M23-Präsident Bertrand Bisimwa der taz. „Wir lösen nun alle Probleme selbst.“
Rebellen: Willkür und Propaganda
Auf von der AFC/M23 verbreiteten Aufnahmen ist zu sehen, wie M23-Generalstabschef Sultani Makenga mit Schutzhelm und schusssicherer Weste durch den knöcheltiefen Matsch stapft, den langen Spazierstock in der linken Hand, umringt von Leibwächtern. Hinter ihm stehen gewaltige Baumaschinen. Sie reparieren die Straße von Goma nach Bukavu entlang des Kivu-Sees, die Fluten und Erdrutsche weggespült hatten. „Es ist ein kleines Paradies“, sagt der M23-Kameramann, während er über die fruchtbaren Hügel und den gewaltigen See schwenkt. Man zeige allen Kongolesen, dass die Rebellen „das Leben der Bevölkerung verbessern“.
Dafür zieht die M23 von der Bevölkerung Steuern ein, gibt Bisimwa zu. Doch im Vergleich zur Regierung würden sich die Rebellen daran nicht bereichern: „Wir nutzen diese Steuereinnahmen, um staatliche Dienstleistungen zu sanieren und für alle zugänglich zu machen.“
Die Bevölkerung der Mini-Republik sieht das zuweilen anders. „Bewaffnete Kämpfern treiben willkürlich Steuern ein und es gibt keine Meinungsfreiheit“, klagt ein Menschenrechtsanwalt aus Goma, der aus Sicherheitsgründen nicht mit Namen genannt werden kann. Er drückt sich vorsichtig aus. „Es gibt fast jede Nacht Schießereien und Raubüberfälle“, so der Anwalt.
Seit der Eroberung durch die Rebellen gibt es keine Polizei oder Justiz, die Regierung hat sämtliche Gehaltszahlungen für Staatsbedienstete gekappt, die Banken bleiben geschlossen. Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre. Wer sich dennoch in Goma herumschleicht, wird in ein Militärlager gebracht. Es gibt Berichte über Zwangsrekrutierung, Folter und Tötungen. M23-Chef Bisimwa erklärt die nächtliche Unsicherheit mit „Infiltration“ von Banditen im Sold der Regierung.
Regierung: Paranoia und politisches Hickhack
Umgekehrt vergeht im Regierungsgebiet Ostkongos kaum ein Tag ohne Berichte über Übergriffe von Regierungssoldaten oder Milizionären gegen die Zivilbevölkerung. Das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen durch alle Seiten sei „horrend“, erklärte Mitte Juni UN-Menschenrechtskomissar Volker Türk in Genf.
Am 24. Juni wurde in Kisangani, Ostkongos größter Stadt unter Regierungskontrolle, der bekannte Journalist Serge Sindani festgenommen, weil er ein Selfie vor drei Kampfjets der Luftwaffe veröffentlicht hatte. „Kisangani ist ruhig und unter Kontrolle mit unseren Sukhoi-Kampfjets! Schönen Sonntag“, hatte er dazu geschrieben. In der kongolesischen Paranoia kann das suggerieren, es gäbe Grund, daran zu zweifeln.
Furcht, vom „Feind“ infiltriert zu sein, hat auch in Kinshasa Hochkonjunktur. Monatelang wurden Kongos Kirchen des Landesverrats bezichtigt, weil sie Dialog mit den Rebellen forderten und dafür auch nach Ruanda gereist waren. Erst als Kongos Präsident Tshisekedi selbst die Kirchenführer empfing, legte sich diese Diskussion. Kongos Bischöfe rühmen sich nun, die Regierung von der Notwendigkeit eines Dialogs überzeugt zu haben. Aber offensichtlich meint jeder darunter etwas anderes.
So forderten Kongos wichtigste Oppositionsführer, darunter Expräsident Joseph Kabila und die beiden unterlegenen Oppositionskandidaten bei den Wahlen von 2018 und 2023, Martin Fayulu und Moise Katumbi, in einer gemeinsamen Erklärung am 30. April einen „nationalen Dialog“ unter Einschluss der politischen Opposition, der Zivilgesellschaft und der „bewaffneten Opposition“ – also mit den Rebellen.
Zuvor hatte das Präsidentenlager allerdings die Bildung einer „Regierung der Nationalen Einheit“ angekündigt, damit das Land „geeint gegen den Feind“ steht – also gegen die Rebellen. Die Oppositionsführer boykottierten die Sondierungsgespräche. Tshisekedi sei Teil des Problems und könne nicht Teil der Lösung sein, hieß es aus Katumbis Umfeld.
Expräsident Kabila reiste Ende Mai zu den Rebellen, nachdem die Behörden in Kinshasa seine Immunität aufgehoben, sein Vermögen konfisziert und Haftbefehl gegen ihn erlassen hatten. In Goma führt Kabilas ehemaliger Wahlkommissionschef Corneille Nangaa heute den Rebellendachverband AFC.
Im M23-Gebiet wird Kabila, der als Präsident selbst Krieg gegen die M23 führte, nun von bewaffneten M23-Kämpfern geschützt. In seiner privaten Residenz in Bukavu empfing er in den vergangenen Tage religiöse Führer, Jugend- und Frauenorganisationen. „Er hat sehr viel Kompetenz und Erfahrung“, so die Frauenvertreterin Solange Lwashiga: „Wir haben ihn aufgefordert, einen Weg zu suchen, Frieden zu schaffen – wir benötigen zunächst einen Waffenstillstand.“
Viele Oppositionelle erhoffen sich vom Abkommen von Washington nun einen neuen Impuls in Richtung Dialog. Oppositionsführer Moise Katumbi lobt den Deal in höchsten Tönen. „Endlich ein Hoffnungsschimmer“, schrieb er am Sonntag: „Ab jetzt gibt es keine Ausrede mehr, die Grundbedürfnisse der Kongolesen nicht zu erfüllen: Arbeit, Nahrung, Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Wasser und Strom, Straßen.“
Kann also der 30. Juni unter dem Zeichen des Friedens begangen werden? Üblicherweise hält Kongos Präsident am 30. Juni eine Rede an die Nation und es gibt eine Militärparade. Diesmal gibt es am Vorabend Berichte von militärischen Scharmützeln an den Frontlinien im Osten.
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