DGB-Forderungen zum 1. Mai: Auf wackligen Beinen
Die 1.Mai-Forderung nach Lohnerhöhung ist völlig nachvollziehbar. Nur: Ein Aufschlag könnte die Inflation zusätzlich anheizen.

V iele Unternehmen jammern schon: Nach Corona, Lieferengpässen und Energiekostenexplosion jetzt auch noch üppige Lohnforderungen? Dann drohten Insolvenzen ohne Ende – und damit Jobverluste und Arbeitslose vor allem im Mittelstand. Die aktuelle Tarifrunde läuft – und die Forderung der IG Metall nach 8,2 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten in der Stahlindustrie in Nordwest- und Ostdeutschland zeigt, wie sich die Gewerkschaften dabei aufstellen dürften.
Inflationsausgleich, Beteiligung der ArbeitnehmerInnen an Produktionsgewinnen und eine gerechtere Verteilung forderte der scheidende DGB-Chef Reiner Hoffmann auch dieses Jahr wieder bei den Kundgebungen am 1. Mai. Eigentlich völlig richtig. Denn im April lag die Inflationsrate bei krassen 7,4 Prozent. Allein Energie kostete über ein Drittel mehr als vor einem Jahr. Dies belastet vor allem Geringverdiener und sozial Benachteiligte. Und: Viele Firmen fuhren zuletzt Riesengewinne ein.
Der Krieg in der Ukraine und auch Corona sind allerdings zwei Variablen, die in der Rechnung der Gewerkschaften nicht auftauchen. Bei einem Stopp der Lieferungen von Öl und Gas, auf den der Westen nicht eingestellt ist und der deshalb die Energiemärkte schockt, drohen weitere Verteuerungen, die noch höher als die bisherigen liegen könnten. Weiteres Ungemach könnten die rigiden Maßnahmen gegen Corona in China einbringen.
Vor dem weltgrößten Containerhafen in Shanghai stauen sich gerade Tausende Schiffe, weitere Lockdowns im Land sind in Sicht. Das heißt: Europa steht vor riesigen Lieferkettenproblemen, die weiter die Inflation anheizen dürften. Ergo: Natürlich gilt der alte Slogan weiter „Lohnverzicht bringt es nicht“. Aber: Die Lage der hiesigen Konjunktur ist derzeit sehr wackelig.
In diesen Wochen einen saftigen Aufschlag zu erstreiten ist zwar grundsätzlich richtig, wird möglicherweise aber die Inflation weiter fatal anheizen. Zum Modell könnten Lösungen wie jüngst ein Abschluss der IG BCE werden: Sie vereinbarte eine Einmalzahlung mit den Arbeitgebern – und vertagte die Tarifverhandlungen auf Oktober.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel