DDR-Radsportikone wird 90: Gratulanten nicht erwünscht
Für die einen Sportskanone, für die anderen Betonkopf: Gustav Adolf „Täve“ Schur, Weltmeister und Olympiazweiter auf dem Velo, wird 90.
Gustav Adolf Schur, Spitzname Täve, wird am Dienstag 90. Nur im kleinen Kreis will der DDR-Radsportheld feiern, hat er einer Nachrichtenagentur verraten. Vor seinem Haus möchte der Olympiazweite und Weltmeister ein Schild anbringen, mit dem er Gratulanten abhalten will, sein Häuschen im sachsen-anhaltischen Heyrothsberge zu betreten. Täve ist Risikogruppe, und für viele Menschen, die kritisch zum Gesellschaftsentwurf standen, der sich „Diktatur des Proletariats“ nannte, war er das schon immer.
Schur gehörte zu den wohl größten Verklärern und Schönrednern eines staatlichen Leistungssportsystems, das vor üblen Machenschaften nicht zurückschreckte: Doping an Minderjährigen, die Vergabe von vermännlichenden Substanzen an Sportlerinnen, politische Repression und brutale Relegation von Athleten, die sich nicht auf die ideologischen Prämissen einschwören lassen wollten sowie Missbrauch eines Anti-Doping-Labors zur Manipulation markierten die Schattenseite der gelenkten Erfolge.
Ansichten eines Systemsportlers
Schur, der sich in den 90ern wieder in die nostalgietriefenden Fänge der PDS begab, für diese Partei als durchaus beliebtes DDR-Sportmaskottchen im Bundestag saß und seine zum Teil geschichtsklitternden Interviews vorzugsweise dem Neuen Deutschland oder der jungen Welt gab, behauptete noch 2017: „Der DDR-Sport war nicht kriminell, sondern vorzüglich aufgebaut. Der Aufbau der sportlichen Gesundheit der Bevölkerung aus den Kindergärten heraus über den Schulsport bis hin zu den Leistungssporteinrichtungen war einmalig.“ Den DDR-Sport als kriminell zu bezeichnen sei „völliger Quatsch“.
Von den betagten Damen und Herren der ehemaligen Nomenklatura in Berlin-Lichtenberg bekam er dafür viel Beifall; endlich ist da jemand, der sich seine DDR nicht schlecht reden lässt von Wessis und Defätisten; der standhaft bleibt. Diese zweifelhafte Geradlinigkeit des Systemsportlers Schur – andere würden sagen: seine stupende Halsstarrigkeit – reichte dem Deutschen Olympischen Sportbund und der Deutschen Sporthilfe dann vor einigen Jahren sogar, um ihn für den Einzug in die Hall of Fame des deutschen Sports zu nominieren.
Daraus wurde freilich nichts. Der Widerspruch war zu laut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften