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Cybersicherheitsexperte zu Taurus-Leak„Einen Keil in die Nato treiben“

Zur Diskreditierung Deutschlands sei Russland jedes Mittel recht, sagt Matthias Schulze. Und erklärt, was passieren muss, um solche Leaks künftig zu verhindern.

Perfekt inszeniert: Putin in einem Interview beim russischen Staatssender Russia Today Foto: Itar-TassF
Tanja Tricarico
Interview von Tanja Tricarico

taz: Russland veröffentlichte ein Gespräch deutscher Bundeswehrspitzen, die sich über den umstrittenen Einsatz des Marschflugkörpers Taurus in der Ukraine unterhielten. Was bezweckt der russische Präsident Wladimir Putin mit diesem Leak?

Im Interview: Matthias Schulze

leitet den Forschungsschwerpunkt „Internationale Cybersicherheit“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Matthias Schulze: Den russischen Geheimdiensten muss der Gewinn des Leaks höher erschienen sein als die Kosten, die damit verbunden sind, nämlich dass man möglicherweise einen nachrichtendienstlichen Zugang verliert. Jetzt gibt es verschiedene Interpretationen: Ziel Nummer eins ist, dass Russland die Lieferung der Taurus-Rakete verhindert. Der zweite Punkt ist, Deutschland nach außen hin zu diskreditieren. Dies ist im Kontext der Diskussionen der letzten Woche um den Einsatz von Bodentruppen zu sehen, die der französische Präsident Emmanuel Macron angestoßen hat und in der der deutsche Kanzler Olaf Scholz gleich zurückgerudert ist, und auch in der Diskussion darüber, ob es britisches oder französisches Personal in der Ukraine gibt, was die Briten verneint haben. All dies hat eine ganze Menge diplomatischer Verstimmung in der letzten Woche produziert zwischen Berlin, London und Paris.

Also ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Taurus-Leaks genau geplant?

Das Gespräch der Bundeswehr hat scheinbar am 19. Februar stattgefunden. Das Leak fand jetzt am Freitag statt, also zwei Wochen später. In der Zeit wurde das Material von den Diensten ausgewertet. Und dann wurde das Ganze an Medienkanäle kommuniziert. Das ist eine orchestrierte Informationskampagne. Alle Welt redet darüber, das ist der Effekt.

Ist Deutschland ein besonderes Ziel russischer Spionage?

Wir sind natürlich wichtig, weil wir einen Großteil der Waffen an die Ukraine liefern. Und wir haben in diesem Jahr Landtagswahlen und das Europäische Parlament wird neu gewählt. Zudem gibt es den innerrussischen Diskurs, dass wir auch Kriegspartei wären, beziehungsweise Russland mit dem Westen im Krieg ist. All dies macht uns interessant.

Wie funktioniert eine solche Kampagne?

Der russische Terminus technicus ist Informationskrieg und dazu sind alle Mittel von Interesse: soziale Medien, traditionelle Medienpropaganda, Hacks, aber auch Spionage – in diesem Fall geht es darum, dass der Taurus verhindert wird. Das Playbook, nach dem das abläuft, ist aber nicht neu. Wir haben dies bei den US-Wahlen 2016 und bei den Wahlen in Frankreich 2017 schon gesehen.

Über zwei Jahre läuft der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Werden Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe nach wie vor unterschätzt?

Von den Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten sicher nicht. Es gibt verschiedene Taskforces und Lagebilder, um sich entsprechend vorzubereiten. Ohnehin überrascht im Kriegskontext so ein Vor­gehen aber nicht.

Dennoch: Sind Bundeswehr und Geheimdienste schlichtweg schlecht vorbereitet auf solche digitalen Angriffe?

Laut Medienberichten hat sich jemand in den WebEx-Call eingewählt. Wenn das stimmen sollte, hätte das bemerkt werden können. Es kann aber auch sein, dass jemand im Nachbarzimmer des Hotels sich in das WLAN eingewählt hat und mitgehört hat oder ein Endgerät gehackt wurde. Verschiedene Varianten sind möglich, daher müssen wir abwarten, was die Untersuchung ergibt.

Wen sehen Sie in der Verantwortung?

Sicherheit ist eine vielschichtige Aufgabe. Es gibt Richtlinien, wie militärische Kommunikation abgesichert werden muss. Da sind die Behörden gefragt.

Die Union fordert bereits einen Untersuchungsausschuss zu den Taurus-Leaks. Spielt die Union damit Putins Spiel?

Es ist natürlich die Rolle der Opposition, einen Untersuchungsausschuss zu fordern, aber russische Informationsoperationen nutzen gezielt solche Mechanismen westlicher Demokratien aus. Denn damit kann das Vertrauen in die Regierung beschädigt werden.

Wie groß ist der außenpolitische Schaden aus Ihrer Sicht?

Noch ist das schwer zu sagen. Die Bundesregierung sollte sich aber jetzt um Schadensbegrenzung bemühen und versuchen, sich gut mit den europäischen Partnerstaaten zu koordinieren.

Das Taurus-Leak kam zur Unzeit, in einer Woche, in der der Kanzler Informationen, zum Beispiel zum Einsatz der britischen Storm-Shadow-Marschflugkörper in der Ukraine, ausplauderte. Der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace übt scharfe Kritik an Kanzler Scholz und bezeichnet ihn bei Sicherheits­fragen als falschen Mann im falschen Job. Berechtigt?

Die Diskreditierung Deutschlands ist Teil des russischen Playbooks. Es geht darum, einen Keil in die Nato zu treiben. Und dazu ist jedes Mittel recht, wenn es nicht dieser Fall ist, dann wird es der nächste.

Welche Forderungen haben Sie ganz konkret an die politisch Verantwortlichen zum verbesserten Schutz der digitalen Sicherheitsarchitektur?

Man muss Personal schulen und einfach nutzbare und zugleich sichere Technologien bereitstellen. Aber es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass es nicht mehr zu solchen Fällen kommt. Zum anderen braucht es gute, proaktive ­Krisenkommunikations-Teams, um solche Fälle zu entlarven und Desinformationskampagnen nicht auf den Leim zu gehen. Das hat in anderen Ländern Schaden begrenzen können.

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15 Kommentare

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  • Das Russland für den Cyberkrieg besser gerüstet ist, ist auch schon seit über 15 Jahren bekannt. Jetzt wird man sich des Informationskrieges bewusst. Guten Morgen Deutschland

  • Irgenwann können wir nicht nur aus Angst vor einem Krieg angstvoll uns hinterm Ofen verkriechen. Wenn der Putin Krieg möchte gegen Europa und NAto wird er das machen. Er macht es aber nur aus der Position der Stärke heraus. Und das fehlen uns entschlossene Politiker, die Grenzen aufzeigen und auch ans Limit gehen, Waffen, Flugzeuge und zur Not aus Soldaten schicken. Wir haben permanent Schiss vor Russland.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Original Pistorius aktuell zum Gesprächsleak:

    ""Nicht alle Teilnehmer hätten sich an das sichere Einwahlverfahren gehalten.

    Zu dem "Datenabfluss" sei es gekommen, weil der Konferen-zteilnehmer in Singapur über eine nicht geschlossene Verbindung eingewählt gewesen sei. ""!

    ""Die Kommunikationssysteme des Verteidigungsministeriums seien nicht kompromittiert worden, sagte Pistorius. Man verwende für gewisse Gespräche bis zu einer gewissen Sicherheitsstufe WebEx, allerdings nicht die öffentlich zugängliche Variante, sondern eine mit zusätzlichen Sicherheitsstufen.""

    ===

    2.. Das Kompromat ist ein ursprünglich aus dem Jargon des sowjetischen Geheimdienstes KGB stammender Begriff für kompromittierendes Material, meist über einen Politiker oder eine andere Person des öffentlichen Lebens.

    Solches Material wird verwendet, um unliebsame Personen zu diskreditieren - in dem vorliegenden Fall des Taurus Gesprächsleaks richtet sich das Komprimat gegen den deutschen Bundeskanzler und gegen die Unterstützung der Ukraine durch die Bundesrepublik.

    Kompromat hat in Russland eine lange Tradition. Schon in der Sowjetunion sammelten Geheimdienste Dossiers sowohl über Regimekritiker als auch untreue Beamte. Das Geschäft mit kompromittierenden Dokumenten blühte aber erst richtig in den 90er-Jahren auf.

    ==

    3..Wie blöd muß jemand sein den Spaltungswunsch Putins von westlichen Gesellschaften noch weiter zu befeuern - trotzdem es sich um eine seit Jahrzehnten benutzte und bekannte Diskreditierungsmethode russischer Geheimdienste handelt?

  • Vielleicht sollten Generäle nochmal die Geheimhaltungsregeln aus der Rekrutenausbildung wiederholen.

    - Einordnung des Nachrichtenverkehrs in eine Geheimhaltungsstufe (offen, nur für den Dienstgebrauch, vertraulich, geheim, streng geheim)

    - je nach Geheimhaltungsstufe müssen unterschiedliche Maßnahmen getroffen werden

    - unverschlüsselte Kommunikation wie WebEx übers Internet taugt nur für die Stufe offen

    - schon für "Nur für den Dienstgebrauch" wird ein abgeschlossenes Netz, sprich Intranet (z.B. über VPN) benötigt



    ....

  • Ich bin für die Info an Russland, das die ihren Terrorakt gegen die Ukraine sofort einstellen sollen, ansonsten wird Taurus an die Ukraine als Notwehrmunition geliefert.



    Nur Russland zerstört zivile Ziele, ist das den „Verhandlungsfans“ eigentlich bewußt?

    • @Tino Winkler:

      Diese Drohung würde dann helfen, wenn Taurus kriegsentscheidend wäre - was aber nicht der Fall ist (das können Sie sogar dem abgehörten Gespräch entnehmen); den "Verhandlungsfans" ist möglicherweise auch bewusst, das noch viel mehr zerstört wird, wenn man diesen Konflikt weiter eskalieren lässt, statt endlich nach einer diplomatischen Lösung zu suchen.

      • @O.F.:

        Offenbar fürchten die Russen eine Taurus-Lieferung aber doch. Wozu sonst diese Aktion?

      • @O.F.:

        Wie wichtig die Taurus sind, sehen Sie an der nervösen Reaktion der Russen.

    • @Tino Winkler:

      Danke - vollkommen d'accord. Zumal die Taurus das sind, was Russland wirklich fürchtet. Wäre also der richtige Weg.

  • Das Vertrauen in die Regierung hierzulande ist doch schon nachhaltig erschüttert - und zwar durch innenpolitische Entwicklungen und die Schwäche der Ampelkoalition -, dazu bedurfte es des russischen Geheimdienst-Leaks nicht.



    Und weil Schulze den US-Wahlkampf 2016 anspricht, bringt mich das auf einen entscheidenden Punkt in der Diskussion über den Schaden, den der russische Cyberkrieg bei uns anrichtet: was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Ist unsere Demokratie aus sich heraus stark genug, sich der russischen Angriffe zu erwehren?



    Wenn man den Wahlsieg Trumps 2016 betrachtet, wird dann der Einfluss der Wühlarbeit Putin nicht überbewertet, sind es nicht in erster Linie „selbstgemachte“ gesellschaftliche Schieflagen in den USA selbst, die Trump seinerzeit zur Macht verholfen haben (und es bald möglicherweise wieder tun)?



    Und Putin nutzt diese Schwächen und Inkonsistenzen westlicher Demokratien nur aus. Wäre es anders, hätte er möglicherweise keine Chance, hier einen Punkt zu landen. Das er es trotzdem kann, zeigt die öffentlich-mediale Debatte über den Vorgang.



    Und die Unionsopposition macht sich mit ihrer aufgeregten Skandalisierungs-Strategie noch zum Erfüllungsgehilfen Moskaus. Besser kann man nicht in Putins Falle laufen.

  • Foren wie die taz-Kommune bekommen regen Auftrieb:



    Die kontroversen Diskussionen schaffen hier mehr Transparenz zum Thema und adressieren sicherlich die Öffentlichkeit in der Zivilgesellschaft als Mit-Akteur im Diskurs, das ist nicht undemokratisch, ganz im Gegenteil.



    Suspekt sind den Unbeteiligten, aber betroffenen MitbürgerInnen hoffentlich eher geheime Absprachen oder nicht protokollierte Treffen, die viele Interpretationsspielräume und Spekulationen ermöglichen.



    Die Fakten waren ja bekannt, die Unterstützung von Technologie mit Eskalationspotenzial sollte einem Konsens folgen, nicht nur mit Joe Biden.



    Die Staatsräson ist hier ein Minenfeld geworden, eine Abstimmung im Bündnis und insbesondere mit den Briten und Franzosen könnte die Last von Entscheidungen vielleicht adäquat verteilen.



    "Divide et impera", das sollte Putin nicht gelingen.



    /



    02.08.23 Pascal Beucker in der taz:



    "Nur: Auch Marschflugkörper sind keine Wunderwaffen – sonst hätte übrigens Putin längst gewonnen, der sie von Anfang an in diesem Krieg einsetzt. Die Vorstellung, sie seien der „Gamechanger“, der der mehr als schleppenden Gegenoffensive der Ukraine zum finalen Erfolg verhelfen könnte, ist illusionär."



    taz.de/Debatte-um-...-Ukraine/!5948088/



    /



    Im Übrigen könnte auch hierzulande "verbal abgerüstet" werden bei vehementen oder gar quasi bellizistisch vorgetragenen Forderungen nach mehr Gehör und Beteiligung, im Sinne der Staatsräson.



    Mehr Thermik macht mehr Verunsicherung.

  • Wenn das Abhören wirklich über einen normalen Zugangscode zu einer Webex-Konferenz geschehen ist, finde ich es erschreckend, wie naiv die Offiziersebene in puncto Datenschutz und Datensicherheit agiert.

    Das ist ungefähr so sicher, als würde ich Freunde zu einer Party einladen und bekannt geben "ach ja, Hausschlüssel liegt in der Keksdose im Schuppen". Und dann hoffen, dass die Mail nicht in unbefugte Hände gerät.

    • @Der dreckich Katz:

      Vielleicht war's ja auch nur ein Testballon. Und es scheint ja nix besprochen worden zu sein, was nicht schon über öffentliche Kanäle bekannt wurde.

  • Also irgendwie verstehe ich das alles nicht. Es ist doch egal, was wer abhört. Soll Russland doch abhören was es will und dann veröffentlichen was es will. Warum schenkt man dem überhaupt Beachtung?

    Was genau ist das Problem? Schon morgen kann die Bundesregierung entscheiden, Taurus zu liefern. Oder Frankreich entscheidet sich, Truppen zu schicken auf Anfrage der Ukraine. Oder oder oder.

    Die europäischen Länder müssen Putin so entgegentreten, wie er es versteht. Mit Stärke und mit Entschlossenheit. Lasst ihn drohen, lasst ihn das Rumpelstilzchen machen, das ist egal, solange Europa ihm die Stirn bietet.

    • @Gnutellabrot Merz:

      „Wo genau ist das Problem? Schon morgen kann die Bundesregierung entscheiden, Taurus zu liefern. Oder Frankreich entscheidet sich, Truppen zu schicken auf Anfrage der Ukraine.“



      Ich denke, Sie wissen schon ganz genau, wo hier die Probleme liegen - und dass Ihre Fragen insofern lediglich rhetorischer Natur sind.



      Dem ersten Absatz Ihres Posts wiederum kann ich uneingeschränkt zustimmen. Ich sehe es genau so.