piwik no script img

Coronazahlen in DeutschlandTrügerisches Hochplateau

Seit Sonntag steigt die Zahl der Coronainfektionen nicht weiter an. Das ist kein Anlass zur Entwarnung. Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer.

Und langsam stoßen die Labore an ihre Grenzen: Coronatest im Rhein-Siegekreis Foto: Daniel Biskup

Berlin taz | Im Süden Boliviens gibt es eine faszinierende Landschaft. Wenn Busreisende dort aus dem Fenster schauen, sehen sie über Stunden nur flaches Land. Nur ganz hinten am Horizont erkennt man ein paar Anhöhen. Es wirkt ein wenig wie eine norddeutsche Tiefebene und man vergisst leicht, dass man eigentlich im Gebirge ist – auf einem Hochplateau fast 4.000 Meter über dem Meeresspiegel. Eine sehr karstige Gegend, hier wächst weder Baum noch Strauch.

Ein ähnliches Phänomen gibt es gerade in Deutschland zu besichtigen: bei der Fallzahl der Corona-Neuinfektionen. Schon seit Sonntag steigt sie nicht mehr weiter an. Fast wirkt es so, als sei die Pandemie zum Stillstand gekommen, als sei Besserung in Sicht. Aber man darf nicht vergessen, dass wir uns weiter in einem Hochgebirge befinden.

Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 74.352 registrierte Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Der 7-Tage-Mittelwert sank damit ganz leicht auf 57.341. Aber er liegt weiterhin sehr nah an dem Allzeithoch von 58.341, das am Sonntag erreicht wurde. Und rund 58.000 Neuinfizierte pro Tag bedeutet eben auch, dass in den kommenden Wochen Tag für Tag im Schnitt 460 weitere Coronatote hinzukommen werden.

Die Pandemie ist zum Stillstand gekommen. Doch das ist alles andere als beruhigend, geschweige denn Grund für eine Entwarnung. Denn hinzu kommt, dass es auf dem Corona-Hochplateau tatsächlich noch Hügel, vielleicht sogar Berge geben könnte. Wir sehen sie nur nicht.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Labore und Ämter überlastet

Seit gut zwei Wochen meldet der Laborverband ALM, dass die PCR-Testlabore vielerorts ihre Kapazitätsgrenzen überschritten haben. Sie können also gar nicht mehr alle Fälle zeitnah bearbeiten. Es kommt zu Verzögerungen bei der Registrierung der Neuinfektionen, die Dunkelziffer steigt.

Ein ähnliches Phänomen ist inzwischen bei den Gesundheitsämtern zu sehen, die die Fälle aufnehmen und die Zahlen an das RKI weiterleiten. Auch die sind vielerorts mittlerweile völlig überlastet.

„Der starke Anstieg der 7-Tage-Inzidenz in den letzten Wochen hat sich in der vergangenen Woche nicht fortgesetzt“, heißt es freudig im am Donnerstagabend veröffentlichten Wochenbericht des RKI. Dies könne „ein erster Hinweis auf eine sich leicht abschwächende Dynamik im Transmissionsgeschehen aufgrund der deutlich intensivierten Maßnahmen zur Kontaktreduzierung sein.“ Mit anderen Worten: die strengen Vorgaben an Coronahotspots in Bayern und in anderen Bundesländern zeigen Wirkung. Auch eine freiwillige Kontaktreduzierung der Vernünftigen könnte einen Effekt haben.

Aber auch das RKI gibt zu bedenken, dass ein Teil des Stillstands „regional auch auf die zunehmend überlasteten Kapazitäten im Öffentlichen Gesundheitsdienst und die erschöpften Laborkapazitäten zurückzuführen“ sei. Das heißt: die Zahl der Neuinfektionen und die sich daraus errechnende 7-Tage-Inzidenz verlieren an Aussagekraft. Denn aktuell kann niemand genau sagen, in welchem Maße die Infektionskurve noch das Infektionsgeschehen abbildet.

Die Zahl der Todesfälle steigt weiter

Umso wichtiger ist eine Analyse der weiteren Kurven, die die Pandemie unverfälschter abbilden: die Zahl der Corona-Patient:innen in den Kliniken und die der Coronatoten.

Letztere steigt weiter ungebrochen an. Am Freitag meldete das RKI 390 neue Coronaopfer, der 7-Tage-Mittelwert klettert auf 299. Das sind gut 20 Prozent mehr als vor einer Woche. Und fast ein Viertel mehr als beim Höchststand der 3. Welle im Frühjahr. Aber die Kurve der Todesfälle hinkt der Fallkurve stets zwei bis drei Wochen hinterher. Für eine aktuelle Beurteilung der Pandemie ist sie damit ungeeignet.

Aussagekräftiger ist da schon ein Blick auf die Pa­ti­en­t:in­nen­zahl in den Kliniken. Und da zeichnet sich tatsächlich ein Hoffnungsschimmer ab. Die sogenannte Hospitalisierungsrate wird vom RKI am Freitag mit 5,52 angegeben. Der absolute Wert ist äußerst problematisch, weil er durch Nachmeldungen stets noch um bis zu 100 Prozent hochkorrigiert werden muss. Aber man kann zumindest daraus ablesen, dass die Zahl der neu aufgenommenen Corona-Patient:innen nicht weiter steigt. Auch sie bewegt sich gerade seit dem Wochenende auf einer Art Hochplateau.

Gleiches sieht man in den Intensivstationen. Zwar steigt die Gesamtzahl der dort behandelten Corona-Patient:innen weiter stetig an. Stand Donnerstag wurden 4.793 Menschen intensiv behandelt. Schon am kommenden Wochenende könnte der Höchststand aus der 3. Welle übertroffen werden.

Hoffnung macht hier die Zahl der Neuaufnahmen. Die hatte sich im November innerhalb von drei Wochen im Schnitt von 160 auf 320 pro Tag verdoppelt. Aber seit dem letzten Wochenende stagniert auch sie auf diesem Niveau.

Gesamtlage unverändert dramatisch

All dies ist kein Anlass zur Entwarnung. Denn Klinken, Labore und Behörden sind vielerorts schon vollkommen überlastet. Und solange die Zahl der Neuinfektionen und damit in der Folge die der Corona-Erkrankungen nicht deutlich sinken, wird sich an der dramatischen Lage nichts ändern. Zudem ist noch unabsehbar, welche Auswirkung die neue Omikron-Variante in Deutschland haben wird.

Wenn man in Bolivien über das Hochplateau fährt, kommt man an der einen Seite zu noch höher gelegenen Bergen. Und zum Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Welt. Unwirtliche Gegenden, in denen gar nichts mehr gedeiht.

In der anderen Richtung führen weite Serpentinen hinab in grüne Täler. Das ist landschaftlich sehr reizvoll. Aber auch sie liegen immer noch in 3.000 Metern Höhe. Bis hinunter zum Meeresspiegel ist es noch weit. Sehr weit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • CO-BOLD

    Ich weiss nicht, was Ihre Logik geraucht hat. Von Rückgang der positiven Testergebnissen ist nicht die Rede, lediglich von einer Stagnation auf (sehr) hohem Niveau. Und das kann sehr wohl an einer Saturation der Testkapazität liegen.

  • Gesundheitsämter und Labore sind am Limit. Und da im Jahr zwei! Aber mein Kommentar richtet sich eher der im Artikel zu findenden Zahlenbeschreibung. Mich stört der alarmierende Ton und fehlende weiterführende Überlegungen. Ein Plateau könnte ja auch andere Gründe haben. Es wäre doch auch möglich, daß eine bestimmte Zahl von Ansteckungen im Kontext zu der relativen Freizügigkeit in der letzten Zeit steht und nun eine Ausbreitungsmöglichkeit (mir fällt hier kein besseres Wort ein) erreicht ist, wo nun die Zahlen gleichbleiben oder vielleicht auch bald wieder sinken.

  • Es ist schon interessant wie leicht bestimmte Formulierungen in der Corona-Dynamik missverständlich wirken können.

    Schon der Satz :"Die Pandemie ist zum Stillstand gekommen" wird - obwohl im Artikel bestens erläutert,von vielen falsch eingeordnet werden, als sowas wie "eigentlich ist dir Sache wohl fast zu ende".

    Vielleicht sollte man doch lieber aktive Formulierungen verwenden, wie z.B." es brennt weiter lichterloh".."nur daß das Feuer im Moment nicht noch größer wird".

    Weiter heißt es im Artikel:" hinzu kommt, dass es auf dem Corona-Hochplateau tatsächlich noch Hügel, vielleicht sogar Berge geben könnte. Wir sehen sie nur nicht". - schönes Bild...ich möchte hinzufügen: "da ist dann noch dieser Riesenberg im Nebel - namens Omikron"...

    • @Wunderwelt:

      "da ist dann noch dieser Riesenberg im Nebel - namens Omikron"...



      Exakt. Offenbar ist es fraglich, inwieweit die aktuellen Schnelltests diese Virusvariante überhaupt erfassen können. Könnte sein, da wächst ein Berg, und wir bekommen es erst mal gar nicht mit.

    • @Wunderwelt:

      jaa, oder: wir sind gerade in Fegefeuer, oder ist es schon die Hölle ;(

      • @Petterson:

        Interessant was das so für Assoziationen bei Ihnen auslöst...

        Ich fand die Feuermetapher schon immer in vielerlei Hinsicht passend und hilfreich..

        Natürlich ist sie auch ein wenig überzogen. Aber wenn Sie so wollen, ist sie eine passende Antwort auf "die kleine Grippe".

        Und da nach meiner Schätzung immer noch etwa 10% der Menschen in diesem Lande nicht bereit sind die Situation mit dem nötigen Ernst zu betrachten, kann das Feuerbild möglicherweise zumindest etwas auslösen, was dann am Ende zu einer Impfung führt.

        Denn wenn es brennt, weiß jeder - wirklich jeder, dass man nicht die Hände in den Schoß steckt, sondern löschen muss.

        Das hätte schon viel früher bei den Menschen ankommen müssen.!!

        Ansonsten die Frage an Sie: haben Sie außer Ihrem ironisierenden Alarmismus auch noch irgendwelchen Argumente?

  • Zahlen sind trügerisch. Je höher die Inzidenz, desto mehr Menschen sterben mit aber nicht mehr alleine an. Das ist ein rein statistischer Effekt. Weil Menschen auch weiterhin sowieso sterben, sind von denen eben bei höherer Infektionsrate auch positiv.



    Den Effekt gibt es auch gerade bei Kindern: aufzudrehen hohen Zahlen sind Kinder, die sowieso im Krankenhaus sein müssten, eben auch positiv auf Corona.

    Leider werden hier die Zahlen mit Hang zum Alarm machen gedeutet.

  • Also ich finde das jetzt nicht wirklich überraschend.

  • Testlabore am Limit: mit anderen Worten, wir wissen nicht genau, ob das Licht am Ende des Tunnels tatsächlich der Ausgang ist, oder ein uns entgegenkommender, brennender Zug.

    Wohlauf!

    • @tomás zerolo:

      Als Ergänzung: auch in NRW ist nun ziemlich flächendeckend die Kontaktverfolgung eingestellt worden. Kontaktpersonen von Infizierten müssen in den meisten Kreisen und Städten von diesen selber benachrichtigt werden. Was natürlich, da immer noch die Mehrheit der Infizierten absichtlich Ungeimpfte sind, nicht hinreichend passieren wird.

      So als Faustregel kann man also sagen: ab Inzidenz 350 haben wir eine signifikante Dunkelziffer.

      Insofern kann man die Frage doch beantworten: Es ist der Zug. Wäre es der Ausgang, hätten wir Inzidenzen im 200er-Bereich oder weniger. Das schaffen in NRW aber gerade mal 4 Landkreise und 1 Stadt. Der Rest muss wegen der Verantwortungslosigkeit der "Eigenverantwortlichen" auf die Verantwortung der Verantwortungslosen setzen.

      Und Jens Spahn wäre gern Gesundheitsminister geblieben, wegen seiner Verdienste. "That's democracy".

      PS: schon vor Überlastung der Testlabore ist es nicht mehr möglich, gezielt nach Omikron zu suchen, weil man dafür andere PCR-Primer braucht.

      Aber dem Himmel sei gedankt - in Köln und vermutlich auch anderswo sind Gottesdienste von G2+ ausgenommen: "L'infâme" (Voltaire) schreit nach Blutopfern, um den zürnenden Herrgott zu besänftigen.

      Ein ergebnisoffener und freier Diskurs über konsequentes Verbot und Verfolgung aller liberalen und religiösen Parteien - das wäre mal etwas das die Menschheit weiterbringt. Denn wie wir sehen, sind das nichts weiter als irre Todeskulte, und angesichts des Klimawandels können wir uns diese Wahnsinnigen nicht mehr leisten!

    • @tomás zerolo:

      Ein Rückgang der Fallzahlen dadurch, dass Labore ans Limit kommen, ist unlogisch.

      Um einen Rückgang der Fallzahlen ohne Rückgang des Infektionsgeschehens zu begründen, müsste die Anzahl der möglichen Tests abnehmen. Dass diese an ein Limit kommen, reicht dazu nicht aus.

      Gerade im Hinblick auf Omikron kann man momentan aber ohnehin noch lange keine Entwarnung geben. Erst in 2-3 Wochen wird man einschätzen können, wie eng es dadurch nochmal werden kann und wie lange es dauert, bis die Effekte merklich werden.

      • @Co-Bold:

        "Ein Rückgang der Fallzahlen dadurch, dass Labore ans Limit kommen, ist unlogisch."



        Nein, das muss nicht unlogisch sein. Es ist durchaus möglich. Denn die Inzidenz für Deutschland ist eben nur ein Durschnittswert. Es kann also in einer Region zu einem leicht sinkenden Infektionsgeschehen kommen, während in einer anderen Region das Infektionsgeschehen weiter steigt, dort aber nicht mehr abgebildet werden kann, weil die Testkapazitäten dort ausgeschöpft sind.



        Und schon haben wir vermeintlich sinkende Fallzahlen, weil Labore ans Limit gekommen sind.