Coronavirus und Finanzkrise: Ein Virus ist keine Blase
Der Vergleich der Finanzkrise mit dem Virus passt nicht. Wenn man schon biologistisch ist, eignet sich eine andere Krankheit besser für eine Analogie.
Für das Coronavirus ist kein Superlativ zu drastisch: Er gilt nicht nur als Auslöser einer „Pandemie“, sondern wird auch häufig mit der Finanzkrise 2008 verglichen. Die US-Notenbank Fed scheint diese Sicht jetzt zu bestätigen: Am Dienstag senkte sie ihre Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte – und zwar auf einer Sitzung, die dafür eigentlich gar nicht vorgesehen war. Ad-hoc-Maßnahmen hatten die US-Währungshüter zuletzt 2008 beschlossen, um das globale Finanzbeben einzudämmen.
Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich naheliegend, das Coronavirus mit der Finanzkrise zu vergleichen – denn beiden gemeinsam ist die Panik. Weltweit werden jetzt Großveranstaltungen abgesagt, Flüge gestrichen und Fabriken geschlossen, um zu verhindern, dass sich das Virus weiter verbreitet. Auch in der Finanzkrise hatten viele Firmen und Banken Angst vor einer „Ansteckungsgefahr“.
Der Geldfluss zwischen den Banken kam damals völlig zum Erliegen, und viele Betriebe stoppten ihre Bestellungen, um erst einmal abzuwarten, wie sich die Finanzkrise weiter entwickeln würde. Weltweit begab man sich in eine Art ökonomische Quarantäne.
Doch so naheliegend die Analogien sind: Es führt in die Irre, das Coronavirus mit einer Finanzkrise zu vergleichen. Das Virus wird zwar zu erheblichen ökonomischen Einbußen führen – aber nur vorübergehend. Sobald die Epidemie unter Kontrolle ist, wird sich die Wirtschaft schon deswegen erholen, weil es zu Nachholeffekten kommt. Beispiel Tourismus: Panische Reisende stornieren zwar jetzt ihre Flüge, aber der Wunsch nach Erholung bleibt. Also werden sie neue Touren buchen, sobald sich das Virus verflüchtigt hat. Einige abgesagte Großereignisse wie die Leipziger Buchmesse lassen sich zwar nicht neu terminieren, aber dieser Schaden bleibt überschaubar.
Finanzkrisen sind von einer völlig anderen Dimension. Sie ähneln einem Krebsgeschwür, das jahrelang in einem Körper wuchert. Finanzkrisen sind ein Systemversagen des Kapitalismus. Sie kommen von innen, nicht von außen wie ein Virus.
Krebsgeschwüre, die zunächst gutartig erscheinen
Finanzkrisen entstehen immer dann, wenn zu viele Kredite gewährt werden. Meist wird die Gefahr gar nicht erkannt, weil genau diese Kredite zunächst für Wachstum und Wohlstand sorgen. Die Finanzkrise 2008 war dafür typisch: In den USA, aber auch in Großbritannien, Irland, Spanien, Island oder Lettland wurden ungebremst Hypotheken vergeben, sodass die Baubranche boomte und die Häuserpreise stiegen. Alle schienen reicher zu werden. Doch jede Finanzblase platzt irgendwann: Der Kreditfluss stockt, die Häuserpreise fallen – und Millionen Menschen sind plötzlich überschuldet. Sie haben Darlehen aufgenommen, für die es gar keinen Gegenwert gibt, nachdem der Immobilienmarkt zusammengebrochen ist.
Als Nächstes kollabieren daher die Banken, weil Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden. Der Staat muss einspringen und diese Institute mit Milliardensummen stützen, um zu verhindern, dass sich die Krise weiter durch die Wirtschaft frisst. Sehr viele Menschen glauben, dass mit diesen Rettungsaktionen die Finanzkrise vorbei sei. Schön wär’s.
Bei einem Krebsgeschwür sind oft jene Entartungen besonders tückisch, die zunächst als gutartig erscheinen. So ist es auch bei Finanzkrisen. Das zentrale Problem taucht ausgerechnet dort auf, wo die Tugend mustergültig zu walten scheint: Es handelt sich um jene Häuslebauer, die zwar überschuldet, aber nicht gänzlich pleite sind, und die nun eisern sparen, um ihre Kredite zurückzuzahlen. Wenn aber Millionen Bürger auf Konsum verzichten, dann fehlt Nachfrage, und die Wirtschaft lahmt. Die Last der Vergangenheit zerstört die Zukunft.
Finanzkrisen schwächen eine Wirtschaft auf Jahre; die Eurozone hat dies genauso erlebt wie die USA. Beim Coronavirus ist dies nicht zu erwarten. Also keine falsche Panik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Hamburg und die Kühne-Oper
Als das Wünschen noch geholfen hat