Coronakrise in Schleswig-Holstein: Schuften auch in Quarantäne
Um den Betrieb aufrecht zu erhalten, müssen Krankenhausbeschäftigte trotz Quarantäne zur Arbeit. Neue Regeln klären das Problem nicht grundsätzlich.
In Dithmarschen waren die Inzidenzen nach Weihnachten plötzlich auf über 600 angestiegen. An der größten Klinik fielen mit einem Mal nicht nur 40 Mitarbeitende wegen einer Coronainfektion aus, sondern noch weitere 160 der insgesamt 3.000 Beschäftigten, weil sie Kontakt zu Infizierten gehabt hatten. Für Omikron gelten bisher noch strenge Quarantäneregeln, auch für Geimpfte.
„Von solchen Zahlen sind auch große Unternehmen wie wir überfordert“, sagt Sebastian Kimstädt, der Pressesprecher des Klinikums. Gemeinsam mit dem Gesundheitsamt wurde deshalb beschlossen, die Sonderregeln des Bundesinfektionsschutzgesetzes zu ziehen: Arbeiten dürfen quarantänisierte Mitarbeiter*innen aus dem medizinischen Bereich jetzt, wenn es einen negativen PCR-Test nach Tag fünf gibt und die infizierten Kontaktpersonen nicht aus dem eigenen Haushalt der Beschäftigten stammen.
„Eine Alternative dazu gab es nicht“, glaubt Kimstädt. Insgesamt vier Stationen hatte die Klinik aus Infektionsschutzgründen und wegen des Personalmangels schon geschlossen, doch ausgereicht habe das nicht. „Der Behandlungsdruck ist groß“, sagt Kimstädt. Schließlich seien auch planbare Operationen nicht beliebig schiebbar.
In der Kritik stehen die Sonderregeln trotzdem. Sie gehen vor allem zu Lasten der Beschäftigten. Die Quarantäne ist nicht aufgehoben, sie wird nur ersetzt: im Falle der Krankenhausbeschäftigten durch das Tragen einer FFP-2-Maske, die dort aber ohnehin Standard ist. Sobald der Arbeitstag vorbei ist, müssen die Mitarbeitenden wieder jegliche Kontakte vermeiden.
„Natürlich kann man über eine verkürzte Quarantäne nachdenken“, sagt Steffen Kühhirt, Fachbereichsleiter für medizinische Berufe bei Ver.di Schleswig-Holstein, „aber das muss rein medizinisch begründet sein. Bei der Arbeitsquarantäne geht es hingegen nur darum, dass Beschäftigte gerade gebraucht werden.“
Dass die Mitarbeiter*innen tagsüber mit besonders gefährdeten Patient*innen in Kontakt seien, abends aber nicht in den Supermarkt dürften, „das ist ganz schwer zu vermitteln“, meint Kühhirt. „Entweder es gibt eine Ansteckungsgefahr, oder es gibt sie nicht.“
Der Passus aus dem Infektionsschutzgesetz ist nicht zum ersten Mal verwendet worden. In der ersten und zweiten Welle fand er in verschärfter Form Anwendung: Damals wurden in Pflegeheimen sogar nachgewiesen infizierte Mitarbeitende eingesetzt. „Wir haben uns immer dagegen gewehrt“, sagt Kühhirt. „Aber manche Arbeitgeber haben das immer wieder beantragt und manche Gesundheitsämter immer wieder bewilligt.“
In Dithmarschen gibt es noch für 24 weitere Personen Anträge auf quarantäneersetzende Maßnahmen. Vermutlich aber wird das nicht mehr nötig sein – denn die Quarantäneregeln werden gerade bundesweit gelockert, um Ausfälle der kritischen Infrastruktur zu vermeiden.
Infizierte könnten bald schon nach sieben Tagen und negativem Test aus der Quarantäne; wer nur Kontakt hatte, aber geimpft oder genesen ist, muss erst gar nicht hinein. Schleswig-Holstein ist angesichts seiner hohen Infektionszahlen schon einmal vorgeprescht: Hier endet die Quarantäne von Infizierten nun automatisch und ganz ohne Test nach 10 statt bisher 14 Tagen.
Auch ohne Arbeitsquarantäne dürfte nun also wieder mehr Personal in den Kliniken zur Verfügung stehen. Das Grundproblem ist damit aber nicht aus der Welt – es verschiebt sich nur nach vorn: Die Arbeitsquarantäne kann bei Bedarf weiter eingesetzt werden. In Zukunft wäre das etwa der Fall, wenn auch die neue, verkürzte Quarantänefrist noch zu viele Arbeitskräfte aus dem Dienstplan reißt.
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