Hohe Inzidenzen in Bremen: Omikron mächtiger als Impfquote

In Bremen sind die Coronazahlen seit Silvester senkrecht nach oben gestiegen, trotz der hohen Impfquote. Woran liegt das – und was könnte helfen?

Eine Spritze liegt neben einem Impfstoffstempel des Impfzentrums Bremen auf einem gelben Impfausweis

Eine gute Imfpquote schützt vor schweren Verläufen – aber mit Omikron nicht mehr vor Ansteckung Foto: Sina Schuldt/dpa

BREMEN taz | Ausgerechnet Bremen. Monatelang konnte man sich im kleinsten Bundesland kollektiv auf die Schulter klopfen – und klopfen lassen: Die phänomenal hohe Impfquote von mittlerweile 87,3 Prozent fand bundesweit Beachtung. Im Herbst lag Bremen auch bei den Inzidenzen eher im unteren Bereich.

Nun aber sind die Infektionszahlen innerhalb weniger Tage in ungeahnte Höhen geschnellt: Am Donnerstag vor einer Woche lag die Inzidenz noch bei 358, mit Stand von diesem Mittwoch bei 761. Die Erklärung des Gesundheitsressorts: Omikron ist da. „Der schnelle und massive Anstieg der Inzidenz lässt eigentlich nur diesen Schluss zu“, so Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitssenatorin. Auch der Bremer Virologe Andreas Dotzauer stützt diese These.

Das wasserfest zu beweisen, ist schwierig. In Deutschland werden nur 5 bis 6 Prozent der Positivfälle überhaupt sequenziert. Eine Vollgenomsequenzierung dauert 14 Tage – oder auch länger. So sind in Bremen bisher nur 31 Omikron-Fälle sicher nachgewiesen. Sehr viel höher ist die Zahl der Verdachtsfälle. Bis Montag spricht das Ressort von 448 Fällen, die zumindest über einen sogenannten Target-PCR-Test die Virusvariante nahelegen. Zum Vergleich: Als infiziert galten in Bremen am Montag 5.071 Menschen.

Warum aber ist die Fallzahl hier höher als anderswo? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte vor einer Woche zur Erklärung auf die Nähe zu den Niederlanden verwiesen. Im Gesundheitsressort betont man zusätzlich, dass im kleinsten Bundesland die Datenlage recht zuverlässig ist: Anders als in anderen Ländern habe man über die Feiertage im Gesundheitsamt mit Personal nachgesteuert und komme daher mit der Kontaktverfolgung und der Meldung der Zahlen hinterher. Sprich: Vielleicht fällt in Bremen nur besonders auf, was auch anderswo der Fall ist.

Trügerisches Sicherheitsgefühl

Dotzauer hat noch eine dritte Theorie: „Die bisherige Situation hat ein Sicherheitsgefühl vermittelt“, sagt der Bremer Virologe. Zum einen, weil hohe Inzidenzen bisher eher aus dem Süden und Osten Deutschlands bekannt waren, zum anderen auch wegen der hohen Impfquote. Bisher gab es für dieses Sicherheitsgefühl einigen Grund – doch das galt für die Delta-Variante: „Für Omikron gelten etwas andere Regeln. Und der Impfschutz von vielen ist einfach auch schon recht alt und damit nicht mehr so wirksam.“ Bei Booster-Impfungen bewegt sich Bremen nur im Mittelfeld.

Immerhin: Die Impfung kann vor einem schweren Verlauf schützen, die hohe Impfquote könnte sich also trotzdem bezahlt machen. „Die hohe Inzidenz schlägt sich nicht in einer ähnlich hohen Hospitalisierungsquote nieder“, sagte Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) am Montag im Interview mit dem Weser Kurier.

Doch ganz so beruhigend ist der reine Blick auf die Krankenhauszahlen gar nicht. Die Zahl der coronapositiven Pa­ti­en­t*in­nen in Bremer Krankenhäusern ist in der vergangen Woche von 73 auf 91 angestiegen. Und: Bremen hat aktuell die bundesweit höchste Hospitalisierungsinzidenz. Hochgerechnet auf sieben Tage sind in der Stadt von 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen zuletzt 12,2 Menschen mit Corona ins Krankenhaus eingewiesen worden. Die dritte Warnstufe beginnt bei einer Hospitalisierungsinzidenz von 6, eine noch höhere Stufe war bisher gar nicht vorgesehen.

Krankenhäuser bewerten Lage als stabil

Grund für Panik sieht man bei der Bremer Krankenhausgesellschaft Gesundheit Nord trotzdem nicht. „Aktuell liegen die Zahlen zwar auf hohem, aber doch stabilem Niveau“, so Sprecherin Karen Matiszick. Den scheinbaren Widerspruch erklärt man im Gesundheitsressort damit, dass nur ein Teil der Menschen aus der Statistik auch tatsächlich wegen Corona im Krankenhaus liege. Viele seien aus ganz anderen Gründen da und würden bei ihrer Einlieferung positiv getestet.

Die Zahlen auf den Intensivstationen schwanken in den vergangen Wochen nur wenig – etwa 20 Prozent der Intensivbetten sind mit Coronapatienten belegt, die Auslastung der Stationen liegt laut dem Divi-Intensivregister bei über 99 Prozent. Für Bremen ist das aber gar nicht so ungewöhnlich – auch in Zeiten mit geringeren Inzidenzen sind die Intensivstationen in der Stadt fast voll belegt.

„Natürlich ist die Belastung enorm“, so Matiszick. „Aber wir hatten während der zweiten Welle schon sehr viel schlimmere Situationen.“ Sorgen um die Zukunft macht sie sich dennoch: Problematisch könnte es werden, wenn die Zahlen weiter steigen oder ein zu hoher Anteil des Personals wegen der Quarantäneregeln ausfalle.

Neue Warnstufe

Um gegenzusteuern führt Bremen nun in den nächsten Tagen eine neue Warnstufe 4 ein, die ab einer Hospitalisierungsinzidenz von 9 gelten soll. Geimpft oder genesen zu sein reicht für den Besuch von Veranstaltungen und Restaurants dann nicht mehr aus, zusätzlich braucht es einen aktuellen Antigentest. Die Regeln an den Schulen ändern sich kaum, auch die Ferien verlängern sich nicht. Erst bei vier infizierten Schü­le­r*in­nen in einer Klasse wird der Unterricht auf Homeschooling umgestellt.

Zumindest einige Tage werden die Zahlen noch steigen – schließlich sind jetzt schon Menschen infiziert, die es nur noch nicht wissen. Virologe Dotzauer hält aber auch die jetzt beschlossenen Maßnahmen nur eingeschränkt für hilfreich, um die hohen Zahlen zu senken. Schließlich seien mit neuen Varianten auch Geimpfte und Genesene ansteckend.

Und Tests als weitere Sicherheitsstufe haben nur für kurze Zeit eine Aussagekraft. „Was passieren kann sieht man am Beispiel der Diskotheken in Schleswig-Holstein, wo es ja 2G+ gab – und trotzdem Infektionen“, so Dotzauer. Irgendwann, ist Dotzauer sicher, werden die Zahlen dennoch wieder sinken. „Das liegt daran, dass die Menschen selbst in ihrem Verhalten vorsichtiger werden, wenn die Lage so schlimm wird“, sagt er. „Das sieht man überall weltweit.“

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