Corona und Weihnachtsmärkte: Getrübte Adventszeit
Hätte die Politik so vorausschauend agiert wie die Betreiber der Weihnachtsmärkte, müsste es keine Einschränkungen geben. Die Händler trifft es hart.
D as vorweg: Ich geh gar nicht oft auf Weihnachtsmärkte. Doch bei der Frage, ob dieses Adventstreiben geöffnet bleiben sollte, geht es nicht um persönliche Vorlieben. Es geht um Verlässlichkeit, um wirtschaftliche Existenz, und um soziales Leben geht es auch. Im August gesellte sich zur AHA-Regel das schärfere Prinzip 3G, einen Monat später das drastische 2G, das Ungeimpfte bestrafte. Geimpfte aber sollten mehr Freiheiten bekommen. Wer hat damals, als die Inzidenzzahlen minimal waren, an den Dezember gedacht?
Es waren private Betreiber, wie etwa auf dem Berliner Gendarmenmarkt, die sich zu dieser frühen Zeit für 2G entschieden – freiwillig. Sie wollten für ihre Gästen größtmögliche Sicherheit – und natürlich auch nicht ihren Umsatz und Gewinn riskieren. So viel Weitsicht von der Politik zu erwarten, war illusorisch. Dabei ginge es nicht um Prophetie, sondern um Erfahrungen, die andere Staaten schon gemacht haben. Impfzentren offenlassen, Vakzine bestellen, Hochbetagte schnell „boostern“.
Ist kaum passiert. Trotzdem wollen politisch Verantwortliche zeigen, dass sie handeln. Jetzt wird intensiv geharkt im Freizeitgarten. Es geht gegen Clubs, Diskotheken und Volksfeste, also auch Weihnachtsmärkte. Im Unterschied zu den Clubs, die sich als Virenschleudern erwiesen haben, finden die Märkte im Freien statt und mit reichlich Coronamanagement. Trotzdem mussten sie schließen – in Bayern, Thüringen, Sachsen, Brandenburg. Die Händler baden das aus.
Krösusse sind selten unter ihnen. Schon jetzt haben viele aufgegeben. Und es gibt noch eine andere Seite. Auch in einer Pandemie braucht es Lichtblicke – etwas anderes als nur Hinweise auf den Mund-Nasen-Schutz. Der Advent ist eine besondere Zeit, nicht nur für Kinder. Bei allen „Kontaktbeschränkungen“, ein Wort wie aus der Elektrotechnik, bleibt der Mensch ein geselliges Wesen, ausgestattet mit einer Seele, und die muss mal raus – zum Ballettabend, Fußball oder eben auf den Weihnachtsmarkt. In der Telefonseelsorge jedenfalls laufen wieder die Drähte heiß.
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